Sie sind hier

Abo

Festtagsserie

Zwölf Gänge und ein leerer Teller am Tisch

Barbara Osmola lebt seit 14 Jahren in der Schweiz. Mit ihrer Familie pflegt sie die Weihnachtsbräuche aus ihrer Heimat Polen. Mit dabei: Klebende Oblaten und ein Hund, der weiss, woher der Traumpartner kommt.

Feiern Weihnachten auf Polnisch: Barbara Osmola mit ihrer sieben Jahre alten Tochter Noemi. Daniel Müller
  • Dossier

Marc Schiess

Der polnische Advent kommt erst am 24. Dezember in Schwung. Dann aber gleich richtig.

Barbara Osmola feierte bereits am 1. Dezember. An diesem Tag war die gebürtige Polin genau fünf Jahre lang Wirtin des Restaurant Rössli in Ins. Drinnen in der vollen Gaststube wartet niemand lange.

Flinke Hände und Füsse braucht die 35-jährige Inserin auch für die Vorbereitung des «Wigilia», des 12-gängigen Weihnachtsessens. Der Gebrauch will, dass dieses erst am 24. Dezember selbst zubereitet wird. Heisst: Bis Mittag ist Barbara Osmola im Restaurant, ab Nachmittag kocht sie mit ihrer Schwägerin, die siebenjährige Tochter hilft mit. Am Abend trudeln die in der Schweiz lebenden Brüder mit ihren Familien und ihr Freund ein.

Das polnische Weihnachtsfest lebt von den unzähligen Ritualen und Regeln. «Am 24. Dezember wird wenig oder gar kein Fleisch gegessen», sagt Osmola. Bis am Abend ist Fastenzeit: «Wir warten, bis die ersten Sterne am Himmel zu sehen sind». Dann wird gebetet, man nimmt die Oblaten und wünscht sich Gutes, anschliessend geht es zu Tisch. Die einzelnen Gänge werden in einer traditionellen Abfolge serviert. «Wir beginnen mit Kapusniak, einer Sauerkraut- oder Kabis-
suppe mit einer Art Rapsöl und separaten Salzkartoffeln sowie Borschtsch (siehe Rezept).»

Am Tisch wird jeweils für eine weitere Person gedeckt. So teilt die Familie symbolisch das Essen mit einem einsamen Menschen – oder lädt diesen gleich ein, was in Osmolas Familie öfters passierte.

Es folgen Variationen vom Karpfen, Pierogi, eine Art Ravioli mit Sauerkraut und Pilzen und Uszka, ganz kleine Ravioli. Der Karpfen wurde früher zu Sowjetzeiten in der Badewanne gehalten und erst am Weihnachtsabend geschlachtet, damit er frisch ist. Auch die Omelette gehört zum 12-Gänger. Auf polnisch heisst sie Racuchy und wird mit Puderzucker, Konfitüre oder Pflaumenmus serviert.

Alkohol wird wenig gereicht. Beliebt ist ein Getränk mit getrockneten Äpfeln, die mit Zucker in heissem Wasser eingeweicht werden.

Der polnische Humor zeigt sich in den spielerischen Ritualen: So wird eine Oblate mit etwas Kartoffelstock unter den Teller geklebt. Bleibt sie haften, wenn man den Teller anhebt, gibt es ein gutes Jahr. Wenn sie abfällt, «dann es geht so», sagt Osmola lachend.

Heiratsspiele mit Schuhen

Als Jugendliche musste sie nach dem Essen zusammen mit ihren acht Geschwistern vors Haus und lauschen, aus welcher Richtung ihr Hund bellt. Von dort werde dann der zukünftige Partner kommen. Bei einem anderen Spiel geben alle noch nicht Verheirateten einen Schuh. Die Schuhe werden von einer Wand bis zur Haustüre abwechselnd hintereinander gelegt. Jener Schuh, der die Haustür zuerst erreicht, dessen Besitzer oder Besitzerin wird zuerst heiraten. Die Spiele helfen auch, die Zeit zu überbrücken. Um Mitternacht verschiebt die ganze Familie in die Kirche. Nach einer etwa einstündigen Predigt zurück zuhause werden die Fleischgerichte des 12-Gängers aufgetischt: Bigos, ein Kabis-Fleischeintopf und Flacki, Kutteln mit Poulet, Ente und Bouillon.

Wenn das Essen fertig ist, steht niemand auf. Der Vater oder die Älteste nimmt alle Löffel von den Tellern und bindet sie zusammen. Ein Zeichen, dass alle zusammen gehören. Erst um etwa fünf Uhr morgens endet der polnische Heiligabend.

Globaler Schokoladentrick

Der 25. Dezember fängt gemächlich an und gehört ganz der Familie. Am Abend werden die Tannenbaumkerzen angezündet. Der Baum bleibt bis mindestens zum 6. Januar im Haus – dann wird er vom Pfarrer mit Weihwasser gesegnet. Als Dekoration ganz wichtig ist – «Schokolade!». In Kindertagen stibitzte Barbara Osmola zusammen mit ihren Geschwistern den süssen Inhalt und formte die Aluminiumfolie in die Originalform zurück, sodass die Eltern nichts bemerken sollten. Gewisse Bräuche sind eben überall gleich.

*     *     *     *     *     *

Rezept Borschtsch

Die polnische Randensuppe für zirka zehn Portionen. Oft mit selbstgemachten Pilzravioli («Pierogi») serviert.

Zutaten:

  • • 6–7 getrocknete Waldpilze
  • • 7–8 rohe Randen
  • • 4 Liter Wasser
  • • 2 Zwiebeln, halbiert
  • • 5 Esslöffel Pflanzenöl
  • • 4 Lorbeerblätter
  • • Salz, Pfeffer, 10 Pimentkörner
  • • Saft von 1 Zitrone
  • • 1 Bund frischen Peterli, gehackt (optional)

Pilze 30 Minuten in kaltem Wasser einweichen. Randen putzen, zurechtschneiden und in einem Topf mit Wasser 30 Minuten weich kochen.

Randen schälen und der Länge nach in Streifen schneiden. In einen Topf geben und mit Wasser bedecken. Zwiebeln, abgegossene Pilze, Piment, Lorbeerblätter, Zucker, Pfeffer und Salz hinzufügen und 30 Minuten köcheln.

Zitronensaft und Öl hinzufügen und ein paar Minuten weiter kochen. Abschmecken und mit Peterli garniert servieren. msc

Nachrichten zu Seeland »