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«Und zack – waren wir ausgebucht!»

Am Sonntag führt der Verein Elternforum Lyss die ersten «Familien Aktiv»-Angebote durch. Ein Gespräch mit Präsidentin Natascha Bojat über die neue Veranstaltungsreihe und die Bedürfnisse von Smartphonekindern.

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Interveiw: Marc Schiess

Natascha Bojat, welche Lücke schliesst das Elternforum mit seinem Angebot?
Natascha Bojat: Wir sehen, dass die Frühförderung von Kleinkindern in Spielgruppen ein enormes Bedürfnis ist. In kleinen Gruppen können Spielgruppenkinder erste selbständige Erfahrungen machen. Sie dürfen werken, ausprobieren, spielen, singen und erste Rollenspiele in einer altersgerechten Umgebung erfahren. Auch Rituale sind wichtig im Vorschulalter, diese geben den Kindern Halt und vereinfachen den Schritt in die Einschulung.

Ist das Elternforum Lyss einmalig?
Es gibt auch in anderen Städten Elternforen. Unseres ist eines der grössten und ältesten der Region – es gibt uns bereits seit 1973.

Sie amten seit zweieinhalb Jahren als Präsidentin, was hat sich seither geändert?
Es ist ein schöner Verein, er war aber etwas verstaubt. Ich bin diplomierte Verkaufsleiterin und habe das zusammen mit dem Vorstand an die Hand genommen. Nun haben wir ein frisches Logo und eine neue Website, auf der man alle Kurse auch online buchen kann. Zudem haben wir neue Angebote kreiert.

Was für welche?
Neben den Spielgruppen die Ludothek und der «Ferienpass Lyss und Umgebung». Wir hatten früher oft den Fall, dass Eltern, deren Nachwuchs in den Kindergarten kam, ausgetreten sind. Um diese zu halten, haben wir letztes Jahr einen Waldnachmittag eingeführt, bei dem Kinder bis zur zweiten Klasse mitmachen dürfen. Dies entspricht einem grossen Bedürfnis, wir sind jeweils ausgebucht.

Welche Pfeile haben Sie sonst noch im Köcher?
Diesen Sonntag starten wir jetzt mit «Familien Aktiv». Wir freuen uns auf die kommenden Jahre und haben schon ganz viele Ideen dafür. Die Nachfrage ist riesig: Der Waldtag mit Familie war kaum auf der Website und – zack! – schon ausgebucht.

Wie erklären Sie sich den Erfolg?
Es gibt keine Altersbeschränkung, es können auch Eltern mit älteren Kindern kommen. Zum Beispiel der Morgen mit einem Pilzkontrolleur, da haben auch Siebtklässler den Plausch.

Ist «Familien Aktiv» eine Reaktion auf die Schliessung des Lysser Familientreffs?
Ja. Es kann doch nicht sein, dass die wichtige Funktion des Familientreffs nun nicht mehr fortbesteht.

Warum schloss der Familientreff?
Das Angebot des alten Vereins war ein völlig anderes, das vor fünf bis zehn Jahren noch funktioniert hatte. In letzter Zeit machten aber immer weniger mit. Als ich von der Schliessung vernommen hatte, habe ich mit dem Vorstand und der Gemeinde Lyss nach einer Lösung gesucht. Die Gemeinde hat sich auf die Fahne geschrieben, dass sie familienfreundlich ist. Und so war es auch: Lyss unterstützte uns sofort, als wir anboten, die Lücke zu schliessen.

Und wie tun Sie das?
Wir müssen einfach was anderes machen und schauen, was ankommt. Ein grosser Vorteil: Wir haben viel mehr Mitglieder, etwa 270 Aktive. Und wir haben die Möglichkeit, unsere Leute direkt und schnell per Newsletter zu informieren. Zudem erweiterten wir letztes Jahr den Vorstand um eine Sekretärin. Wir mussten etwas professioneller werden, um wahrgenommen zu werden. Mein Ziel ist nächstes Jahr, dass wir auch eine Seite auf Facebook haben.

Noch ein Wort zu den Spielgruppen...
Wir haben unser Spielgruppenhaus, ein altes herziges Bauernhaus an der Kirchenfeldstrasse 17. Dort haben wir jeden Werktagmorgen offen. Zudem haben wir spezielle Gruppen für fremdsprachige Kinder, dieses Jahr der grossen Nachfrage wegen sogar eine zweite Gruppe.

Was ist bei den fremdsprachigen Gruppen anders?
Es sind kleinere Gruppen. Wie bei jeder anderen Spielgruppe haben aber auch sie zwei ausgebildete Leiterinnen.

Waldkindergärten sind mittlerweile bekannt und als pädagogisch wertvoll anerkannt. Haben Sie auch Waldspielgruppen?
Wir haben zwei Spielgruppen draussen, eine ist im Huttiwald. Diese Spielgruppe dauert zweieinhalb Stunden und wird an drei Tagen angeboten. Die andere, die «Mooszwärgli», dauert doppelt so lange und findet im Dreihubelwald statt. Da wird dann auch immer das Mittagessen gemeinsam gekocht.

Wie wird die Qualität sichergestellt?
Die meisten unserer Leiterinnen sind im Adler-Institut ausgebildet worden und verfügen über das Diplom der Spielgruppenleiterin. Zudem bilden sich alle Leiterinnen regelmässig weiter und besuchen Supervisionen. Für Spielgruppen gibt es keinen offiziellen Lehrplan. Wir führen unsere Spielgruppe nach den Leitgedanken des Unesco-Orientierungsrahmens. Dieser ist das einzige schriftliche Werk zum Thema Vorschulkinder. Zudem arbeiten wir nach den Grundsätzen der Individualpsychologie nach Alfred Adler.

Was sind das für Grundsätze?
Im Vordergrund steht jedes einzelne Kind mit seinem einzigartigen Wesen. Wir ermutigen Kinder, stehen ihnen bei und unterstützen sie in ihrem Tun. Jedes Kind ist recht, wir werten nicht und versuchen die Selbstkompetenz der Kinder zu stärken und ihnen das Gefühl zu geben, recht zu sein. Wir werken prozessorientiert. Das heisst, nicht irgend eine schöne Bastelarbeit ist das Ziel, sondern das Ausprobieren und Pröbeln, welches in diesem Alter zentral ist.

Können Smartphone-Kinder noch spielen oder nur noch wischen?
Wir haben zurzeit in den Spielgruppen 105 Plätze besetzt und stellen dieses Problem vereinzelt fest, ja. Das Problem ist die grosse Menge an Spielsachen, die Kinder überfordern. Wir haben bewusst fast keine «normalen» Spielsachen in unseren Räumen. Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, wie kreativ Kinder mit Kisten, Seilen, Kissen etc. spielen. Wir wollen die Fantasie der Kinder anregen.

Ist die Smartphone-Barriere überwindbar?
Gewiss. Ein Kind erlebt nur richtig mit Fühlen, Riechen, Tasten. Smartphones haben eine riesige Faszination auf die Vorschulkinder. Sie führen aber erwiesenermassen zu keinen Verknüpfungen im Hirn, dazu braucht ein Kind die Sinne und das Erlebnis. Nur so kann das Kind gefördert werden, mit einer spannenden, altersgerechten Umgebung, welches das Kind animiert, sich selbst zu fördern.

In welche Richtung entwickelt sich das Elternforum in Zukunft?
Wir wollen uns auch immer mehr als Familienverein etablieren. Zum Beispiel haben wir im November das Kerzenziehen während zwei Wochen, an das die ganze Familie kommen kann. Der vom Elternforum initiierte «Ferienpass Lyss und Umgebung» läuft super, fast 700 Kinder haben dieses Jahr bei den 181 Kursen mitgemacht, so viele wie noch nie! Und die Ludothek sollte noch bekannter werden.

Warum?
Ludotheken helfen wirksam gegen Spielsachen-Waste. Man muss nicht immer neues Spielzeug kaufen, sondern kann es auch mal ausleihen. Wir haben tolle, moderne Spielsachen wie zum Beispiel die komplette Kollektion an Tiptoi-Büchern. Auch Gesellschaftsspiele für jedes Alter werden angeboten. Schweizer kennen Ludotheken noch eher, Leute mit Migrationshintergrund aber noch nicht. Dabei ist es etwas, das Kinder glücklich macht und nicht viel kostet.

Abschliessend: Warum werden Spielgruppen nur von Frauen geleitet?
Es ist ein typischer Frauenberuf, da man ihn gut Teilzeit machen kann. Zudem fehlt dem Beruf die politische Anerkennung, was sich auch im Lohn niederschlägt. Ich arbeite in einem grossen Konzern und spüre aber dort einen grossen Wandel, selbst höheren Kadern Teilzeitarbeit zu ermöglichen.

Link: www.elternforum-lyss.ch

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