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Biel/Seeland

«Hallo, ich will überleben!»

Obwohl Brustkrebs der klare Spitzenreiter unter den Krebserkrankungen bei Frauen ist, gibt es bis anhin in der Region nur eine Selbsthilfe-Gruppe für Romands. Das wollen zwei Betroffene jetzt endlich ändern.

Susanne Roduit (65, links) und Doris Thomi (71) haben eine Selbsthilfegruppe für Brustkrebs ins Leben gerufen, die sich am 11. Mai zum ersten Mal in Solothurn trifft, um Weiteres zu besprechen. Copyright:Tanja Lander/Bieler Tagblatt

von Clara Gauthey

Es schien unwirklich. Als würde jemand anders all das machen. Als wäre man gar nicht selbst diejenige, die da am Chemotropf hängt oder auf dem OP-Tisch liegt. Vielleicht auch deshalb musste Susanne Roduit weinen, als ihr die Haare zehn Tage nach der ersten Chemositzung büschelweise ausfielen. «Da merkst du plötzlich, dass das du bist, der Brustkrebs hat.»

Doris Thomi aus Gächliwil und Susanne Roduit aus Schnottwil haben das ganze Prozedere nach der Krebsdiagnose hinter sich: Nach dem ersten Schreck («das haut einem die Füsse weg,») gings ins Hamsterrad mit Operationen, Bestrahlung und verbrannter Haut - bei Susanne Roduit kam noch die Chemotherapie dazu.

 

«Gut schaust du aus!»

«Wenn Sie Brustkrebs haben, bekommen Sie nicht automatisch Hilfe. Hilfe müssen Sie sich suchen. Und das kann sehr schwierig sein», findet Doris Thomi. Deshalb wollen die beiden nun eine Selbsthilfegruppe anregen, die sich am 11. Mai zu einer Informationsveranstaltung treffen will (siehe Infobox).

Im eigenen Umfeld sind längst nicht alle mit Feingefühl gesegnet. Das hat auch Doris Thomi erfahren müssen: «Eine Freundin hat sich plötzlich einfach gar nicht mehr gemeldet.» Andere hätten sich hinter Regalen im Supermarkt versteckt oder die Strassenseite gewechselt. Weil ihnen die Worte fehlten? «Man fühlt sich dann jedenfalls ein bisschen, als hätte man Aussatz. Das tut wahnsinnig weh», sagt die ehemalige Buchhalterin.

Schön wäre, wenn sich die Leute einfach normal verhielten, finden beide. Man könne fragen, wie es gehe, aktiv Hilfe anbieten, Mitleid bekunden. «Nicht sagen, melde dich, falls du etwas brauchst», denn das tue man eher nicht. Besser fragen: Was kann ich Dir abnehmen? Oder einfach mal etwas kochen.

«Gut schaust Du aus! - Danke, werd’s meinem Krebs weitersagen, wird ihn ärgern.»

Auch gute Ratschläge wie «Finger weg von der Strahlentherapie, du weisst ja, wie es den Menschen in Tschernobyl erging...» könne man sich getrost schenken. Denn wenn man sich einmal für den schulmedizinischen Weg entschieden habe, sei Gezaudere wenig hilfreich. «Hallo, ich will überleben!», habe sie nur gedacht, sagt Susanne Roduit.

Im Zweifelsfall sei es gut, wenn jemand einfach mal zuhöre. «Und es gab auch die andere Seite», sagt Thomi. Die Bekannten nämlich, die sich plötzlich als absolute Seelentröster entpuppt hätten, die halfen, ohne grosses Tamtam. «Wir hatten grosses Glück», glauben beide.

 

Das grosse Loch am Ende

Als das Ende der Therapie kam, war Doris Thomi zunächst sehr erleichtert. Die Strahlentherapie im Krankenhauskeller hatte ihre Haut mit Brandblasen malträtiert, die kühle und unmenschliche Behandlung während dieses Therapieteils («man war nichts als eine Nummer») hatte die Seele zermürbt.

Aber als die Termine wegfielen, fiel sie plötzlich in ein grosses Loch. «Ich habe mich wie Charlie Chaplin gefühlt, der vom Laufband fällt.» Susanne Roduit nickt nur stumm und ergänzt, eine Ärztin habe ihr gesagt, dass das ganz normal sei, eine Art posttraumatische Belastungsstörung. «Ich wusste plötzlich nicht mehr, was tun, hatte viel Zeit zum Nachdenken», erinnert sich Thomi. Sie sei dann noch mehr mit dem Hund gelaufen, ihr Sohn habe sie oft begleitet. Sie schrieb Tagebuch, begann wieder mit dem Töpfern. «Zum Glück kam irgendwann der Frühling», sagt sie. Und aus dem Loch am Ende wurde endlich ein Licht am Ende des Tunnels.

Die Angst vor dem Rückfall bleibt beiden. Heute aber, sagt Thomi mit leisem Triumph, habe sie keine Angst mehr vor der Angst.

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