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Asyl

Prêles, das Schreckgespenst

Keine Perspektive, keine Tagesstruktur und kaum soziale Kontakte: So stellen sich abgewiesene Asylsuchende das Leben im geplanten kantonalen Rückkehrzentrum in Prêles vor. Eine von ihnen ist Nyima.

Zumindest in der winterlichen Tristesse nur wenig einladend: Das ehemalige Jugendheim im bernjurassischen Prêles. Bild: Beat Mathys

Philippe Müller

Sie ist nicht die Erste. Und sie wird nicht die Letzte sein. Die 30-jährige Tibeterin Nyima teilt ihr Schicksal mit vielen anderen. Sie will in der Schweiz bleiben, darf dies aber nicht. In ihre Heimat zurückgehen kann sie aber auch nicht, weil Tibeter in China und Nepal nicht sicher sind. So bleibt ihr für die nahe Zukunft vermutlich nur eines: ein Leben in der Schweizer Zwischenwelt.

Der Bescheid kam Anfang 2018: Das Staatssekretariat für Migration (SEM) wies Nyimas Asylgesuch ab. Die Konsequenz: Landesverweis. Bis zum Frühling letzten Jahres hätte sie Zeit gehabt, aus der Schweiz auszureisen. Nyima, die in Wirklichkeit anders heisst und aus Angst anonym bleiben will, ist aber immer noch da, weil eine Rückschaffung zu gefährlich wäre. Deshalb wird sie wohl noch jahrelang hier sein. Mit dieser Vorstellung kann sie nur schwer leben. Aber immerhin: «Ich habe eine gewisse Tagesstruktur, darf die Deutschkurse der Caritas besuchen und kann meinen Freund sehen.» Doch Nyima befürchtet, dass es bald selbst mit diesen wenigen Privilegien vorbei sein könnte. Denn voraussichtlich wird sie– wie alle anderen abgewiesenen Asylsuchenden – im Sommer ins neue kantonale Rückkehrzentrum in Prêles gehen müssen.

Prêles. Der Name des Ortes auf dem Tessenberg im Berner Jura löst unter den abgewiesenen Asylsuchenden im Kanton Bern seit Monaten Angst aus. Auf dem Areal des ehemaligen Jugendheims will der Kanton ein Rückkehrzentrum eröffnen, wo sämtliche Personen, die nur Nothilfe erhalten, untergebracht werden können. Sprich: alle Asylsuchenden mit Negativentscheid, die im Kanton Bern leben. 350 bis 450 Plätze sind vorgesehen. Das Zentrum ist Teil der Neustrukturierung des Asyl- und Flüchtlingsbereichs. Das Projekt sieht vor, dass der Kanton abgewiesene Asylsuchende künftig selber unterbringt und betreut, separiert von den anderen Asylsuchenden. Das Ziel: Die Abgewiesenen sollen möglichst wenig Anreize haben, in der Schweiz zu bleiben. Heute leben abgewiesene Asylbewerber in den normalen Kollektivunterkünften mit relativ lockeren Regeln. Sie können sich wie alle anderen Bewohner mehr oder weniger frei bewegen. Auch wenn der Kanton im Moment keine Fragen zum geplanten Rückkehrzentrum beantwortet – zu kontrovers wird das Projekt in der Politik derzeit diskutiert –, ist eines unbestritten: Das Regime wird in Prêles strenger sein als in den aktuellen Wohnstrukturen. «Ich stelle mir das vor wie im Gefängnis», sagt Nyima.

Obwohl sie offiziell nicht arbeiten darf, hat Nyima eine Institution in der Region Bern gefunden, die sie während mehrerer Stunden pro Woche in ihrem Kreativatelier beschäftigt. Gegen eine kleine Entschädigung oder Gutscheine für Lebensmittel. Das ist illegal. Für den Riggisberger Pfarrer Daniel Winkler aber fast der einzige Weg, «damit diese Menschen ein einigermassen menschenwürdiges Leben führen können». Denn mit den acht Franken Nothilfe pro Tag, die abgewiesene Asylbewerber erhalten, sei das nicht möglich. Kommt sie nach Prêles, wird Nyima auch diese Perspektive verlieren.

Für Winkler ist nicht das Rückkehrzentrum an sich ein Problem. Er engagiert sich in der freiwilligen Flüchtlingsarbeit Riggi-Asyl und steht Nyima im täglichen Leben mit Rat zur Seite. Er stört sich vielmehr an der undifferenzierten Herangehensweise des Kantons. «Er macht keinen Unterschied zwischen abgewiesenen Asylsuchenden, die in ihr Heimatland zurückgeführt werden können, und solchen, die noch jahrelang hierbleiben werden, weil eine Ausschaffung nicht möglich ist.» Viele Jahre abgeschottet in einer abgelegenen, womöglich abgeriegelten Einrichtung zu leben, praktisch ohne Kontakt zur Aussenwelt? «Das ist nicht menschenwürdig. Diese Menschen drohen in Depressionen zu verfallen. Da werden die letzten sozialen Kontakte gekappt.» Riggi-Asyl hat sich gemeinsam mit anderen Gruppierungen aus der Flüchtlingshilfe zur «Arbeitsgruppe Prêles» zusammengeschlossen. Die Gruppe will erreichen, dass auf die Eröffnung des Rückkehrzentrums verzichtet wird. Ihr Minimalziel ist es, dass zumindest ­abgewiesene Asylsuchende, die nicht ausgeschafft werden können, nicht in den Berner Jura verlegt werden.

Behörden glaubten ihr nicht
Ob Nyima unverschuldet in ihre missliche Lage geraten ist, lässt sich kaum beantworten. Fakt ist: Die Schweizer Behörden haben ihre Geschichte nicht geglaubt und deshalb ihr Asylgesuch abgelehnt. Nyima hatte behauptet, aus der autonomen Region Tibet in China zu stammen. In der Befragung mit einem Experten für Herkunfts- und Sprachanalyse habe sie sich in Widersprüche verstrickt, heisst es im schriftlichen Asylentscheid. Der Experte bescheinigte ihr zwar, dass sie Tibetisch spreche und «wahrscheinlich tibetischer Ethnie» sei. Gleichzeitig sei jedoch davon auszugehen, dass Nyima noch nie in China war. Hätte sie als Tibeterin mit chinesischem Pass in der Schweiz Asyl beantragt, wäre das Gesuch mit grosser Wahrscheinlichkeit gutgeheissen worden.

Für Daniel Winkler ändert dies nichts: «Egal, ob Nyima aus China oder Nepal stammt: Fakt ist, dass man sie wegen der gefährlichen Situation für Tibeter so oder so in keines dieser beiden Länder wird zurückschaffen können.» Das bestätigt auf Anfrage indirekt auch das SEM, ohne Bezug auf den konkreten Fall zu nehmen: Der Bund führe derzeit keine Tibeterinnen und Tibeter in die Volksrepublik China zurück. Wenn Personen tibetischer Ethnie unglaubhaft behaupteten, aus China zu stammen, ihre Herkunft tatsächlich aber eher in Indien oder Nepal liege, würden sie grundsätzlich zurückgewiesen. «Aufgrund der fehlenden Mitwirkung der Betroffenen ist es für das SEM in diesen Fällen allerdings häufig schwierig, die Wegweisung zu vollziehen», schreibt die SEM-Medienstelle.

Noch keine Hochzeit
Der sicherste Ausweg wäre für Nyima, ihren Schweizer Freund zu heiraten. Das will sie aber nicht. Erstens kenne sie ihn noch nicht lange genug. «Zweitens will ich nicht von jemandem abhängig sein.» Nicht von einem Mann und auch nicht vom Staat. Sie will eigentlich auch die Nothilfe nicht. «Ich möchte legal arbeiten und ein Leben ohne Furcht führen.» Heute habe sie jedes Mal Angst, wenn sie irgendwo einen Polizisten sehe. Ins Zentrum nach Prêles zu kommen, ist für sie eine schlimme Vorstellung. «Ich hoffe, dass es nicht so weit kommen wird.»

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