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Hermrigen

Unbekannte beschimpfen Bauern 
als Giftbarone

Eine Sprayerei in Hermrigen bezeichnet Landwirte als geldgierige Umweltvergifter. Drei Bauern aus der Region sind überzeugt: Wer so etwas tut, hat keine Ahnung von Landwirtschaft. Sie rufen dazu auf, das Gespräch zu suchen.

  • 1/3 Mathias Wyss, 
Reto Möri und Marcel Schott (von links) finden diese Aktion verletzend.
 Bilder: Mattia Coda
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Sarah Grandjean
 
«Fertig Gift Barone» steht in roten Buchstaben auf einen Feldweg in Hermrigen gesprayt. «Wir sind keine Barone, schon gar keine Giftbarone», sagt der Landwirt Reto Möri aus Kappelen. Er und seine Kollegen Marcel Schott aus Hermrigen und Mathias Wyss aus Werdthof stehen am Rand eines gemähten Getreidefeldes und schauen auf die verblassten Buchstaben. Vor über einem Monat wurde die Botschaft von Unbekannten hierhin gesprayt. Sie richtet sich gegen Bauern, die in der Landwirtschaft Pflanzenschutzmittel anwenden. Hermrigens Nachbargemeinde Kappelen ist besonders stark von Chlorothalonil-Rückständen im Trinkwasser betroffen (das BT berichtete).
 
Möri findet die Aktion verletzend: «Wir haben nichts Verbotenes getan». Alle Pflanzenschutzmittel würden zahlreiche Bewilligungsverfahren durchlaufen, ehe sie auf den Markt kommen. «Dasselbe Amt, das es heute verbietet, hat uns Chlorothalonil vor 30 Jahren erlaubt.» Eine solche Aktion sei keine anständige Kommunikation, sagt Schott. Dies sei einseitig und die Bauern hätten nicht die Möglichkeit, sich zu erklären.
 
Kartoffelkäfer und Blattläuse
 
Das Fungizid Chlorothalonil ist seit Anfang Jahr verboten. Pflanzenschutzmittel ohne Chlorothalonil sind in der Landwirtschaft nach wie vor gang und gäbe. Bauern würden nicht aus «puurluterer Freude» spritzen, sagt Möri. Wie die Bezeichnung schon sagt: man schützt damit die Pflanzen. Möri baut Kartoffeln, Zuckerrüben und Karotten an. Diese sind besonders anfällig auf Schädlinge. Gerade Kartoffelproduktion wäre ohne den Einsatz von Pflanzenschutzmittel sehr anspruchsvoll, sagt Wyss, der ebenfalls Kartoffeln anbaut und ausserdem Milchkühe besitzt. 
 
Schott öffnet die Faust und zeigt einen Kartoffelkäfer, den er auf dem Weg hierhin gefangen hat. Das kleine gelb-schwarz gestreifte Insekt kann einem eine ganze Ernte vermiesen: Die Larven fressen das Kraut der Kartoffelpflanze und lassen nur den Stängel übrig. Innerhalb weniger Tage ziehen sie durch das ganze Feld.
 
Eines von Wyss’ Feldern ist davon betroffen. Die Kartoffeln sind jetzt reif und haben die vom Handel vorgegebene Grösse erreicht, deshalb spritzt er in diesem Fall nichts gegen den Kartoffelkäfer. Wäre der Käfer aber schon während des Wachstums der Pflanzen aufgetaucht, hätte der Bauer ein Pflanzenschutzmittel gespritzt. Ansonsten hätte die Pflanze zwar versucht, neu auszutreiben. Dies hätte laut Wyss aber Qualitätseinbussen bei den Kartoffeln und damit finanzielle Auswirkungen zur Folge gehabt.
 
Schädlinge können auf natürliche Weise bekämpft werden, etwa indem man Nützlinge wie Marienkäfer, Räuber oder Krankheitserreger von Insekten fördert. Schott, der Milchkühe besitzt und zudem Getreide und Zuckerrüben anbaut, hat derzeit mit der sogenannten virösen Vergilbungskrankheit zu kämpfen. Das ist ein Virus, das von Blattläusen auf die Zuckerrüben übertragen wird. Die Rübenblätter werden gelb, der Zuckergehalt sinkt. Ertrag und Qualität leiden. Schott bewirtschaftet ein Zuckerrübenfeld an einer Lage, die viel Lebensraum für Nützlinge bietet: Es gibt dort einen Bach, eine Hecke, eine Ökoausgleichsfläche sowie Obstbäume. Trotzdem kamen die Nützlinge im Frühjahr nicht gegen die Blattläuse und Erdflöhe an: Jede Rübe war angegriffen, woraufhin der Bauer mit Pflanzenschutzmitteln gegen die Insekten vorging. Möri sagt, man spritze nicht vorbeugend, sondern bekämpfe spezifisch bestimmte Schädlinge. «Das ist das Gleiche, wie wenn man bei Kopfschmerzen eine Tablette nimmt».
 
Beleidigungen von Passanten
 
Die Sprayerei ist nicht die erste Botschaft dieser Art. Vor rund einem Jahr sind ähnliche Parolen aufgetaucht – teilweise mit Schreibfehlern. Schott zeigt ein Foto auf seinem Handy: «Fungizid Pesitzid Gift für alle.» Ähnliche Blockbuchstaben in roter Schrift – er ist überzeugt, dass dieselbe Person dahintersteckt. Es wurde mehrfach Anzeige gegen Unbekannt wegen Sprayereien erstattet. Die drei Bauern bekommen manchmal Beleidigungen von Spaziergängern zu hören, wenn sie auf dem Feld sind. «Es ist schon passiert, dass die Leute Giftmischer, Krüppelbauer oder Stinker schreien», sagt Wyss. Gerade in der Anfangszeit des Lockdowns, als viele Leute draussen unterwegs waren, habe er vermehrt solche Äusserungen gehört. 
 
Möri bewirtschaftet in Richtung Aarberg ein Feld an einem Radweg, auf dem er Pflanzenschutz betreibt. «Es kommt vor, dass mir Passanten den Vogel zeigen oder das T-Shirt über die Nase ziehen.» Oder sie rufen ihm etwas hinterher – was er allerdings in der lärmigen Maschine meist nicht versteht. Er glaubt, dass solche Personen wenig Ahnung von Landwirtschaft haben. Wer die Botschaft auf den Boden gesprayt habe, sei bestimmt nicht vom Fach, ist er denn auch überzeugt.
 
Auf die Bauern zugehen
 
Die Landwirte sind sich einig: Es ist ihnen lieber, wenn die Leute das Gespräch suchen. Das sei immer das Beste, findet Möri. Er werde oft angesprochen, wenn er auf dem Feld sei. Anders als Mathias Wyss hat er den Beginn der Coronazeit positiv erlebt. Als er damit begonnen habe, Rüben zu säen, seien viele Menschen auf ihn zugegangen. Das habe zu interessanten Gesprächen geführt. «Man hat begonnen, den Bauernstand zu schätzen.»  Er deutet auf den Schriftzug auf dem Boden: «So was ist Kabis. Da ginge man lieber direkt auf den Bauern zu und fragt ihn, was er da genau macht». Er ist überzeugt, dass sich die meisten Landwirte die Zeit für eine Erklärung nehmen würden.

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Verunsichert und frustriert

Viele Bäuerinnen und Bauern seien durch solche Protestaktionen verunsichert und frustriert, sagt Daniel Weber, Präsident der Landwirtschaftlichen Organisation Seeland. «Es ist traurig, dass nicht der Dialog gesucht wird.» Er würde es begrüssen, wenn Umweltaktivisten sich an die Verbände wenden würden. «Wir alle hinterlassen Spuren in der Umwelt, das tut nicht nur die Landwirtschaft», sagt er. Wie andere Branchen auch versuche man, diese Spuren möglichst klein zu halten. Früher seien denn auch deutlich mehr Pflanzenschutzmittel gespritzt worden. Bis vor hundert Jahren hätten Schädlinge und Pilzkrankheiten ganze Ernten vernichtet. Nachdem man Pflanzenschutzmittel entwickelt hat, galt zunächst die Devise «lieber einmal mehr spritzen». «Als in den 90er-Jahren die ökologischen Programme von Bund und Grossverteiler begannen, begann auch ein Umdenken bei vielen Bauern», so Weber. Heute produzieren 90 Prozent der Bauern nach dem Standard ökologischer Leistungsnachweis (ÖLN), die anderen 10 Prozent nach den strengeren Bio-Richtlinien. So konnte man laut Weber den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, Dünger und Antibiotika um mehr als die Hälfte reduzieren. Dank neuer Materialien und Technologien werde der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in den nächsten Jahren weiter abnehmen.

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