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Aus dem Grossen Rat

... und sie politisieren doch

Bei der Aufteilung der Haushaltsarbeiten habe ich die Verantwortung für die Wäsche erhalten. Dazu gehört der «gäbige» Teil mit dem Bedienen der Maschine und der etwas weniger «gäbige» Teil mit dem Zusammenlegen der Kleider.

Jan Gnägi, 
Grossrat BDP

Jan Gnägi


Der weniger «gäbige» Teil hat aber den grossen Vorteil, dass ich – ganz multitaskingfähig – gleichzeitig Fernsehen gucken kann. So kam es Anfang Jahr dazu, dass ich einen SRF-DOK-Film über die «Generation Selfie» sah und einen Einblick in die scheinbare Welt der Jugend von heute erhielt.

Die gezeigten Personen waren nur zirka zehn oder zwölf Jahre jünger als ich und sprachen dieselbe Sprache – trotzdem kamen sie mir wie Bewohner eines anderen Planeten vor. Ein junger Mann wurde als der grösste Schweizer Social-Media-Star vorgestellt – dies ist er offenbar, weil er besonders gute Fotos von sich macht und diesen dann noch digitale Hasenohren, Blitze, Smilies hinzufügt und postet. Eine junge Frau, die jedes Mal, wenn sie etwas isst, dieses Essen auch fotografiert und online publiziert, war ebenfalls eine Berühmtheit. Die gezeigten Mahlzeiten erinnerten mich zwar eher an ein Blumenarrangement als an ein Mittagessen, aber die Anzahl ihrer Follower spricht für ihren Erfolg.

Während ich die Socken ordnete und derweil den Film schaute, kam ich mir schon fast alt vor – ich verstehe kaum etwas von Instagram und Snapchat, höchstens Facebook habe ich im Griff. Ernsthaft zu denken gab mir aber, wie wertefrei, oberflächlich und unpolitisch diese Social-Media-Welt und ihre Stars offenbar sind. Wo führt das hin, wenn die nächste Generation nicht auch mindestens teilweise politisch denkt, fragte ich mich. Diese Sorge hat sich in der Zwischenzeit zum Glück zerstreut, dank den Klimademos und -streiks, die kurz darauf ausgebrochen sind. Man kann diese für übertrieben halten, aber mindestens beweisen sie, dass die Jugend sehr wohl politisch interessiert ist.

Die Aktionen bleiben obendrein nicht ohne Wirkung: Die Politik wird zunehmend für Klima-Anliegen sensibilisiert, es scheint, als komme Bewegung in das Thema. Entscheidend ist aber, dass sich das Engagement der jungen Menschen nicht nur auf Demos beschränkt. Diese können zwar aufrütteln, zu einer Lösung führen sie aber nicht. Es wird sich zeigen, wie viele derjenigen, die jetzt lauthals zum Handeln auffordern, sich auch tatsächlich politisch engagieren werden, sobald sie die Möglichkeit dazu haben. Die direkten Gespräche mit jungen Menschen machen mich diesbezüglich optimistisch: Die werden auch liefern. Auf Instagram schaue ich nicht nach.

kontext@bielertagblatt.ch

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