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Aarberg

Wie aus Rüben Zucker wird

In der Zuckerfabrik Aarberg ist die Rübenkampagne angelaufen. Wegen der schlechten Ernte zwei Wochen später als sonst. Bis Mitte Dezember werden aber dennoch gegen 700 000 Tonnen Zuckerrüben zu Kristallzucker verarbeitet.

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von Peter Staub

Seit Mitte letzter Woche sind im ganzen Seeland die Rübentransporter unterwegs. Mit Traktoren und mit Zuckerrüben beladenen Anhängern fahren Bauern und Lohnfahrer die Ernte in die Fabrik, wo die Knollen zu Kristallzucker verarbeitet werden. Für die Zuckerfabrik Aarberg ist der Beginn der Rübenkampagne jeweils eine Herausforderung. «Zu Beginn müssen wir unsere Anlagen während rund drei Tagen hochfahren, um auf das Verarbeitungsniveau von 420 Tonnen pro Stunde zu kommen», erklärt Martin Wanner, Mitglied des technischen Büros der Zuckerfabrik. Während der Kampagne läuft die Anlage rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche. «Wir produzieren täglich rund 1000 Tonnen Zucker», sagt Wanner, der seit 21 Jahren in der Zuckerfabrik arbeitet.

Die Zuckerfabrik organisiert regelmässig Betriebsführungen durch die Anlage in diesem Jahr vom nächsten Montag bis am 15. Dezember. Martin Wanner führt solche Führungen regelmässig durch. Das BT hat ihn auf einem Rundgang begleitet: Von der Anlieferung der Rüben bis ins Lager, wo der abgepackte Zucker verladen wird.

 

Kalkstein aus dem Jura
Bereits vor der Reeption am Eingang der Fabrik liegt der schwere, süssliche  Zuckerrübengeruch in der Luft, der die Bewohner Aarbergs in den nächsten drei Monaten begleiten wird. Am Empfang der Fabrik ist an diesem Morgen die Aarbergerin Renate Bischof im Dienst. Sie arbeitet Teilzeit und bedient die Telefonzentrale für die Schweizer Zucker AG und für Ricoter. Nach einer KV-Lehre auf einer Bank bezog sie Mutterschaftsurlaub und stieg vor zweieinhalb Jahren in der Zuckerfabrik wieder ins Berufsleben ein. «Mir gefällt die Abwechslung, es ist immer etwas los», sagt sie.  

Der Rundgang beginnt eigentlich bei der Abladestation. Um aber von der Reception dorthin zukommen, passiert man vorab den Kalkofen, der für den ersten Lärm auf dem Gelände sorgt. «Wir brennen pro Tag ungefähr 180 Tonnen Kalkstein. Die Steine werden mit etwa 1000 Grad Celsius gebrannt und dann mit Saft gelöscht, was die Kalkmilch ergibt», erklärt Wanner. Pro Tonne Rüben werden zirka 18 Kilogramm Kalkstein, der aus dem Jura stammt, verbraucht. Der Kalkofen ist mit seinen rund 40 Metern Höhe imposant, wie die gesamte Anlage, die sich auf einem rund ein Quadratkilometer grossen Gelände ausdehnt.

Neben dem Kalkofen befindet sich die Einfahrt für die Rübentransporteure. Hier herrscht Hochbetrieb, aber die Bauern stehen mit Traktoren und Anhängern im Stau. Am Anfang der Kampagne gibt es immer Probleme zu lösen, da neue Anlagen justiert werden müssen. Deshalb stockt der Verkehr momentan vor der Abladestation. «Aber das wird sich im Verlauf des Tages normalisieren», sagt Wanner.

Einer der Bauern, die darauf warten, ihre Ladung zu löschen, ist Martin Mollet aus Rüti. Er hat zirka 25 Tonnen Rüben geladen. Jedoch nicht seine eigenen. «Ich habe zwar selber auf rund sieben Hektar Rüben angebaut, aber diese hier stammen aus Brügg, ich führe sie im Lohn für den Rübenring nach Aarberg», sagt der gelernte Landwirt, der neben Rüben auch Getreide und  Sonnenblumen anbaut. Es sei sein erster Tag in dieser Kampagne. Losgefahren ist er um 6.15 Uhr und nun wartet er seit knapp einer halben Stunde darauf, die Rüben abzuladen. «Das ist eigentlich nicht üblich, kann aber vorkommen, bis sich alles eingespielt hat», sagt der 36-Jährige.

Bevor er seine Rüben schliesslich entladen kann, passiert Mollet das Rübenlabor, wo er mit einem Rohr von oben in die Ladung sticht und so eine Probe von zirka 35 Kilogramm entnimmt. Diese wird automatisch ins daneben liegende Labor transportiert, wo der Zuckergehalt gemessen wird. «Pro Kampagne nehmen wir rund 40 000 Proben», erläutert Martin Wanner.  Bis diese alle analysiert sind, dauert es eine Weile. Die Bauern wissen also nicht gleich, wie zuckerhaltig ihre Rüben sind. Die Ladung wird ihnen später verrechnet. «Ab 16 Prozent Zuckergehalt erhalten die Bauern einen Zuschlag», erklärt Wanner. Normalerweise haben die Rüben einen Gehalt von 17 Prozent, je nach Feld kann dieser Wert aber bis auf 20 Prozent steigen.

 

Wasser spült Rüben in Kanal
Während die Bauern mit ihren Traktoren auf zwei Spuren darauf warten, ihre Ware abzuliefern, kommen hinter dem Rübenlabor volle Eisenbahnwagen aus der weiteren Umgebung an. Diese werden erst in der Nacht abgeladen, wenn die Bauern fort sind.

Die Unterlage bei der Abladestation ist leicht geneigt. So können die Rüben mit einem starken Wasserstrahl besser aus den Wagen gespült werden. Danach kommen sie in einen Kanal, wo sie zusammen mit dem Wasser durch zwei starken Pumpen weiterbefördert werden. Das Wasser macht dabei etwa vier Fünftel der Transportmenge aus. «Das Wasser wird von uns wieder aufbereitet, so dass es sich in einem permanenten Kreislauf befindet», erklärt der Besucherführer. Zuerst fliesst das verbrauchte Wasser in den Biogasreaktor, wo Methangas produziert wird. Dieses Biogas deckt etwa fünf Prozent des Gesamtenergiebedarfs der Fabrik. Der Rest wird noch mit Erdgas gedeckt, bis das geplante Holzkraftwerk in Betrieb ist. Ausserhalb des Fabrikgeländes gibt es die betriebseigene Kläranlage, wo das Restwasser gereinigt wird. «Diese Kläranlage ist so gross, dass wir damit die Abwasser der Stadt Bern reinigen könnten», sagt Wanner stolz.

 

Ölgemälde zieren den Weg
Die Abrechnung für die Bauern ist automatisiert: Alle Traktoren verfügen über eine Kodierung. Bei der Einfahrt auf das Gelände wird auf einer Waage ihr Gewicht registriert. Wenn sie wieder rausfahren, werden sie erneut gewogen: Die Differenz wird den Bauern gutgeschrieben. «Für die Steine, den Dreck oder das Kraut, das noch an den Rüben hängt,  bezahlen wir denselben Preis wie für die Rüben», erklärt Wanner.

Von einer Passerelle, die quer über die Anlage führt, hat man einen guten Blick auf die Abladestation. Hier sorgtder starke Wasserstrahl für Lärm.  Auf der in Blau gehaltenen Stahlbrücke steht überraschend ein buntes Ölgemälde, das einen bemerkenswerten Kontrast zur sonst äusserst funktionellen Fabrik bietet. Martin Wanner klärt auf: Auf die ganzen Anlage verteilt, sind während der diesjährigen Kampagne 14 solcher Bilder ausgestellt. Gemalt wurden sie vom in Lyss wohnhaften Miroslaw Halaba, der nicht nur Kunstmaler ist, sondern auch als französischsprachiger Besucherführer in der Zuckerfabrik arbeitet. An zwei speziellen Führungen wird Halaba seine Werke kommentieren.

Die Anlieferung der Rüben beginnt jeweils um 6 Uhr, abends ist in der Regel um 18 Uhr Schluss. Aber: «Wir müssen die Menge von mindestens 6000 Tonnen pro Tag erreichen», sagt Wanner. Deshalb sei es auch schon vorgekommen, dass erst ziemlich spät Schluss war. Eine Pause über Mittag gibt es nicht.

Die nächste Station des Rundgangs ist das Rübenwaschhaus. Ein Teil der von Steinen, Erde und Kraut befreiten und gewaschenen Rüben geht direkt in die Fabrik, der andere Teil kommt ins Rübensilo. Der Transport erfolgt über Förderbänder mit einer Geamtlänge von gegen 100 Meter. Im Waschhaus ist der süsse Geruch noch intensiver als an der frischen Luft. Wie geht der gelernte Maschinenmechaniker Wanner mit dem fast schon betörenden Duft um?  «Ich mag ihn gern, er gehört zur Zuckerfabrik», sagt er.

Ausserhalb des Waschhauses kann man das  Rübensilo überblicken, das 12000 Tonnen Rüben fasst.Daraus werden die Rüben für die Verarbeitung am Wochenende entnommen. Allerdings reicht das volle Silo bloss für einen Tag und ein paar Stunden, darüber hinaus kommen die Rüben aus den Eisenbahnwagen zum Zug. Hinter dem Rübenwaschhaus befindet sich ein Wasserbecken mit einem Durchmesser von  60 Meter, wo die Erde vom Wasser getrennt wird.

Auf dem Weg zur nächsten Station kommen wir an einem grossen Haufen sogenannter Pressschnitzel vorbei. Sie bleiben zurück, nachdem dieRüben zerschnitten wurden und den daraus entstehenden Schnitzeln der Zucker entzogen wurde. Etwa 20 Prozent einer Rübe bleiben so zurück. Gebraucht werden die Schnitzel zum Silieren oder direkt als Tierfutter. Stündlich fallen rund 80 Tonnen Pressschnitzel an. Da die Anlage rund um die Uhr läuft, werden sie in der Nacht zu Ballen gepresst und gelagert.
Bevor die Schnitzel ausgesondert werden können, müssen die Rüben mit einem Band in die Schneidemaschine transportiert werden. Von da kommen sie in den Extraktionsturm, wo die Entzuckerung stattfindet und neben den Schnitzeln der erste Zuckersaft entsteht.

In der nächsten Station, der sogenannten Carbonatation, befinden sich mehrere Meter hohe Chromstahltanks. Aus dem Extraktionsturm fliesst der trübe Rohsaft in diese Behälter, wo mit der Kalkmilch und dem CO2 in mehreren Stufen die Unreinheiten so ausgefiltert werden, dass am Schluss ein dünner klarer Saft zurückbleibt.

 

17 Jahre Erfahrung in England
In diesem rund 25 Meter hohen Gebäude befinden sich drei Zwischengeschosse. Auf dem Sechs-Meter-Boden steht der zentrale Leitstand. Techniker überwachen hier die Anlage auf rund einem Dutzend Monitoren und noch zahlreicheren Diagrammen. Daneben liegt ein weiteres Labor. In diesem werden die Werte der Tankinhalte laufend analysiert. Im Leitstand arbeiten in diesem Moment ein halbes Dutzend Angestellte, unter ihnen Steve Howe. Der Engländer ist seit einem Jahr Werkleiter in Aarberg. Er habe 17 Jahre lang in der englischen Zuckerindustrie gearbeitet, bevor er vor vier Jahren in die Schweiz kam, sagt der 50-jährige Elektoringenieur. Zuerst war er in Frauenfeld tätig, bevor er im letzten Oktober Betriebsleiter in Aarberg wurde. Grosse Unterschiede zwischen England und der Schweiz sieht er nicht: «Der Produktionsprozess ist ähnlich, auch der Druck, effizient zu produzieren und ständig zu optimieren.» Zurzeit lebt Howe noch in Schaffhausen. Pro Woche ist er ist aber vier Tage in Aarberg und einen Tag in Frauenfeld. Nun plant er, mit seiner Frau in die Umgebung von Aarberg zu ziehen.

Die Angestellten im Leitstand sind per Funk mit ihren Kollegen verbunden, die auf der Anlage Klappen bedienen oder Regler einstellen. «Im Moment haben wir alle Hände voll zu tun», sagt Wanner. Pro Schicht sind 26 Leute im Einsatz. Ein Teil der Belegschaft arbeitet jedoch zu den gewöhnlichen Arbeitszeiten, etwa jene, die in der Verpackerei tätig sind.

Hinter dem Leitstand stehen die acht riesigen Chromstahl-Kessel der Verdampfstation: Sie sorgen dafür, dass der dünne Saft so eingedickt wird, dass er schliesslich zu drei Vierteln aus Zucker besteht. «Das nennen wir den Dicksaft», erklärt Wanner. Auf einer Tafel in der Werkstatt sind die Berufe angeführt, für die es in der Zuckerfabrik Stellen gibt. Polymechaniker, Elektromonteure und Kaufleute werden nicht nur beschäftigt, sondern auch ausgebildet. Dazu kommen Ingenieure, Schweisser, Schreiner und andere.

Der Rundgang führt erst jetzt in das Gebäude, das als Herz der Zuckerfabrik gilt: die Raffinerie. «Hier wird der Dicksaft in Behälter gefüllt, die je etwa 80 Tonnen aufnehmen können», erläutert Wanner. Um die Kristallisation zu fördern wird eine Art Puderzucker zugegeben. Um jedes Staubkorn herum bildet sich ein Kristall. «So können wir Zeit gewinnen. Den Puderzucker stellen wir natürlich selber her,  erklärt der passionierte Berggänger.

Die Anlagen glänzen im Sonnenlicht, das durch die grossen Fenster im Süden des Gebäudes einfällt. Hier ist nichts mehr vom Zuckerrübengeruch zu merken. In den Kristallisatoren wird dem Dicksaft unter Vakuum weiter Wasser entzogen: Die Zuckerkristalle wachsen. Auch hier ist es relativ laut. Von der Kristallisation sehen die Besucher jedoch nicht viel, da es sich um einen geschlossenen Prozess handelt. Hier wird zwischen Weiss-, Roh- und Nachproduktzucker unterschieden. Je länger die Kristallisation dauert, desto aufwendiger wird sie.

 

Melasse für Gewürze und Tabak
In der Zentrifugenstation besteht die Masse je zur Hälfte aus Zuckerkristallen und zähflüssigem Sirup. In den Zentrifugen werden Kristalle und Sirup getrennt. Der Sirup wird erneut kristallisiert, dabei entstehen Rohzucker und Melasse. Der Rohzucker wird aufgelöst, filtriert und erneut kristallisiert, bis schliesslich weisser Zucker entsteht. «Irgendeinmal lohnt es sich aber nicht mehr, noch mehr Zeit und Energie zu investieren, sodass am Ende das sogenannte Nachprodukt als Melasse zurückbleibt», erklärt der dreifache Grossvater. Die Melasse wird als Tierfutter, Backhefe und für Gewürze genutzt. «Ich habe gehört, man braucht die Melasse sogar, um Tabak einzufärben», sagt Wanner und lacht. Diese Melasse hat mit jener nichts zu tun, die man aufs Brot streicht. «Unsere Melasse ist bitter», erklärt der 56-Jährige. Pro Minute werden etwa 700 Kilogramm feuchter Kristallzucker produziert, der in Trommeln getrocknet und anschliessend ausgesiebt und gelagert wird.

Wieder an der frischen Luft, sehen wir die drei Silos, die den fertigen Kristallzucker enthalten. Sie haben ein Fassungsvermögen von insgesamt 60000 Tonnen. Mit den Dicksaft-Tanks sind sie eine Art Wahrzeichen der Zuckerfabrik. In den zwei Dicksaft-Silos, die für je 20000 Tonnen Platz haben, wird übrigens der Sirup, der nicht gleich zu Zucker verarbeitet wird, zwischengelagert. Im Frühling wird die Anlage ein zweites Mal hochgefahren, um den Dicksaft zu Zucker zu verarbeiten.

Die vorletzte Station des Rundgangs ist die Verpackstation. Diese läuft unabhängig von der Rübenkampagne, da sie ihren Zucker aus den Silos bezieht. Um die Verpackstation zu besichtigen, erhalten wir saubere graue Kittel. Und wir müssen eine Haube tragen, um den schönen weissen Zucker nicht zu verunreinigen.

Hier arbeiten in der Regel rund acht Personen. Sie packen den Zucker nicht nur in 1-Kilo-Säcken ab, sondern stellen auch Würfelzucker her. Wobei dieser ist nicht mehr so aktuell ist. «Wir verpacken vermehrt die kleinen Sachets, die in die Gastronomie gehen», sagt Wanner. Die Papiersäcke werden von einer Maschine vor Ort geformt. Obwohl auch hier alles weitgehend automatisiert ist, braucht es Personal, das die Prozesse überwacht. Dazu gehört Maschinenführerin Ursula Staudenmann aus Täuffelen, die demnächst ihr 40-Jahr-Dienstjubiläum feiert. «Seit ich angefangen habe, hat sich sehr viel geändert. Vor allem der Maschinenpark ist völlig anders», erzählt sie.

 

«192 unfallfreie Tage»
Zuletzt machen wir im Lager Halt, wo Industrieroboter, die in Plastik eingeschweissten Kilosäcke auf Paletten packen und ein automatisch geführtes Wägelchen die fertigen Paletten abholt. In die Bahnwagen oder die Lastwagen verladen werden die Paletten dann aber doch von Menschen mit Gabelstaplern. Hier liegen auch grosse weisse Säcke mit einer Tonne Zucker darin und braune Säcke mit 50 Kilogramm schweren Säcken. Die «Big Bags» gehen an Grosskunden. Die 50-Kilo-Säcke sind etwa für Bäckereien bestimmt.  «Der grösste Teil unseres Zuckers liefern wir jedoch als losen Zucker in Zisternenwagen aus», sagt Wanner. Bevor er in Aarberg anheuerte, war er übrigens eine Zeit lang im Waadtland in einer Firma tätig, die Zahnarztbesteck herstellte. «Heute mache ich den Zucker, damit meine ehemaligen Kollegen Arbeit haben», sagt er und lacht. 

Am Ende des Rundgangs entdecken wir bei der Receptiton eine digitale Anzeigeafel: «192 unfallfreie Tage», heisst es darauf. Es wäre dem Personal der Zuckerfabrik gönnen, dass diese unfallfreie Zeit auch während der Kampagne anhält.

 

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«Wir haben Mühe, genügend Rüben zu erhalten»

Wenn künftig in der Schweiz noch weniger Zuckerrüben angebaut werden, steht die Zukunft der Zuckerfabrik Aarberg auf der Kippe. Guido Stäger, CEO der Schweizer Zucker AG, sieht jedoch Alternativen zur heutigen Produktion.

Guido Stäger, ist die Zuckerfabrik in Aarberg am Ende, wenn es zu einem Agrar-Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union (EU) kommt?
Guido Stäger: Der Schweizer Zuckerpreis war in den letzten Jahren sehr nahe am EU-Preis. Daher wären wir davon nicht besonders stark betroffen. Aber ein solches Abkommen macht für die Schweizer Landwirtschaft grundsätzlich keinen Sinn. Unsere Strukturen sind kleinzelliger. Wir können uns an der EU orientieren, aber für nachhaltig in der Schweiz produzierte Nahrungsmittel müssen die Schweizer Kunden bereit sein, einen Mehrpreis zu bezahlen.

Der Weltmarktpreis für den Zucker ist im Keller: Hat die Schweizer Zuckerproduktion überhaupt eine Zukunft?
Wir hoffen, dass der Zuckerpreis wieder steigt, denn momentan ist er auf einem absoluten Tiefpunkt. Auf dem Weltmarkt kostet ein Kilogramm Zucker 30 Rappen. Das ist auch in Brasilien und Indien nicht kostendeckend. Dass Indien Zucker für den Export subventioniert, drückt den Weltmarktpreis nach unten. In der EU sieht es ähnlich aus: Die Aufhebung der Kontingentierung führte zu einem Produktionszuwachs von 20 Prozent im letzten Jahr, der Preis fiel auf unter 40 Rappen. Auch das ist nicht rentabel. Aber der überschüssige Zucker aus der EU muss irgendwohin exportiert werden. Dafür ist die Schweiz eine sehr gute und sehr nahe gelegene Adresse.

Wie viel Zucker müssen Sie in Aarberg herstellen, um die Anlage profitabel zu betreiben?
Für Aarberg ist eine Kampagne gut, die zwischen 90 und 100 Tagen dauert. Das haben wir im letzten Jahr erreicht, da produzierten wir gut 140000 Tonnen Zucker. Dieses Jahr werden wir wegen der extremen Trockenheit deutlich darunter liegen. Deshalb haben wir erst letzte Woche mit der Kampagne begonnen.

Sie sind also knapp unterwegs?
Ja, wir sind ein wenig unterausgelastet.

Deshalb könnte es in der Schweiz bald nur noch eine Zuckerfabrik geben. Sie sind Direktor von Aarberg und Frauenfeld. Welche Fabrik würde zuerst aufgegeben?
Ob es einmal nur noch eine Fabrik geben wird, ist eine Frage des Marktes und des Anbaus. Wegen der tiefen Preise haben wir Mühe, genügend Rüben zu erhalten. Wenn wir weiterhin jedes Jahr weniger Rüben erhalten, wird sich diese Frage früher oder später stellen. Andererseits kann der Schweizer Markt unseren Zucker gut aufnehmen. Wir sind nur etwa zu 70 Prozent Selbstversorger, das Produktionspotenzial ist also vorhanden.

Nochmals: Welche Fabrik würde geschlossen?
Dafür müssten wir eine detaillierte Analyse machen. Wir erhalten mehr Rüben aus der Westschweiz. Der Zucker aber wird eher rund um Zürich verarbeitet. Deshalb wird bei einer solchen Analyse die Logistik sehr wichtig sein. Zudem produzieren wir mehr Press-Schnitzel als Zucker. Bei diesem günstigen Futtermittel sind die Transportkosten entscheidend. Aus logistischer Sicht macht eine Konzentration auf einen Standort kaum Sinn.

Falls die Zuckerfabrik Aarberg nicht mehr rentieren würde: Wofür könnte man die Anlage sonst nutzen?
Unsere Anlagen sind sehr spezifisch. Da kann man nicht einfach etwas anderes produzieren. Aber es gäbe die Möglichkeit, etwas Zuckernahes zu machen. Wir könnten in Zukunft zum Beispiel vermehrt Dicksaft importieren und daraus Zucker herstellen. In Frauenfeld machen wir Versuche, um aus den Rübenschnitzeln Pektin zu extrahieren. Pektin ist ein Geliermittel, das man für die Stabilisierung von Joghurt, Konfitüre und anderen Lebensmitteln verwendet.

Sie bauen ein Holzkraftwerk. Ist das bereits ein neues Standbein?
Dieses Holzkraftwerk ist eng an die Rübenverarbeitung gebunden. Die Energiekosten gehören zu den grössten Ausgabeposten, diese wollten wir langfristig senken. Gleichzeitig werden wir deutlich nachhaltiger produzieren und zwei Drittel unseres Energiebedarfs durch CO2-neutrale Brennstoffe decken. Dafür haben wir mit Partnern dieses Altholzkraftwerk geplant, das Dampf und Elektrizität produziert. Den Dampf nutzen wir, um Zucker zu produzieren. Ohne Zuckerproduktion hätte das Kraftwerk Mühe, zu bestehen.

Der Rübenanbau im Seeland geht zurück weil dieser zu wenig rentiert. Importieren Sie Rüben aus dem Ausland, um die Anlagen auszulasten?
Der Import ist eine logische Folge. Weil der Zuckerpreis in der Schweiz gefallen ist, haben wir Mühe, genügend Rüben zu erhalten. In Frauenfeld sind wir so nahe bei Süddeutschland, dass es Sinn macht, dort Rüben einzukaufen. In Aarberg aber haben wir keine ausländischen Rüben.

Engagieren Sie sich in der Diskussion um die dritte Juragewässerkorrektion, um die Zukunft des Grossen Mooses?
Wir sind nicht direkt involviert. Aber wir sind sehr daran interessiert, dass diese Anbauflächen erhalten bleiben. In der Fruchtfolge kann die Zuckerrübe einen Beitrag leisten. Wir führen die Erde, die mit den Rüben in die Fabrik kommt, zum grössten Teil zurück in den Kreislauf, allerdings als Gartenerde in Ricoter-Produkten. 

Bei den Agrarinitiativen war die lokale Produktion ein wichtiges Thema. Wie bringen Sie die Kunden dazu, Schweizer Zucker zu kaufen?
Für die Schweizer Herkunft machen wir seit Jahren Werbung. Wir sind grundsätzlich daran interessiert, dass die Kunden möglichst viele Nahrungsmittel aus dem Inland kaufen, Zucker oder Gemüse. Wir haben Studien gemacht, die belegen, dass wir deutlich nachhaltiger produzieren, als dies in Europa sonst der Fall ist. Zum Beispiel verfeuern wir in der Schweiz keine Braunkohle und achten auf eine geordnete Fruchtfolge. Wir haben zudem noch viele Betriebe, die eigenen Hofdünger und damit weniger Kunstdünger verwenden. Allerdings ist es manchmal schwierig, den Kunden verständlich zu machen, dass diese Nachhaltigkeit zu höheren Produktkosten führt.

Die Anlieferung der Zuckerrüben erfolgt jedoch nur zur Hälfte mit der Bahn.
Wir haben nicht das Ziel, diesen Anteil zu erhöhen. Mit der heutigen Infrastruktur ist es nicht sinnvoll, die Rüben mit dem Traktor zu einem Bahnhof in der Nähe der Fabrik zu fahren, um sie dort auf den Zug umzuladen. Innerhalb von 30 Kilometern ist es besser, die Rüben direkt mit den Traktoren in die Fabrik zu liefern. In einem Umkreis ab 40 Kilometer hingegen ist die Kombination Traktor/Bahn sicher besser.

Warum gibt es eigentlich kaum Biozucker aus der Schweiz zu kaufen?
Wir sind in Europa nicht der grösste Produzent für Biozucker, aber für unsere Grösse sind wir gut unterwegs. Im letzten Jahr haben wir 6000 Tonnen Biozucker hergestellt. In diesem Jahr werden es rund 8000 Tonnen sein. Unser Biozucker kommt zu 90 Prozent von Rüben aus dem grenznahen Deutschland. Ihr Anbau ist sehr arbeitsintensiv. Und in der Schweiz ist die Arbeit teurer als im nahen Ausland. Seit zwei Jahren haben wir aber ein Projekt, in dem die Bauern eine zusätzliche Prämie erhalten. Das hat dazu geführt, dass wir die Anbaufläche für Biorüben in der Schweiz verdoppeln konnten.

In der Wirtschaft ist zurzeit der Fachkräftemangel ein grosses Thema. Haben Sie Probleme, in Aarberg genügend gut qualifiziertes Personal zu finden?
Der Fachkräftemangel ist auch bei uns ein Thema. Unsere Strategie besteht darin, viele Lernende auszubilden: Mechaniker, Elektriker, Logistiker, Kaufleute. In beiden Fabriken sind das insgesamt über 30 Lernende, bei rund 250 Angestellten. Wir hoffen, dass der eine oder andere bleibt oder wieder zurückkommt.   

Zu hoher Zuckerkonsum gilt als ungesund. Produzieren Sie also ein ungesundes Lebensmittel?
Dass zu viele Leute zu viele Kalorien zu sich nehmen, stimmt wahrscheinlich. Zucker aber bringt Energie und soll Freude bereiten. Es ist eine Frage des Masses, ob Zucker ungesund ist. Zuckerreduzierte Lebensmittel sind oft kalorienhaltiger als solche mit Zucker. Nur bei den Getränken ist das anders, dort hat man die Wahl zwischen natürlichem Zucker und anderen Süssstoffen. Jeder muss selbst entscheiden, was für ihn besser ist: Auf fast jedem Lebensmittel ist der Zuckeranteil klar deklariert.

Wie sieht es mit Ihrem persönlichen Zuckerkonsum aus?
Den Milchkaffee am Morgen trinke ich ohne Zucker. Tagsüber jedoch trinke ich den Espresso gesüsst. Ich mag Süsses, aber in vernünftigem Mass.

 

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Zur Person

Guido Stäger, CEO Schweizer Zucker AG

 

- Der 58-jährige Guido Stäger ist auf einem Bauernbetrieb in Steinach (SG) am Bodensee aufgewachsen. Er wohnt seit sechs Jahren in Studen.

- Ausbildung als Lebensmittelingenieur an der ETH. Anschliessend arbeitete er zuerst bei Nestlé und leitete dann die Produktion der Chocolaterie Camille Bloch in Courtelary. Seit sieben Jahren ist er Direktor der Schweizer Zucker AG.

- In seiner Freizeit kümmert er sich gerne um den Garten, fährt Rad und macht generell gern Sport in der Natur.

 

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Zahlen und Fakten zur Zuckerfabrik


- Die Zuckerfabrik Aarberg wurde am 16. November 1912 gegründet und am 13. Oktober 1913 in Betrieb genommen. Rund 150 Angestellte, 10 davon Auszubildende, arbeiten normalerweise in der Fabrik. Während der Kampagne kommen weitere 25 Mitarbeiter dazu. In dieser Zeit wird an sieben Tagen pro Woche rund um die Uhr gearbeitet.

- Die Rübenkampagne dauert in diesem Jahr vom 3. Oktober bis Mitte Dezember. Dabei werden täglich bis zu 10 000 Tonnen Rüben verarbeitet. Daraus entstehen ungefähr 1000 Tonnen Kristallzucker,  600 Tonnen Zucker in Dicksaft, 300 Tonnen Melasse, 1700 Tonnen Pressschnitzel und 110 Tonnen Trockenschnitzel.

- Nach der Verarbeitung wird der Kristallzucker in drei Silos mit einer Gesamtkapazität von 60 000 Tonnen gelagert. Die Verpackung für Detailhandel und Industrie erfolgt während des ganzen Jahres.

- Der Zucker wird für den Direktkonsum in 1-Kilogramm-Beutel, als Würfelzucker, als Sachets oder Sticks abgepackt.

- Die Abwasserreinigung erfolgt in der betriebseigenen Kläranlage. Diese hat eine Kapazität, die für eine Stadt mit 260000 Einwohnern reichen würde. Wasser und Rübenerde werden getrennt, das Schmutzwasser in einer Biogasanlage vorgereinigt und in einer biologischen Kläranlage nachgereinigt.

www.zucker.ch

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