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Homosexualität

Wie frei ist die freie Liebe?

Reisen können für gleich-geschlechtliche Paare unangenehm werden – oder gefährlich. Wie frei leben Schwule in der Region und auf der Welt?

Länderraking 2017: In Russland und der Türkei sind Schwule besonders schlecht gestellt. Grafik: BT/ta, Quelle: ILGA-Europe

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Clara Gauthey


Beim eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) zählt man Reisewarnungen für Schwule offenbar nicht zu den Pflichten. Verlässliche Informationen über Gefahren für Homosexuelle, Transgender oder Lesben im Ausland sind schwer zu finden. Der in Lyss wohnhafte Co-Präsident des Schwulendachverbandes Pink Cross, Michel Rudin, sagt: «Die Botschaften anderer Länder wie Holland oder die USA feiern in ihren Auslandsvertretungen den ‹Coming Out Day›.» Die_Schweiz dürfte ruhig mutiger agieren.


«Heteronormative Gesellschaft»
Er persönlich habe kaum je Repressionen aufgrund seiner Homosexualität erfahren, sagt Rudin – weder als Sporttrainer noch als Politiker. Im Gegenteil: «Wenn man bewusst und unaufgeregt dazu steht, zu einer Minderheit zu gehören, wird das durchaus geschätzt.» Der Umgang der Schweizer sei entspannt, dennoch vermeideten Paare oft, sich im öffentlichen Raum händchenhaltend oder küssend zu zeigen. Es herrsche eben die «heteronormative Gesellschaft». Optisch entspreche er selbst diesem Bild. «Ich kann also nicht sagen, wie es für mich gewesen wäre, wenn ich bauchfrei unterwegs gewesen wäre.» Geschätzt 400_000 Schwule und Lesben gebe es in der Schweiz – das müsse mehr auffallen, lautet sein Fazit.


Kaum Szenetreffs für Schwule
In der Region gibt es kaum offizielle Szenetreffs. Ein schwuler Erotikklub, der Sauna Club «XY» am Bieler Bahnhofplatz, wurde geschlossen. Der Sun Beach Club an der Dufourpassage hat zwar von Swingerparties über Transvestiten-Shows einiges zu bieten, möchte aber partout nicht als Schwulentreff gelten. Wer sich dann letztlich im Darkroom tummelt, ist natürlich egal. Wer mehr Party und weniger Rotlichtfeeling will, geht nach Bern. Dennoch geben Foren viele Bars als schwulenfreundlich an: Pooc, Cécil, Odéon, Le Nidaux oder die Kufa in Lyss. Und auch der Duo Club oder das St. Gervais, das Restaurant Lido oder das Péniche luden immer mal wieder zu Schwulenparties.


Platz 26 für die Schweiz
Laut einem aktuellen Ranking der internationalen Organisation ILGA (International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association) steht die Schweiz auf Platz 26 von 49 europäischen Ländern in Sachen Gleichberechtigung für Homosexuelle. Was fehlt zu einem oberen Rang und damit zu Ländern wie Norwegen und England? «Rechtlich gibt es vor allem die Forderung nach der Ehe für alle, womit der Zugang zum Adoptionsverfahren gleichgestellt werden soll», erklärt René Schegg, Geschäftsleiter von Pink Cross. Auch die Ausweitung der Antidiskriminierungsnorm auf sexuelle Orientierung, Geschlechtsidentität und Geschlechtsmerkmale wünscht man sich gesetzlich verankert. Beides befindet sich zurzeit in den Rechtskommissionen.


70 Prozent für Homo-Ehe
Nebst der rechtlichen Seite gibt es die gesellschaftliche. Der Verein Pink Cross ermittelte 2016 in einer Umfrage, dass eine Öffnung hin zur Zivilehe für Schwule von fast 70 Prozent der befragten Schweizer gutgeheissen werde, die gesellschaftliche Meinung hierzu sei also durchaus offen. Doch Akzeptanz müsse auch am Stammtisch ankommen. Im Profisport oder religiös-konservativen Umfeld sind Coming-Outs schwierig.
Dass es noch einiges zu tun gebe, würden auch die Meldungen einer Helpline zum Thema Gewalt gegen Homosexuelle und Transmenschen aufzeigen. «In den ersten beiden Monaten wurden uns 100 Fälle gemeldet: schwule Paare, welche in Bars oder Nachtclubs physisch oder verbal angegriffen werden, junge Schwule, die ihre Lehrstelle aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verlieren oder im Netz Opfer von Cyber-Mobbing werden.»


Todesstrafe in Somalia oder Iran
Gefährlicher als hierzulande leben Homosexuelle potenziell auf den Malediven, in Malaysia (Scharia), Tunesien, Algerien, Äthiopien, Bangladesch, Botsuana, Burundi, Singapur, Sierra Leone, Katar, Sri Lanka, der Zentralafrikanischen Republik, Kenia, Sambia (lebenslängliche Haftstrafen für «widernatürliche Sexualpraktiken»). Die Konsequenzen reichen von_Stockhieben über Bussgelder bis hin zu langjährigen oder lebenslangen Haftstrafen. Woanders gibt es die Todesstrafe. In Somalia, dem Iran (Tod durch den_Strang), den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Saudi-Arabien wird sie auch verhängt und ausgeführt – in fünf weiteren Ländern steht sie im Gesetz (Jemen, Afghanistan, Sudan, Mauretanien, Nigeria).
Ägypten behält sich «zum Schutz der Moral oder Religion» vor, Homosexualität, zumal wenn sie offen gezeigt wird, zu ahnden. Allerdings ist bisher kein Fall bei_Ausländern bekannt geworden. Der Geschäftsführer von Pink Cross hat sich als schwuler Tourist mit Partner in Kairo aber unwohl gefühlt: «Allein die Tatsache, dass ich mit meinem Partner im Hotel eincheckte, hat für Aufsehen gesorgt.» Es sei klar gewesen, dass das äusserst unüblich ist, abweisende und spöttische Reaktionen seien die Folge gewesen. In Ägypten wurden Schwule, welche sich auf Dating-Webseiten tummelten, von der Polizei regelrecht gejagt.


Homophobes Russland
In Russland ist es selbst unter Parlamentsabgeordneten üblich, Schwule und Lesben als «Kranke» zu bezeichnen. Der Platz 48 von 49 ist entsprechend verdient. Pädophilie und Homosexualität, diese Worte werden häufig in einem Atemzug oder gar synonym genannt. Verboten ist per Gesetz seit 2013 die «Propaganda von nicht-traditionellen sexuellen Beziehungen» vor Minderjährigen. Gay-Paraden werden verboten und die öffentliche Meinung ist ablehnend. Einer Umfrage nach geben knapp 90 Prozent an, keinen Homosexuellen im eigenen Umfeld zu kennen. Ähnlich hoch ist die Ablehnung der Homo-Ehe oder von Gay-Paraden. 43 Prozent der
Befragten sind entweder für eine «Zwangsheilung» (22 Prozent) von Homosexuellen, für «Isolierung» (16) oder sogar «Liquidierung» (5), Gewalt an Schwulen ist nicht selten, Schlägertrupps verabreden sich in Schwulenforen zu Scheindates und verprügeln beim Treffen ihre Opfer. Schwulsein bedroht in den Augen vieler Russen offenbar die Stabilität und trägt zum «Sittenverfall» bei. Stalin hatte 1933 die Schwulen wieder kriminalisiert, nachdem die Strafbarkeit abgeschafft worden war. Fünf bis acht Jahre Lagerhaft oder Unterbringung in der Psychiatrie wurden bei zigtausenden Männern verhängt. Erst 1993, 60 Jahre später, schaffte Boris Jelzin diesen Paragrafen ab.
 

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