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Métairie

Hier gibt das Wetter den Rhythmus vor

Kühe, Rinder, ein Stier, Schafe, Pferde und Hühner tummeln sich rund um die Sennerei im Hochtal auf der Nordseite des Chasserals. Vor vier Jahren hat die Familie Krähenbühl die Métairie übernommen und ihr einen eigenen Stempel aufgedrückt.

Nicola und Christel Krähenbühl halten auf der Métairie du Milieu rund 300 Tiere. copyright: patrickweyeneth/bielertagblatt
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Lotti Teuscher

Kaum angekommen, erscheint der erste Gastgeber: breite Stirn, breiter Nacken, breite Schultern, grosse, runde Pfoten, schwarzes Fell, 40 Kilogramm schwer. Hofhund Mogli begrüsst die Gäste nicht stürmisch, sondern angemessen. Kurz darauf erscheint der zweite Gastgeber: winzig, strahlendes Lächeln, keine 20 Kilo schwer. Kilian, 19 Monat alt, spreizt die Finger und schwenkt zur Begrüssung beide Händchen.

Die Bewohner der Métairie du Milieu scheinen Gäste zu mögen. Aber mögen die Gäste die Aussicht? Würde es einen Preis für die schönste Aussicht geben, würde vermutlich ein Bergbeizli mit Aussicht bis zu den Alpen gewinnen – zu Recht?
In Richtung Westen erstreckt sich ein langes Hochtal, gesäumt von der Chasseral-Krete und dem Petit Chasseral, der aus dieser Perspektive der höhere Berg zu sein scheint. Unten, im grasgrünen V zwischen den Kreten, befindet sich der Koloss: der Sendeturm auf dem höchsten Punkt des Chasseral – ein Trompe d‘oeil, denn aus der Sicht der Métairie du Milieu scheint er auf dem tiefsten Punkt des Tals zu stehen.

Seit vier Jahren leben Nicola und Christel Krähenbühl auf der Métairie du Milieu, Sohn Kilian wächst hier auf. Egal, welche Arbeit seine Eltern verrichten, Kilian ist dabei. Bei den täglichen Kontrollgängen zu den 200 Gustis, Mutterkühen und dem Stier, stapft der Kleine neben seinen Eltern her. Er schaut zu, wenn seine Mutter Brot bäckt oder der Vater einen Zaun flickt.
 

Schafbock als Rammbock
Nicola Krähenbühl ist gelernter Metzger aus Les Bugnenets, seine Frau Uhrmacherin aus La Ferrière. Beide arbeiteten drinnen, egal ob das Wetter gut oder schlecht war. «Jetzt leben wir mit dem Wetter», sagt Christel Krähenbühl. Davon habe sie immer geträumt. «Wir leben im Rhythmus der Natur. Das ist das wahre Leben», sagt ihr Mann. Nur etwas ist nicht mehr möglich: Ferien, da das Vieh jeden Tag versorgt werden muss. An diesem Tag ist es ein idyllisches Leben. Ein paar Wolken spazieren über den azurblauen Himmel. Auf der Weide grasen 50 Schafe, bewacht vom Schafbock – der zum 120 Kilo schweren Rammbock wird, wenn er seine Lämmer bedroht glaubt. In der Nähe stehen 20 Pferde auf der Weide, begleitet von Fohlen auf staksigen Beinen. Hinter dem Haus hat das Pächterpaar einen Hühnerhof gebaut, Hähne mit schillernden Federn stolzieren herum, dazwischen gackern Hühner mit nickenden Köpfen. Als wäre der Hühnerhof nicht gross genug, bricht das Federvieh immer mal wieder aus. Die Frechsten flattern auf die Tische, bis sie verscheucht werden.

Obwohl das Ehepaar der Métairie du Milieu seinen Stempel aufgedrückt hat, hat sich das Leben in den letzten paar hundert Jahren kaum verändert. Immer wurden hier Vieh gehalten, Kinder gross gezogen, Heu eingebracht, Holz gehackt. Nur etwas ist verloren gegangen: ein Teil des Namens der Sennerei. Während Jahrhunderten hiess sie Métairie du Milieu de Bienne – wo bleibt der Zusatz «de Bienne»?

Die Métairie gehörte den Biel-Burgern bis zum Franzoseneinfall im Jahr 1798. Die Franzosen hatten die Bourgeoisie enteignet und Anteilscheine an die Bevölkerung verteilt. Nach dem Ende dieser Herrschaft wollten die Bieler die Sennerei zurückkaufen – die Burger von Orvin hatten das Geld allerdings schneller zusammen. Später hat Orvin die Métairie gegen ein Stück Wald im Besitz der Bieler eingetauscht, irgendwann erfolgte ein Rücktausch. Métairie du Milieu de Bienne wird die Alp nur noch auf Landkarten genannt.
Die Métairie auf 1400 Meter über Meer ist im Sommer wie im Winter geöffnet; liegt Schnee, wird sie von den Gästen über die Chasseral-Loipe erreicht oder auf Schneeschuhen. Allerdings nur an schönen Tagen. Wenn der Wind mit 150 Stundenkilometern durch das Hochtal pfeift und die Métairie unter Triebschnee begräbt, wird es einsam. Dann ist die Familie auf sich alleine gestellt. Einmal pro Woche fahren Krähenbühls im Winter mit dem Jeep ins St-Immer-Tal hinunter, um Gemüse zu holen, für Arzt- und Verwandtenbesuche. Kommt der Jeep nicht mehr durch, wird der Schneetöff hervorgeholt.
 

Lieblingsplatz der Wildkatze
Hat sie etwas Musse, sattelt Christel Krähenbühl ihr Pferd. Der Wind, der häufig heftig über das Hochtal weht, bestimmt, wohin es geht: Bläst er stark, reitet die Sennerin zwischen 200 Jahre altem Bergahorn hindurch nach unten in Richtung Windschatten. Ist es windstill, lenkt sie ihr Pferd zum Chasseral.

Christel Krähenbühl lässt dann ihre Augen über die Berglandschaft schweifen. Manchmal entdeckt sie die Wildkatze, die sich bei der Militärsperre unterhalb der Métairie sonnt. Manchmal tauchen Murmeltiere auf, Gämsen oder Wildschweine. Dann spürt Christel Krähenbühl, dass sie zusammen mit ihrem Mann vor vier Jahren die richtige Entscheidung getroffen hat.

Stichwörter: Métairie, Milieu, Chasseral

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