Sie sind hier

Abo

Trinkwasser

Trinkwasserinitiative soll Schwung in die Landwirtschaft bringen

Gesunde, erschwingliche Lebensmittel für alle, Schutz für das Trinkwasser und die Natur:Das will die Trinkwasserinitiative. Gestern hat die Abstimmungskampagne in Grossaffoltern begonnen.

Das Initiativkomitee spricht vor den Medien über die Vorteile der Trinkwasserinitiative.  Matthias Käser

von Brigitte Jeckelmann
Am Montagmorgen auf dem Biohof Farngut von Markus Bucher in Grossaffoltern bläst den zahlreichen Medienvertreterinnen ein eisiger Wind um die Ohren. Nicht zufällig hat das Initiativkomitee den internationalen Tag des Wassers für den Kampagnestart der Trinkwasserinitiative gewählt. Direktzahlungen sollen künftig nur noch jene Bauern erhalten, die ohne synthetische Pestizide auskommen, ihren Tierbestand auf die Menge Futtermittel anpassen, die sie selber auf ihrer Betriebsfläche anbauen können und die Nutztieren keine Antibiotika auf Vorrat verabreichen. Das fordert die Trinkwasserinitiative, über die das Volk am 13. Juni abstimmt.


Die erschreckende Erkenntnis, dass sie mit ihren Steuergeldern eine Lebensmittelproduktion mitfinanziere, die von Pestiziden, Importfutter und Antibiotika abhängig sei, habe sie zur Lancierung bewogen, sagt Initiantin Franziska Herren zu Beginn der Medienkonferenz. «Mich begleiten ein grosses Unverständnis und eine tiefe Betroffenheit, dass die Landwirtschaftspolitik seit Jahrzehnten mit Milliarden an Steuergeldern Fehlanreize setzt um diese intensive, industrielle Produktion zu fördern», sagt Herren. Die neuen Daten des Bundesamts für Umwelt zeigten zudem, dass neben Pestizidrückständen auch wieder steigende Mengen Nitrat im Grundwasser unsere Gesundheit gefährdeten. Nitrat erhöhe das Darmkrebsrisiko. Zu viel Gülle und damit Ammoniakemissionen in die Luft zerstörten die Biodiversität.
Via Gülle gelangten zu viele antibiotikaresistente Bakterien auf die Felder und damit in die Lebensmittelkette. Herren: «Das bedroht unsere Gesundheit ganz direkt.» Die Folgekosten für die Umwelt- und Gesundheitsschäden würden sich dadurch auf jährlich Milliarden summieren. Deshalb setze die Trinkwasserinitiative bei den Subventionen an. Herren betont, dass Steuergelder so «in eine zukunftsfähige und pestizidfreie Landwirtschaft» gelenkt würden, statt weitere Umwelt- Klima- und Wasserschäden zu fördern. Gesunde Lebensmittel ohne Pestizide würden in der Folge zur Norm und somit für alle erschwinglich, weil es zu einer Anpassung des Marktes komme.


Durch eine Annahme der Trinkwasserinitiative würden die Nutztierbestände in der Schweiz sinken – und dadurch den Import aus dem Ausland befeuern? Angesprochen darauf hält Franziska Herren mit dem «enormen Foodwaste» von jährlich über 2,5 Millionen Tonnen Lebensmitteln dagegen. Auch Fleisch werde weggeworfen. Eine Reduktion von Foodwaste würde den Fleischimport überflüssig machen, ist sie überzeugt.


«Belastungen sind hausgemacht»
In der Runde der Referenten sitzt auch Roman Wiget. Der Geschäftsführer der Seeländischen Wasserversorgung Worben ist in seiner Funktion als Präsident der Arbeitsgemeinschaft Wasserwerke Bodensee-Rhein anwesend. Wiget spricht von dem Gefühl, das man hat, wenn man zuhause den Wasserhahn aufdreht und daraus «natürliches, reines, unbelastetes Trinkwasser» fliesst. «Welchen Wert hat das für Sie?», fragt er. Für Milliarden Menschen sei reines Trinkwasser eine Illusion. Für die Schweiz, das Wasserschloss Europas, sei das lange Zeit Standard und selbstverständlich gewesen. Mittlerweile sei dieses Privileg «grossflächig und über Jahrzehnte» beschädigt worden.
Dabei hätte man es in der Hand, «denn unsere Belastungen sind hausgemacht», sagt Wiget. Die Bevölkerung habe die Wahl: «Wollen wir unsere Trinkwasserressourcen endlich wirksam schützen oder fahren wir weiter wie bisher?» Über eine Million Menschen im Mittelland würden derzeit belastetes Wasser trinken, bei dem die Höchstwerte bis zu 30-fach überschritten seien.


Ethische Fragezeichen
Gastgeber Markus Bucher erzählt aus seinen Anfängen. 1998 habe er den Betrieb, das Farngut, von seinen Eltern übernommen. Damals sei es ein moderner Munimastbetrieb gewesen. Vorbeugende Antibiotika, Zukauf von Futtermitteln, grosse Mengen an Mist und Gülle sowie ethische Fragezeichen hätten ihn schon nach vier Jahren zur Umstellung auf den Anbau von Biogemüse bewogen. Für Bucher ist der Handlungsbedarf in der Landwirtschaft in Bezug auf die Trinkwasserqualität «riesig. Das können wir mit schönen Worten nicht mehr aus den Augen wischen».
Für Bucher bedeutet die Trinkwasserinitiative «ein gigantisches Entwicklungspotenzial» für Landwirte, nachgelagerte Betriebe sowie für Forschung und Bildung. Bucher spricht von Investitionen in moderne Hacktechniken, die gezielte Entwicklung von schädlingsresistenten Sorten, neuen Anbaumethoden, andere n Lehrgänge bei der Ausbildung und umweltbewusster Forschung. Dies könne den Einsatz von Pestiziden ersetzen. Einige dieser Lösungen erfülle der Biolandbau bereits jetzt. Martin Würsten, Vertreter des Wissenschaftskomitees der Interessengemeinschaft4 Aqua, verweist auf die jährlich über 100000 Tonnen Stickstoffüberschüsse aus der Landwirtschaft, sprich, aus Mist und Gülle. Diese Überschüsse würden direkt ins Grundwasser gelangen und vielerorts im Mittelland zu deutlichen Überschreitungen des Qualitätsziels für Nitrat führen. Doch auch die Luft leide unter Stickstoff-Emissionen in Form von Ammoniak, einem giftigen Reizgas, und Lachgas, das ein «schlimmes Treibhausgas» sei. Der Stickstoff komme früher oder später wieder auf die Erde und überdünge empfindliche Ökosysteme, den Wald, Moore oder Trockenwiesen. Dies führe zu einem permanenten Rückgang der Biodiversität.


Weniger Antibiotika, mehr Tierwohl
Der thurgauische Biowinzer Roland Lenz produziert auf seinem Betrieb jährlich rund 60 verschiedene zertifizierte Bioweine. Einen Weingarten versteht er als Lebensgemeinschaft. Um die biologische Artenvielfalt wieder ins Gleichgewicht zu bringen, habe er zusammen mit seiner Frau und dem achtköpfigen Team über 15000 Rebstöcke gerodet und diese Flächen renaturiert. Diese vernetzte Biodiversität, die Traubenvielfalt von mehr als 40 verschiedenen Sorten sowie der Anbau von pilzwiderstandsfähigen Reben, den so genannten Piwis, bilden laut Lenz den Grundpfeiler für seinen Erfolg. Dank den Piwis könne er bereits über 80 Prozent der Weingärten pestizidfrei bewirtschaften. Der Tierarzt Rolf Frischknecht weist auf die Bedeutung der Antibiotika als wichtige Heilmittel hin. Doch zu oft eingesetzt, würden Bakterien gegen sie Resistenzen entwickeln und ihre Wirkung verpuffen lassen. Dies sei heute ein grosses Problem. Resistente Bakterien würden sich direkt zwischen Menschen und Tieren verbreiten.
Die Tierindustrie wendet laut Frischknecht Antibiotika regelmässig bei an sich gesunden Tieren an. Er verweist als Beispiel auf die industrielle Kälbermast. Diese Tiere bekämen zu wenig Muttermilch und somit fehlten ihnen wertvolle Abwehrstoffe. In Mastgruppen kämen Krankheitserreger von verschiedenen Höfen zusammen. Dies überfordere die natürliche Abwehr der Kälber. Eine Erkrankung sei wahrscheinlich. Deshalb würde man ihnen bereits beim Einstallen Antibiotika verabreichen. Für Frischknecht ist klar: Mehr Tierwohl bedeutet weniger Antibiotika und weniger Resistenzen. Tierschutz sei somit auch Menschenschutz.
Fredy Hiestand, bekannt als «Gipfelikönig», sorgt sich über Pestizidrückstände in Lebensmitteln. Als Konsequenz daraus produziere er in der Bäckerei in Baden Backwaren ausschliesslich aus Schweizer Getreide aus pestizidfreiem Anbau. Dafür arbeite er mit rund 200 innovativen Bauern zusammen. Hiestand ist überzeugt: «Eine gesunde und natürliche Landwirtschaft kann nur pestizidfrei sein.» Gelinge diese Umstellung, sei die Schweiz ein Vorbild für die ganze Welt.

Trinkwasserinitiative: Gut gemeint, aber das falsche Mittel

Daniel Weber, Präsident der Landwirtschaftlichen Organisation Seeland, stellt sich nicht gegen die Forderungen der Trinkwasserinitiative. Grundsätzlich seien sich alle einig, dass deren Ziele erreicht werden müssten. Für ihn stelle sich vielmehr die Frage, ob die Trinkwasserinitiative das geeignete Mittel dafür sei. Er, wie auch «die meisten anderen Landwirte» glaubten nicht daran. Als Grund führt Weber das Prinzip von Nachfrage und Angebot an, nach welchem auch die Landwirtschaft funktioniere. Die Initiative kehre dieses Prinzip um, denn der Gesetzgeber definiere die Produktion. Weber stellt die Frage in den Raum, was passiert, wenn die Nachfrage nach den Produkten, also den Bio-Produkten fehle. «Dann produzieren wir Foodwaste.» Wenn die Konsumentinnen Importprodukte bevorzugten, sei niemandem geholfen, weder der Umwelt noch dem Klima. Schlimmer noch: «Dann haben wir genau das Gegenteil von dem erreicht, was die Initiative eigentlich wollte.»


Umwelt- und Klimabelastung stiegen, einfach an einem anderen Ort. Weber: «Wir exportieren unsere Probleme.» Die Schweizer Landwirtschaft habe in den letzten 20 Jahren bei gleicher Menge und steigender Qualität den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln um 37 Prozent gesenkt, den von Antibiotika um deren 50 und beim Dünger seien es 40. Die ökologischen Ausgleichsflächen hätten dafür massiv zugelegt, laut Weber um 300 Prozent.


Die Trinkwasserinitiative habe aber bereits vor dem Abstimmungsdatum sehr viel erreicht. «Sie hat uns gezeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind und wo unsere Produktion noch nachhaltiger werden muss.» Radikale Initiativen seien zwar gut gemeint, erreichten aber das gewünschte Ziel nicht, meint Weber. bjg

Nachrichten zu Seeland »