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Métairie Bois Raiguel

Wahrheit oder Auerhahn-Legende?

Wer mit Marcel Bühler spricht, merkt rasch: Der Senn und Métairie-Besitzer lieb die Einzigartigkeit seiner Chasseralalp. Doch ist seine Métairie Bois Raiguel tatsächli so speziell, wie er behauptet?

«Wir machen alles wie vor hundert Jahren», sagt Senn und Métairie-Besitzer Marcel Bühler. Davon zeugen auch seine starken Arme. Bild: Susanne Goldschmid
  • Dossier

von Lotti Teuscher

«Wir sind die Einzigen.» Dies ist der Satz, den Marcel Bühler von der Métairie Bois Raiguel am häufigsten sagt. Die Einzigen – stimmt das tatsächlich?

Nicht alle Einzigartigkeiten, die dem Chasseral zugeschrieben werden, stimmen auch. Auf jeder Informationstafel, die auf die beiden Naturschutzgebiete auf der Nordseite des Berges hinweist, wird zum Beispiel der Auerhahn erwähnt. Der grösste Hühnervogel Europas soll auch gemäss der Vogelwarte Sempach in der Region Chasseral-Mont-Soleil leben. Er ist ein seltener Bewohner der Schweiz, der weit oben auf der roten Liste gefährdeter Arten steht.

Mit einemVelo gebalzt 

Über den Auerhahn kursieren am Chasseral etliche Geschichten. So soll einst ein verliebter Hühnervogel in Nods mit einem Velo gebalzt haben. Aus Einsamkeit, weil er keine Henne gefunden hat? Der Auerhahn ist längst aus der Chasseral-Region verschwunden; lediglich auf dem Mont Soleil soll es noch einige Exemplare geben.

Doch zurück zum Bergbauer Marcel Bühler. Ist er tatsächlich auf einigen Gebieten der Einzige am Chasseral? Oder sind seine Erzählungen Auerhahn-Legenden?

Einzigartig ist auf jeden Fall die Lage seiner Métairie – was indes nichts Besonderes ist: Jede Métairie am Chasseral ist schön gelegen. Eingebettet zwischen zwei Kreten, steht «Bois Raiguel» in einer Bilderbuchlandschaft.  Ein sanfter Wind flüstert in den Mischwäldern, die Blätter bewegen sich, als würden sie vom Hauch gestreichelt. Zwischen den Wäldern blühen Wiesen blau, gelb, weiss, rosa, violett: Gelber Enzian, Teufelskralle, Nelken, Wiesenschaumkraut, Storchenschnabel, Disteln. Durchzogen sind die Weiden von sorgfältig gebauten Steinmauern. Diese Mäuerchen am Chasseral sind am zerfallen; einzig die Burgergemeinde Biel restauriert sie in aufwendiger Arbeit.

Denn die Mauern sind nicht nur Zeugen einer Jahrhunderte alten Alpkultur, als es kaum mehr Wald gab und die Holzzäune durch Steinmauern ersetzt wurden. Sie bieten auch zahlreichen Tieren Unterschlupf: Wiesel, Kröten, Eidechsen, Insekten und Vögel nutzen die Ritzen als Versteck.

Schotte für die Alpschweine

Hinter der Métairie Rägiswald dösen rosa Schweinchen in der Sonne. Kaum sind Besucher in Sichtweite, traben die Fährli zum Zaun und beschnüffeln mit ihren feuchten Rüsseln deren Hände. Bühlers Schweine sind neugierig – und reinlich, denn sie haben genügend Raum, um ihre Liegeplätze sauber zu halten. 40 Rudi Rüssel leben auf der Métairie: Dies ist ein Hinweis auf eine weitere Besonderheit des «Rägiswald». Nur noch auf drei Alpen am Chasseral wird Käse hergestellt. Beim Käsen fällt viel Schotte an; das Grundnahrungsmittel der Alpschweine. Zusätzlich wird noch etwas Mehl verfüttert – fertig ist der Menüplan. Soja und anderes importiertes Kraftfutter sind tabu, Antibiotika ebenfalls.

Die Schweine haben ein vergleichsweise langes Leben von 170 Tagen; in industriellen Mastanlage erreichen die Tiere das Schlachtgewicht bereits nach 100 Tagen. Schinken wird trocken gesalzen, statt mit Salz gespritzt. Bis Bühlers Hammen oder Speck reif sind, dauert es fünf bis sechs Wochen. Industrielle Verfahren verkürzen die Reifezeit bis auf drei Tage. Senn Bühler sagt: «Wir sind die Letzten im Jura, die den Schinken trocken salzen.»

Heizen mit Holz

«Wir erfinden nichts neues, sondern machen alles wie vor hundert Jahren», lautet ein weiterer Lieblingssatz Bühlers. Im Jahr 2004 hat der Bauer den Hof auf 1267 Meter über Meer den Biel-Burgern abgekauft. Das Haus war sanierungsbedürftig, seither hat der Senn rund eine Million Franken investiert. Etwa in die Holzheizung, eine weitere Besonderheit der Métairie Bois Raiguel: Während in den meisten Métairien Gas ein wichtiger Energielieferant ist, wird auf dem «Rägiswald» Energie fast ausschliesslich aus Holz gewonnen; einem Energielieferanten, von dem es rund um die Métairie zur Genüge gibt. Ein Teil des Holzes kauft der Bauer den Biel-Burgern ab, weiter wird Fallholz verfeuert.

Die «Bois Raiguel» ist eine der ältesten Métairien, gebaut im Jahr 1735. Ihr Name geht auf die erste Besitzerfamilie Raiguel zurück; das Geschlecht ist inzwischen ausgestorben. Ende des 18. Jahrhunderts wurde der damals eingeschossige Hof durch ein Mansardendach um eine Etage erhöht. Die Dachflächen sind im unteren Bereich leicht abgeknickt, sie verfügen somit über eine wesentlich stärkere Neigung als das obere Dach – auf dem Chasseral ist diese Bauweise tatsächlich einzigartig, denn sie entspricht nicht der juratypischen minimalistischen Bauweise.

In einem dunklen Raum steht der Käsekessel, es riecht leicht säuerlich nach frischer Milch. Den alten Kessel aus dem Jahr 1913 hat Bühler ersetzt – aber nicht weggeworfen. Denn der Senn schätzt das Alte, die Traditionen: «Für mich hat der Käsekessel einen hohen sentimentalen Wert.» Am Abend wird im Kessel Milch gekühlt, am Morgen werden Laibe hergestellt – Greyerzer und Spezialitäten. Der Hartkäse reift zehn bis fünfzehn Monate lang; im Sommer auf der Alp, im Winter auf Bühlers Hof im Tal. Der Käse wird, anders als in einer herkömmlichen Käserei, von Hand geschmiert und gewendet. Von dieser Schwerarbeit zeugen Bühlers muskulöse Arme.

106 Länder bereist

Auf Bühlers Alp werden somit tatsächlich Traditionen gelebt; darunter eine, die viele Gäste erst einmal irritiert: Auf dem Hof gibt es keinen Handy-Empfang. Im Winter hingegen schert der Senn aus der Bauerntradition aus. Er reist. 106 Länder hat Marcel Bühler bislang besucht und dabei Sprachen gelernt. Seine Muttersprache ist Französisch, selbstverständlich spricht er auch fast perfekt Deutsch. Hinzu kommen Englisch, Spanisch und etwas Türkisch. Diese Sprachen hat der Senn während des Reisens gelernt: «Ich kann nicht am Strand liegen. Ich muss sehen, lernen, erleben.»

Eine Passion, die er mit seinen vier Söhnen teilt. Wenn ein Bub 15-jährig wird, offeriert ihm der Vater eine Woche Ferien im Land seiner Wahl. Wer nun denkt, lustig sei das Sennenleben, weil es viel Freizeit bietet, wird von Bühler eines Besseren belehrt: Frühling, Sommer und Herbst arbeitet der Senn jeden Tag – 18 Stunden.

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