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Alt und Jung

«Im Früelig füre — im Herbscht hingere»

Haben Sie schon alle umgestellt? Alle in die richtige Richtung? Müssen Sie überhaupt noch welche umstellen oder werden sie vom fernen Frankfurt aus gesteuert?

Bild: Hanspeter Brunner

Hanspeter Brunner

Als vor Jahren die Sommerzeit eingeführt wurde, hatte ich noch einige Probleme. Muss die Uhr an der Heizung umgestellt werden? Wo ist die Bedienungsanleitung, damit die Anzeige im Auto angepasst werden kann? Heute ist gottseidank vieles automatisiert, für den Rest habe ich eine Liste. Nur das Radio im Büro ist nicht drauf. Jedes Jahr studiere ich: Welche Knöpfe muss ich nun ...? Aber ich verspreche es mir zum x-ten Mal:«Heuer schreibe ich es dann auf!»

Vor zwei Wochen war mein Velo im Frühlings-Service im Fachgeschäft. Der Mechaniker (heisst diese Berufsgattung überhaupt noch so?) stellte mir die Display-Anzeige bereits auf Sommerzeit um. Prompt stand ich einmal eine Stunde zu früh vor einer noch verschlossenen Geschäftstüre. So sehr verlassen wir uns auf all die angezeigten Uhrzeiten.

Dabei habe ich seit meiner «Pensionierung» keine Armbanduhr mehr am Handgelenk. Schliesslich will ich unabhängiger sein, kein gehetzter Zeitsklave mehr. Als ÖV-Benutzer natürlich ein frommer Wunsch. Zwischendurch greife ich zum Handy, was aber meine Frau nicht gerne sieht: «Hesch das Grät scho wieder i de Häng?» Dabei ist es nur, um die Zeit abzulesen. Wirklich!

Zeigen uns diese kurzen Abrisse in aller Deutlichkeit, dass wir es nicht schaffen, unser selbst zu sein. Was die Sommerzeit angeht: Egal, ob wir uns für oder gegen die Umstellung entscheiden, ein eigener Weg, eine Lösung ohne unsere Nachbarländer ist nicht umsetzbar. Dieses Verdikt müssen wir akzeptieren.

In der dritten Lebensphase kann man sicherlich das eine oder andere gemütlicher angehen. Mehr oder weniger nur noch das tun, was Freude und Spass macht. Vogelfrei ist man trotzdem nicht. Immer sind irgendwo Fesseln, die uns zum Anpassen zwingen. Sollen wir uns nun gegen solche Einengungen aufstemmen?

Dass ich keine Armbanduhr trage, ist kein Versuch, zeitlos zu leben. Ich weiss nicht mal mehr, was der Auslöser war. Eventuell ein Zeichen des Nun-mehr-Zeit-Habens. Genau das ist doch eines der Privilegien von uns «Alten». Wir dürfen uns für alles mehr Zeit nehmen. Müssen nicht mehr, sondern dürfen.

Auch wenn wir zwischendurch den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen sollten, grösstenteils haben wir die Situation so selbst herbeigeführt. Aber vielleicht gilt es auch hier einmal, Inventur zu machen. Aufzulisten, was wir persönlich nicht ändern können, und streichen, was wir nicht müssen. So können wir uns auf das konzentrieren, was uns Freude macht.

Ich kenne, was mir Freude macht. Aber vielleicht muss ich mir doch einmal all das schriftlich auflisten, was ich nicht mehr muss.

Dazu haben wir ja nun die Sommerzeit, wir stehen seit Sonntag wieder jeden Tag eine Stunde früher auf, haben mehr Zeit zur Verfügung. Hoffentlich eine Stunde der Freuden.

Info: Hanspeter Brunner ist Vorstandsmitglied des Aarberger Vereins Aarsenior, engagiert sich unter anderem bei Gastro Bern sowie in der Seniorenriege Aarberg.

kontext@bielertagblatt.ch

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