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Kommentar

Die Etikette «Schwingkönig der Herzen» hat Stucki definitiv abgelegt

Mit 34 Jahren wird der Lysser Christian Stucki zum ältesten Schwingerkönig der Geschichte. In seinem Kommentar ordnet BT-Sportredaktor Beat Moning die Leistung des Seeländer Hünen ein.

Euphorie: Nach nur 42 Sekunden im Schlussgang legt Christian Stucki seinen Kontrahenten Joel Wicki auf den Rücken und feiert den Königstitel. Bild: Keystone

Kommentar von Beat Moning, Sportredaktor

Christian Stucki ist Schwingerkönig! Das ist die Krönung einer grandiosen Laufbahn. In der vermeintlich letzten Chance, überhaupt diesen grössten Titel im Schwingsport zu holen, war der 34-jährige Lysser an diesem Wochenende in Zug nicht zu bremsen. 18 Jahre nach dem er als 16-Jähriger in Nyon nach vier Gängen die Heimreise antreten musste und fünf Platzierungen teils knapp hinter dem Schwingerkönig der Jahre 2004, 2007, 2010, 2013 und 2016. Nie fehlte viel, immer das eine oder andere Pünktchen. Auch jetzt war es knapp. Zwei Gestellte gegen die Topfavoriten Joel Wicki und Armon Orlik in den Gängen fünf und sechs konnten ihn an diesem Wochenende aber nicht stoppen. Ein Dank geht sicher an die Adresse von Sven Schurtenberger, der im siebten Gang mit einer grossen Darbietung Armon Orlik stellte und diesem zugunsten des Seeländers den Schlussgang vermasselte.

Was Stucki in den fünf anderen Durchgängen und dann im Schlussgang zeigte, wie er den Einheimischen Wicki in 47 Sekunden auf den Rücken legte, das war schlicht ganz grosse Klasse. Geprägt von mentaler Stärke und seiner 150-Kilogramm-Masse, die er optimal gegen den körperlich unterlegenen Innerschweizer einsetzte. Ein Auftritt in eindrücklicher Art und Weise. Er hat alle Kritiker eines Besseren belehrt, hat die Etikette «Schwingkönig der Herzen» definitiv abgelegt. Nach Kilchberg und Unspunnen nun auch der Königstitel. Das hat bislang nur Jörg Abderhalden geschafft.

Christian Stucki ist ein lieber, ein netter Mensch. Während zwei Tagen war er ein Böser, verzichtete weitgehend auf Autogramme und Selfies, konzentrierte sich auf das Wesentliche und wirkte fokussiert wie nie zuvor. Eigentlich müsste er jetzt aufhören. Doch er wird weiterfahren, weil er den Schwingsport liebt. Nicht so sehr wie seine Familie, aber genug, um auch in drei Jahren noch am Start zu sein. Das Alter? Entweder ist man gut oder nicht gut genug. Stucki ist sehr gut.

Was Zug erlebte, war Gigantismus. 400‘000 Personen sollen sich auf dem Gelände zwischen Freitag und gestern Abend aufgehalten haben. Ein Schweizer Fest, wie es im Buche steht. Notabene bei besten Bedingungen für alle, die da waren. Bitter ist es trotzdem, für die Innerschweizer, für die Zuger Sportwelt, die seit 33 Jahren auf einen Schwingerkönig warten. Nichtsdestotrotz, die Vormachtstellung der Berner, die den vierten König in Folge stellen, bröckelt (etwas). Das hat das zweitägige Sportfest vor fast 60'000 Zuschauern  gezeigt. In diesem Jahr war Stucki objektiv betrachtet der einzige Anwärter auf den Titel. Die anderen Berner zeigten zwar gute Leistungen, blieben aber in den Direktduellen mit den besten Schwingern der restlichen Schweiz oft unterlegen.

Bei Stucki stellte sich im Vorfeld einzig die Frage: Wie kann er die fehlende Wettkampfpraxis wegstecken. «Ich habe da genug Erfahrung», war seine Standardantwort. Und weil er am Bernisch-Kantonalen nicht vollends überzeugte, vielleicht taktisch betrachtet auch gar nicht wirklich überzeugen wollte, wurde er nicht zum absoluten Anwärter auf den Schwingerkönig gehandelt. Auch das hat ihm geholfen. Im Zentrum der Medienwelt standen die Jungen, die, von denen man den Königstitel fast erwarten musste. Und die Innerschweizer, Thrugauer und die Bündner haben derart Druck erzeugt, dass die Schwinger daran zerbrochen sind. Was ist in drei Jahren? Geht sie zu Ende, diese ach so unangenehme Berner Vormachtstellung? Die Berner, die auch im Eishockey und Fussball den Schweizer Meister stellen. Ich behaupte: Stucki ist in drei Jahren wieder voll dabei, und die jungen Berner wie Fabian Staudenmann und Michael Wiget sind in drei Jahre reifer und besser. Bitte keine Diskussionen um das Alter!

Feedback: bmoning@bielertagblatt.ch