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Bauboom

Das Geld sucht sich neue Häuser

In den Gemeinden am Jurasüdfuss wird weiterhin viel gebaut. Das sorgt nicht nur für Freude – doch der Politik sind oft die Hände gebunden. Nächsten Mittwoch lädt das BT zur Diskussion darüber nach Pieterlen.

Pieterlen hat eine der höchsten Leerwohnungsziffern der Schweiz. Bild: Matthias Käser

Tobias Graden

Nicole Hirt enerviert sich. Es geht um die geplante Überbauung am Altweg in Grenchen. Dieser liegt zuoberst am Stadtrand, am Fuss des Grenchenbergs, die Aussicht von dort über die Witi ins Mittelland hinein ist bestens, und gleich dahinter beginnt der Wald. Und damit das Problem. Für die Überbauung soll nämlich der erlaubte Mindestabstand zum Waldrand von 20 auf 10 Meter verkürzt werden dürfen, da die Überbauung sonst nicht auf die Parzelle passt. «Wir werden dagegen Einsprache erheben», sagt Nicole Hirt als Präsidentin von Pro Natura Solothurn, «das hier hat nichts mit Verdichtung zu tun, wie sie das Raumplanungsgesetz fordert.»

Die grünliberale Politikerin ist auch Gemeinderätin in Grenchen, und sie betrachtet den Bauboom der letzten Jahre kritisch: «Die Ressource Boden ist endlich.» Obwohl die Industriestadt am Jurasüdfuss in den letzten Jahren regelrecht boomt, stehen weiterhin viele Wohnungen leer. Per 1. Juni waren es 195, die Baudirektion hat soeben die neuesten Zahlen zusammengetragen. Der Leerwohnungsbestand beträgt in Grenchen damit 2,02 Prozent. Das ist immerhin der tiefste Wert seit 2015, noch letztes Jahr standen am Stichdatum 245 Wohnungen leer, was einer Quote von 2,57 Prozent entsprach.

Rekordhalter Pieterlen
Grund für die nach wie vor rege Bautätigkeit ist das anhaltende Tiefzinsniveau. Gerade institutionelle Anleger wie Pensionskassen investieren viel in Immobilien, und dies gerne an so genannt «mittelklassigen Lagen» wie am Jurasüdfuss – denn in den grossen Zentren gibt es kaum mehr Boden zu kaufen und wenn, dann nur zu äusserst hohen Preisen. In den Nebenlagen dagegen verspricht das Bauen im Tiefzinsumfeld auch dann noch Rendite, wenn die Neubauten nicht voll belegt sind. «Der Schweizer Immobilienmarkt ist ein Pulverfass», titelte deswegen die «Handelszeitung» letzten Herbst. Bauboom und rückläufige Zuwanderung sorgten für rekordhohe Leerbestände, es drohe ein Kollaps.

Beat Rüfli wäre wohl froh, wiese seine Gemeinde Zahlen wie Grenchen auf. Der FDP-Politiker ist Präsident der Gemeinde Pieterlen, die in den letzten Jahren punkto Leerwohnungsziffer in schweizweiten Ranglisten stets einen der vordersten Plätze belegt hat, was ihr nationale Medienpräsenz verschafft. So besuchte letzten Winter die NZZ das Dorf zwischen Grenchen und Biel, das in den letzten zehn Jahren um 1000 Einwohner gewachsen ist. Der Zuwachs ist happig, berechnet auf die heutige Einwohnerzahl von etwas über 4200 beträgt er über 20 Prozent. Gebaut worden ist allerdings noch mehr, und es ist noch nicht fertig: In diesem Jahr gelangen weitere 100 Wohnungen auf den Markt, obwohl die Leerstandsquote um die zehn Prozent beträgt.

Der Druck steigt
Dass in den neuen Überbauungen manche Wohnungen länger leer stehen, ist das eine. Der Druck, der auf ältere Überbauungen entsteht, das andere. Es gelte, die Besitzer der älteren Liegenschaften zu Renovationen zu motivieren, sagte Rüfli gegenüber der NZZ – denn ansonsten droht eine Abwärtsspirale: Entweder können für diese keine Mieter mehr gefunden werden, oder dann würden Randständige und Sozialhilfebezüger angezogen, was die Attraktivität einer Ortschaft mindern kann.

Handhabe hat eine Gemeinde allerdings nur beschränkt. Pieterlen jedenfalls hat nicht vor, Besitzern älterer Liegenschaften für Sanierungen finanziell unter die Arme zu greifen. Und die Neubautätigkeit lässt sich schwerlich dämpfen, wenn sie auf privatem Grund stattfindet.

Das ist ein Punkt, den auch Nicole Hirt betont. Es ist nämlich nicht so, dass Grenchen im Zentrum kein Verdichtungspotenzial mehr hätte und darum an den Rändern gebaut werden muss, im Gegenteil: Selbst mitten im Zentrum gibt es freie Flächen. Diese werden aber von privaten Besitzern wohl nicht zuletzt aus spekulativen Gründen noch gehortet. «Man sollte zunächst die Baulücken in der Stadt schliessen», sagt Hirt, «Die Privaten kann man dazu nicht zwingen, aber man kann mit ihnen das Gespräch suchen.» Die Stadt versucht jedoch, Einfluss zu nehmen, wo sie kann. So kauft sie Parzellen auf, um deren Entwicklung mitgestalten zu können.

In Pieterlen gestand Beat Rüfli gegenüber der NZZ ein, der Handlungsspielraum der Gemeinde sei beschränkt. Sie selber habe fast kein Bauland mehr.

Viele neue Arbeitsplätze
Gleichwohl: Der Bauboom schafft auch Chancen. In der Region entstehen auch in den nächsten Jahren viele neu Arbeitsplätze, erwähnt seien die Projekte und Ansiedlungen von CSL Behring in Lengnau, Georg Fischer und UBS in Biel, Biogen im solothurnischen Luterbach ist auch nicht allzu weit entfernt. Werden neue Arbeitskräfte angelockt, brauchen diese auch Wohnraum. Grenchen beispielsweise setzt mit dem Projekt «Kompass» gezielt auf die Entwicklung als Wohnstandort. «Die Steuerreinnamen juristischer Personen sind relativ volatil», sagt Nicole Hirt, «also macht es Sinn, jene der natürlichen Personen zu stärken.» Die Kehrseite: Dazu sind auch Investitionen nötig, beispielsweise in Schulen. Hirt fordert etwa die Einrichtung einer englisch- und deutschsprachigen Schule, um gezielt Expats anzulocken. Gerade für kleinere Gemeinden können diese nötigen Investitionen in die öffentliche Infrastruktur aber auch zum Problem werden, so dass Hirt sagt: «Ich wünschte mir Nullwachstum, das wäre nachhaltiger für die Lebensqualität und die Work-Life-Balance.»

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Lokaltermin Pieterlen
«Schadet der Bauboom den Gemeinden im Seeland?»:
Diese Frage wird nächsten Mittwoch am Lokaltermin in Pieterlen diskutiert.

Inputreferat:

  • Alain Chaney, Geschäftsführer bei Wüest Partner AG, Büro Bern.

Diskussion:

  • Beat Rüfli, Gemeindepräsident Pieterlen (FDP)
  • Nicole Hirt, Gemeinderätin Grenchen und Kantonsrätin (GLP)
  • Alain Chaney, Wüest Partner AG
  • Ort: Haus zum Himmel, Alte Landstrasse 10, Pieterlen, Türöffnung 19 Uhr, Beginn 19.30 Uhr. Eintritt frei. tg

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