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Impfdebatte

Spiel mit der Angst

Der Film «Eingeimpft» von David Sieveking wirkt auf den ersten Blick nett und ehrlich. Tatsächlich aber liefert die Dokumentation keine Aufklärung – sondern schlecht verpackte Nahrung für Impfgegner.

Imfpen oder nicht? Dieser Frage stand am Anfang von David Sievekings Film «Eingeimpft». Bild: PD

Kathrin Zinkant

Es gibt einen Moment in diesem Film, in dem das Problem fast greifbar wird. Auf einer Geberkonferenz in Berlin wird Geld zusammengetragen, um Impfungen auf der ganzen Welt zu ermöglichen. 7,5 Milliarden Dollar sollen es sein, 1,5 Milliarden kommen allein von der Bill and Melinda Gates Stiftung. Die Anwesenden klatschen, strahlen, es ist ein bewegender Augenblick, in dem sehr deutlich wird, welche Bedeutung Impfungen für die Menschheit haben – wie grossartig ihr Erfolg schon heute ist. Aus dem Off jedoch ertönt ein verwundert klingender Kommentar: «Für Risiken und Nebenwirkungen interessiert sich hier offenbar niemand.»

David Sieveking aber interessiert sich, und wie. Er hat einen Film über das Impfen gemacht. Ein Buch zum Film ist bereits erschienen, nun wird die Dokumentation in den Schweizer Kinos anlaufen. Und schon jetzt schwappt ob der Botschaft des Films eine Welle der Erregung durch die von Unsicherheit geplagte Gesellschaft. Die einen hoffen darauf, dass der Film endlich die Wahrheit übers Impfen offenlegt, dass er eine Richtschnur wird, Orientierung liefert – was er, ohne zu viel vorwegnehmen zu wollen, nicht tut. Die anderen fürchten, dass die impfkritische Haltung vieler Schweizerinnen und Schweizer neue Nahrung bekommt. Leider haben sie recht.

 

Die Mutter ist sehr skeptisch, Vater spielt den Gegenpart
Dabei wirkt der Film zunächst so unschuldig und unvoreingenommen, fast sympathisch. Sieveking steht dabei selbst im Mittelpunkt und erzählt von seiner Familie. Die Filmmusikkomponistin Jessica und er sind ein typisches Berliner Paar aus Kreuzberg – nicht reich, nicht arm, irgendwas mit Kunst. Sie bekommen eine Tochter, und bald sprechen die Ärzte das Thema Impfungen an.

Die Mutter ist sehr skeptisch, sie glaubt, dass sie wegen einer Tetanusimpfung in der Schwangerschaft schwer erkrankt ist. Er spielt als Vater den Gegenpart, findet Impfungen vernünftig und lässt sich selbst sogar in der ersten Szene eine Spritze verpassen. «Ganz ehrlich: Wenn es nach mir ginge, hätten wir unsere Tochter längst geimpft», heisst es zu Beginn des Films. Dazu, so viel sei gesagt, kommt es am Ende des Films tatsächlich, auch wenn man es sich anhand der zuvor gezeigten Szenen nicht recht erklären kann.

Der Film handelt von einer Odyssee des Zögerns. Sieveking will mal zeigen, wie recherchieren richtig geht, und sich nicht nur informieren, sondern kritisch nachforschen. Seine Reise führt ihn zu Gesundheitsbehörden, zur WHO, zu einem Impfstoffhersteller, nach Paris und sogar nach Afrika. Das alles dauert Jahre, sogar ein zweites Kind wird in den Film hineingeboren. Und zwischendrin wird aus dem eigenen Leben berichtet, von schlaflosen Nächten, Babygeschrei, Gesprächen mit anderen Eltern, dem Alltag eben.

Was eigentlich ein toller Ansatz ist. Es sind genau junge Eltern, die entscheiden sollen, ob und gegen was ihr Kind geimpft wird. Wobei gerade kleine Familien meist gar nichts gegen Impfungen haben. Aber sie sorgen sich um ihr Kind und haben hier und dort mal was gelesen. Ist das nicht giftig, dieses Zeug in den Impfstoffen? Bekommt mein Kind davon am Ende Autismus? Nein, bekommt es nicht. Aber woher sollen Eltern das wissen, wenn sie nicht vom Fach sind.

Sieveking verpasst die Chance, nach dem Sinn von Impfungen zu fragen und Eltern echte Einblicke zu gewähren. Er fragt stattdessen nur nach Risiken. Für seine «kritische» Betrachtung wählt er Beispiele, die wissenschaftlich längst eingehend untersucht und kommentiert worden sind. In seinem Film erscheinen sie allerdings neu und, was schlimmer ist, als erhellende Einblicke in eine fremde, von Geldgier und Geheimnissen geprägte Welt.

 

Impfung ist nicht schuld an tragischen Todesfällen
In dieser Welt existieren scheinbar nur noch wenige Menschen, die klarsehen. Da gibt es den Wissenschaftler, der Aluminiumsalze in Geweben sucht. Es gibt eine Patientin, die an Erschöpfung leidet, einen Impfschaden vermutet und in deren Arm der Wissenschaftler die gesuchten Rückstände entdeckt.

Sieveking findet auch den einzigen Wissenschaftler, der eine plausible Theorie zur Wirkung mancher – aber nicht aller – Impfungen hat. Andere Forscher muss man deshalb nicht mehr nach ihrer Meinung fragen.

Der Dokumentarfilmer trifft dann den letzten vertrauenswürdigen Experten in Fragen der Impfsicherheit: Klaus Hartmann, nach eigenen Angaben einst Teil des Systems, ist längst ein Star der Impfgegner-Szene, heute arbeitet er als Gutachter für Menschen, die sich als Opfer der Impfindustrie begreifen. Im Film begegnet er ihm auf dem scheinbar neutralen Boden eines Symposiums, dort ist er tatsächlich nur einer von zwei Zeugen in dem scheinbar eklatanten Fall von Hexavac. Und klar, aus der subjektiven Perspektive unsicherer Eltern mag Hartmanns Darstellung sogar verfangen: Als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) hatte Hartmann um das Jahr 2000 nämlich fünf Todesfälle bei Säuglingen und Kleinkindern untersucht, die kurz zuvor die Sechsfachimpfung Hexavac erhalten hatten. Nachdem ein Pathologe im Zuge der Obduktionen Auffälligkeiten am Gehirn der Kinder entdeckt haben wollte, bewertete Hartmann die Sache als alarmierend. Die Leitung des PEI aber folgte seinem Rat nicht, den Impfstoff aus dem Verkehr zu ziehen, sondern hörte auf die Mehrheit der Experten, die für einen Marktstopp keinen Anlass sahen. Hartmann verliess das Institut.

Eingehende Analysen von Immunologen, Kinderärzten und Pathologen hatten ergeben, dass kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Hexavac-Impfung und den gemeldeten Todesfällen nachweisbar ist. Die tragischen Fälle wären mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ohne die Impfungen aufgetreten. Die Entscheidung, den Impfstoff weiter zu nutzen, um Kinder vor der realen Bedrohung durch Infektionen zu schützen, war daher richtig.

Gestoppt wurden die Impfungen mit Hexavac später auch nicht aufgrund von Nebenwirkungen, sondern wegen einer Wirkung, die fehlte. Der Schutz gegen Hepatitis B erwies sich als unzureichend, somit ergab die Sechsfachimpfung gegenüber einer fünffachen ohne Hepatitis-B-Anteil keinen Sinn mehr.

Sieveking, der seiner ängstlichen Frau stets mit grossen Kulleraugen zum Vertrauen in Ärzte und Experten rät, lässt diesen Teil im Film jedoch bewusst aus, und zwar so, wie es Impfgegner gerne haben: mit einem grossen Fragezeichen hinter dem Verdacht, anstelle der ganzen Geschichte. Auf diese Weise schafft es der Filmemacher nicht nur, das Ansehen der beteiligten Behörden zu beschädigen. Er sät auch Zweifel am Fundament aufgeklärter Gesellschaften: an den Fakten nämlich.

Dabei sind die für gute Rechercheure eigentlich leicht zu entdecken. Ja, Impfungen haben Nebenwirkungen. Es gibt in sehr seltenen Fällen auch Impfschäden, die anerkannt werden müssen. Doch wer einen ganzen Film lang hauptsächlich nach Risiken und Nebenwirkungen fragt und Legenden nährt, übersieht allzu leicht das eigentlich Wichtige: Impfungen retten Leben. Sie haben es schon millionenfach getan. Und wer sein Kind impft, setzt es keinem Risiko aus. Im Gegenteil: Er senkt es.

 

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So können Impfungen helfen
Ein Überblick über die wichtigsten Zahlen:

- Masern: Noch in den 80er-Jahren starben 2,6 Millionen Menschen jährlich an der Krankheit, die meisten waren Kinder. Impfungen senkten die Zahl der Masernopfer bis 2016 auf knapp 90 000. Masern können in einem von 1000 Fällen zu einer Hirnentzündung führen. Die Impfung vermindert das Risiko auf eins zu einer Million.

- Diphtherie: 1980 registrierte die Weltgesundheitsorganisation 100 000 gemeldete Fälle. Impfungen reduzierten die Zahl auf 7000 im Jahr 2016. Diphtherie ist eine besonders gefährliche Infektionserkrankung, unter Kleinkindern beträgt die Sterblichkeit mehr als zehn Prozent. In der Schweiz sind seit 1983 keine Fälle mehr aufgetreten.

- Mumps: Eine Infektion verläuft selten tödlich, kann aber schwere Komplikationen haben. Für Kinder sind Hirnentzündungen gefährlich, die vor der Impf-Ära in bis zu drei von 1000 Fällen auftraten und oft zu Taubheit führten. Die Impfung mit dem Lebendimpfstoff senkt das Risiko um das 250-Fache.

- Röteln: Auch Röteln können in einem von 6000 Fällen zu einer Entzündung des Gehirns führen. Extrem gefährlich ist die Infektion für Ungeborene. Während einer Epidemie in den USA kamen in den 60er-Jahren 20 000 Kinder mit Fehlbildungen zur Welt. Allein Impfungen haben dazu geführt, das solche Behinderungen durch Röteln heute selten sind.

- Tetanus: 1990 starben weltweit noch 340 000 Menschen, mehrheitlich Neugeborene, an einer Tetanusinfektion. 2015 waren es 56 000. Die Sporen des Bakteriums sind weltweit in Böden präsent, auch in der Schweiz. Nur dank der lebenslang schützenden Impfungen ist der in jedem vierten Fall tödliche Wundstarrkrampf hier inzwischen sehr selten geworden.

- Keuchhusten: Die Krankheit ist bis heute weltweit verbreitet und gefährlich. Einer von 200 infizierten Säuglingen stirbt an der Infektion. Dennoch konnten Impfungen die Zahl der Todesfälle seit 1990 auf mehr als die Hälfte senken. Der heutige Impfstoff ist gut verträglich, schützt aber nur in fünf von sechs Fällen. Hohe Impfraten sind deshalb besonders wichtig. zint

 

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Weniger Maseranfälle
Die Nationale Strategie zur Elimination der Masern zeigt drei Jahre nach deren Umsetzung Erfolge. Die Durchimpfung sei praktisch in allen Kantonen und Altersklassen gestiegen, heisst es im «Bulletin» des Bundesamtes für Gesundheit: In der aktuellsten Erhebungsperiode 2014 bis 2016 hätten bereits 94 Prozent der zweijährigen Kleinkinder mindestens eine Impfdosis und 87 Prozent zwei Dosen enthalten. Entsprechend habe die Zahl der Erkrankungen und Spitaleinweisungen abgenommen. Im laufenden Jahr seien in der Schweiz bis August nur noch zwei Masernerkrankungen gemeldet worden, welche sich in der Schweiz angesteckt hätten und keinerlei Bezug zum Ausland hatten. 22 Erkrankte hatten sich im Ausland oder in der Schweiz durch Kontakt mit importierten Fällen infiziert. sda

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