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Bundesfeier

Wenn die Lautsprecher still bleiben

Der Redner ist bereit – und keiner hört zu. Coronabedingt fallen fast alle Festreden weg. Einer, den man gerne eingeladen hätte, ist darüber nicht traurig: Schwingerkönig Christian Stucki ist konsequenter 1.-August-Rede-Verweigerer.

Christian Stucki referiert an sich noch gerne – am 1. August auf einem Podium sieht er sich aber nicht. Bild: Mattia Coda

Bernhard Rentsch

Sie wären bereit: Die Gedanken sind gebüschelet, die Botschaften geschärft. Zum Teil liegen längst die Manuskripte vor, der Termin beim Coiffeur ist vereinbart. Und nun dies: Auch die 1.-August-Rednerinnen und -Redner, die uns heute und morgen ihre Weisheiten «predigen» wollen, bleiben während den Coronazeiten ohne Auftritt. Die wohl besten Festreden aller Zeiten werden nie gehört. Es sind in vielen Fällen lokale Politikerinnen und Politiker betroffen, andere bekannte Persönlichkeiten und Berühmtheiten, zuweilen erfolgreiche Sportlerinnen und Sportler. Und so einen hätten wir ja eigentlich in der Region: Christian Stucki, amtierender Schwingerkönig und Sportler des Jahres 2019. Was will man mehr?
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Aber: «Zum Glück gibt es keine Feiern», entfährt es darauf angesprochen ihm, der für diese Gelegenheit nach vielen Anfragen den Terminkalender problemlos hätte füllen können. Hätte. Denn für Schwingerkönig Christian Stucki ist dies (noch) keine Bühne: «Nein, das ist nichts für mich.» Er habe noch nie an einem 1. August einen Auftritt gehabt, und er habe auch in diesem Jahr den Anfragen ausweichen können – nun letztlich den speziellen Bedingungen geschuldet, die fast alle Feiern zum Nationalfeiertag platzen liessen. Das «noch» in seiner Antwort lässt viele seiner Fans für die Zeiten nach der Sportkarriere hoffen. Das Nicht-Wollen ist aber auch mit privaten Prioritäten zu begründen: «Wir begehen diesen Festtag im Familien- und Freundeskreis. Solche Gelegenheiten sind mir heilig. Zu vieles muss ansonsten hinten anstehen.» Das mit dem Glück bezieht sich also auf die persönliche Ausgangslage, nicht die Tatsache betreffend, dass in diesem Jahr alles etwas anders ist.
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Der Stucki Chrigu – wie er mittlerweile auch ausserhalb der Schwingerszene von vielen gerufen und so quasi als «einer von uns» einverleibt wird – wäre aber doch der ideale Redner, um mit einem wohl vielbeachteten Auftritt die Zuhörerinnen und Zuhörer in seinen Bann zu ziehen? Bekannt, erfolgreich, bodenständig, heimatverbunden, gut verständlich. Zahlreiche Auftritte in der Öffentlichkeit bestätigen, dass der Lysser ein gern gesehener Unterhalter wäre – manch ein Organisator würde sich gerne mit dem Schwingerkönig auf der Bühne rühmen. «Ja eben, ein Unterhalter», lacht er. Genau deshalb sei er alles andere als ein guter ernsthafter Redner: «Ich bevorzuge es, immer wieder ein Spässlein einzubauen und nehme vieles auch gar nicht so ernst.» Dazu sei aber jetzt wirklich nicht die richtige Zeit. Da überlasse er das Podium gerne den Politikerinnen und Politikern, von denen eher Antworten zu aktuellen Herausforderungen erwartet werden als vom Schwingerkönig. Er würde eher aus seinem reich befrachteten Alltag erzählen – und dies am liebsten frei von der Leber weg. «Ich habe keine Schreiberlinge, die mir vorgegebene Inhalte vorlegen. Ich sage, was ich denke.»
Auch deshalb sei ein Auftritt als Hauptredner an einer 1.-August-Feier nicht die geeignete Form: «Da steckt viel Vorbereitung und viel Arbeit dahinter.» Und damit auch Zeit – genau das, was ihm momentan wegen seinen zahlreichen Terminen fehle.
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Ganz ernsthaft, Christian Stucki: Einmal angenommen, Sie müssten doch. Was würden Sie uns sagen? Was wäre ein möglicher Inhalt Ihrer nun nie gehaltenen 1.-August-Rede 2020? Nach kurzem Innehalten und Nachdenken folgen Sätze, die dann eben doch auf ein Podium passen würden: «Das grosse Ganze auf unserem Planeten stimmt nicht mehr. Wenige Tausend Jahre Menschheit stehen einem Zeitraum von Millionen Jahren Entstehungsgeschichte gegenüber. Und dann die letzten hundert Jahre, in denen wir sehr viel zur Zerstörung beigetragen haben.» Er sei weit weg von Schwarz-weiss-Malerei oder von Schimpftiraden. «Aber es tut uns allen gut, wenn wir überlegen, wie wir mit den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen umgehen. Etwas mehr Vernunft und hie und da ein Verzicht würde uns gut anstehen.»
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Zur aktuellen Situation in der Coronakrise will und kann Christian Stucki nicht viel sagen: «Es ist für alle unangenehm.» Er sei wie alle andern betroffen und versuche stets, die Empfehlungen einzuhalten und das Beste aus der Situation zu machen. «Da müssen und können wir aber noch viel lernen.» Eben auch hier: Vernunft und Verzicht – gerade jetzt.
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Für Christian Stucki stellt sich aus den geschilderten Gründen eine ganz zentrale Frage bei einer 1.-August-Rede nicht. Eine Frage, mit der sich viele Rednerinnen und Redner beschäftigen, möchte man doch bei den Anwesenden von der ersten Sekunde an punkten: Wie wird zu Beginn das Publikum angesprochen? Sagt man im breiten Dialekt «liebi Froue und Manne», bleibt man beim «sehr geehrte Damen und Herren» oder sind es die «Mitbürgerinnen und Mitbürger»? «Keine Ahnung», so Stucki auf die Frage, die ihm so wohl tatsächlich noch nie gestellt wurde. Lachend: «Wahrscheinlich auch das Ding mit den Mitbürgern, so komisch es auch tönt.» Voilà, halt doch ein potenzieller Festredner … 

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