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Yukon

Weil es taut, wanken 
die Häuser

Der Klimawandel ist auch im Yukon ein brisantes Thema. Hier wird eine der drastischsten Temperaturveränderungen im ganzen Land beobachtet. Den Eisbären schwimmen die Schollen davon, und die Karibus erhalten bei der Futtersuche plötzlich Konkurrenz.

Die «Kissing Buildings», eine oft fotografierte Attraktion in Dawson City, zeigen, was auftauender Permafrost bewirken kann. Bild: zvg/Elfie Lenzin
  • Dossier

Christine Mäder

Der Yukon liegt im Bereich des subarktischen Kontinentalklimas. Die Erwärmung von mehreren Celsiusgraden hat eine Vielzahl von unliebsamen Folgen. Zum Beispiel höhere Waldbrandgefahr durch vermehrte Gewitter mit Blitzschlag. Bis vor Wochenfrist wurden im Yukon schon 16 Waldbrände gezählt.

Mit Ausnahme des nördlichsten Teils des Territoriums war der Schneefall im vergangenen Winter unterdurchschnittlich, was in den meisten Seen und Flüssen nun in überaus niedrigem Wasserstand resultiert.

Das Gute daran ist, dass es diesen Sommer für Liegenschaften mit Seeanstoss keine Überschwemmungsgefahr geben wird nach der Schneeschmelze in den Bergen. Die Kehrseite: Unser Elektrizitätswerk muss gegenwärtig mehr Flüssigerdgas zur Stromerzeugung einsetzen anstelle von Wasserkraft aus dem Aishihik Lake.

Abgeschnitten mangels Eisbrücke
Der tiefe Wasserstand des Yukons verursachte letzte Woche in Dawson City einiges Kopfzerbrechen, als die kostenlose Fähre, welche die einstige Goldrausch-Metropole mit den rund 100 Bewohnern auf der anderen Flussseite und dem Top of the World Highway verbindet, nach der Winterpause wieder in Betrieb gesetzt werden sollte. Üblicherweise kann das Schiff im Frühling relativ mühelos ins Wasser geschoben werden, doch diesmal war das Ufer viel weiter unten und es brauchte die Kraft von vier Raupenfahrzeugen und Frontladern zum Anschieben, bis die George Black Ferry flott war.

Im Winter können die Einwohner von West Dawson normalerweise mit Trucks oder Motorschlitten auf einer soliden Eisbrücke über den zugefrorenen Yukon zum Einkaufen nach Dawson City fahren – doch dieses Jahr fror der Fluss trotz Kälteeinbruch nie fest zu. Eine Fussüberquerung kam trotzdem zustande, doch einige, die den Trip mit motorisierten Vehikeln versuchten, hatten keinen glücklichen Ausgang.

Dass Seen und Flüsse später im Herbst zufrieren und früher wieder aufbrechen, schadet auch dem Wintertourismus, wenn infolge Schneemangels oder fehlenden Flusseises Hundeschlittentouren abgesagt werden müssen.

Elche machen Karibus das Habitat streitig
In der Nähe des Dempster Highways im nördlichen Yukon entnommene Dauerfrostboden-Proben deuten darauf hin, dass die Arktis heute schon zwei Grad wärmer ist als die Höchstwerte am Ende der letzten Eiszeit vor mehr als 10 000 Jahren. Und dabei steigen die Temperaturen weiter an.

Die Vuntut Gwich’in First Nation in Old Crow erleben dies deutlich mit wärmeren und feuchteren Wintern und auftauendem Permafrost. «Unsere traditionelle Lebensweise ist gefährdet», betonte Chief Dana Tizya-Tramm, der am letzten Wochenende während den Caribou Days-Festlichkeiten eine Klimawandel-Notsituation deklarierte, um die Aussenwelt auf die Probleme der Urbevölkerung aufmerksam zu machen.

In den Old Crow Flats (Ebene) hat zum Beispiel der plötzlich nicht mehr so frostige Dauerfrostboden zu einem Verlust von rund 3000 Hektaren Seengebiet geführt, als das Wasser im aufgetauten Boden versickerte. Karibus und Elche ziehen weiter nördlich, um der wärmeren und feuchteren Witterung auszuweichen.

Mehr und bis in den Herbst hinein dauernder Regen führt dazu, dass der Boden gefriert, bevor es schneit und damit den Karibus verunmöglicht, im Winter ihre Hauptnahrungsquelle – Flechten – zu finden. Gebüsch wächst nun sogar nördlich der Baumgrenze in der Tundra und in höheren Regionen als bis anhin, was die Elche in Gebiete vordringen lässt, die traditionell Karibu-Habitat waren.

Dauerfrostboden nicht mehr dauerhaft
Der auftauende Permafrost beschädigt nicht nur die wenigen durch unser Territorium führenden Überlandstrassen, was häufige und teure Reparaturen notwendig macht, er bringt auch zahlreiche Häuser in Schräglage.

Paradebeispiel sind die oft fotografierten «Kissing Buildings» and der 3. Avenue in Dawson City. 1901 erbaut und heute Teil der Nationalen Historischen Stätte, wurden diese beiden Häuser, wie zu jener Zeit üblich, direkt auf den Boden gebaut. Da bewohnte Bauten in den strengen Wintern natürlich beheizt wurden, taute der darunterliegende Dauerfrostboden auf, was dazu führte, dass sich die Häuser bewegten. Im Laufe der Jahrzehnte so sehr, dass sie völlig in Schräglage gerieten und sich nun aneinanderlehnen.

Gletscherschmelze leitet Fluss um
Drastische Veränderungen gibt es auch im Westen des Yukons, wo sich der Kluane Nationalpark, Heimat des grössten Eisfeldes ausserhalb der Polarregionen, befindet. In den letzten 50 Jahren hat sich der Anteil der von Gletschern bedeckten Fläche um 19 Prozent reduziert und mehr als 230 kleinere Gletscher sind ganz verschwunden. Im Mai 2016 hat sich die Landschaft unterhalb des mächtigen, sich aber seit Jahrzehnten im Rückzug befindlichen Kaskawulsh Gletscher dramatisch verändert, als plötzlich aus einem Schmelzwasserkanal eine Schlucht wurde, die den Slims River in eine andere Richtung umleitete, was den Kluane-Seespiegel beträchtlich sinken und den See teilweise verlanden liess.

Verbot für Einweg-Plastikprodukte geplant
Wir alle hier im Yukon erleben den Klimawandel hautnah. Deshalb folgten anfangs Mai rund 50 Schülerinnen und Schüler dem Beispiel der jungen schwedischen Aktivistin Greta Thunberg und demonstrierten vor dem Regierungsgebäude in Whitehorse mit Plakaten und Sprechgesang für Handeln in Sachen Klimaveränderung: «Es gibt keinen Plan(et) B» – «Eine Erde, eine Chance» und «Das Klima ändert sich, warum nicht wir?» lauteten einige der eindrücklichsten Botschaften. Die Jugendlichen setzen sich unter anderem für ein Verbot von Plastiktüten im Yukon ein, was die Territorialregierung absolut befürwortet: Der Bann aller Einweg-Plastikprodukte, einschliesslich Säcke und Strohhalme, soll helfen, die hohen Kosten für die Abfallbeseitigung – derzeit sechs Millionen kanadische Dollar pro Jahr, die Hälfte davon für Plastik – zu verringern. Wann dieses Verbot in Kraft treten soll, steht aber leider noch in den Sternen.


Info: Christine Mäder, in Biel geboren und aufgewachsen, war von 1977 bis 1993 Journalistin und Redaktorin beim «Bieler Tagblatt». Nach weiteren drei Jahren als Musikredaktorin in Zürich und Baden wanderte sie in die «hintereste obere Ecke» von Kanada aus: ins spärlich besiedelte Yukon Territorium, wo sie ihre Sprachkenntnisse zuerst im Tourismus anwendete, seit 2014 nun aber in Whitehorse als Administrative Assistentin in der Finanzabteilung von Parks Canada tätig ist.

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