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Alt und Jung

Der Rosenkrieg um Aufmerksamkeit

Haben Sie auch schon erlebt, dass Sie etwas am Erzählen sind und die andere Person gleichzeitig einfach auf ihrem Handy rumdrückt?

Luca Brawand alias Landro

Der Moment, wenn man einen Film zurückspulen muss, weil man kurz ans Handy geht und die ganze Szene verpasst. Oder der Moment, wenn man in einem bis zu diesem Zeitpunkt langweiligen Fussballspiel kurz zum Smartphone greift und deshalb das Tor nicht sieht. Das ist «Second-Screening». Wie der Name schon sagt, wird dabei ein zweiter, zusätzlicher Bildschirm benutzt. Wem reicht heutzutage schon ein Bildschirm?

Fast die Hälfte der Amerikaner geben an, beim Fernsehen sehr oft oder sogar immer gleichzeitig noch ein zweites Gerät zu verwenden. Das heisst, während man die neuste
Folge «Bachelorette» schaut, schreibt man den Freunden zurück, beantwortet eine Mail vom Chef und knackt bei «Candy Crush»
den Highscore. Schliesslich ist doch sowieso nur der Teil spannend, wenn sie die Rosen vergeben. Die Frage ist nun, ob das mehr mit der Qualität der Unterhaltung oder doch eher mit der kürzeren Aufmerksamkeitsspanne zusammenhängt. Schliesslich werden wir einfach schneller gelangweilt. Permanente Unterhaltung! Fünf Minuten auf einen Bus zu warten ist unerträglich, wenn man in dieser Zeit nicht kurz nachsehen kann, was der eine Cervelat-Promi zu Mittag gegessen hat.

Und wenn wir etwas konsumieren, wollen wir nur die interessanten und relevanten
Inhalte. Wann haben Sie das letzte Mal ein YouTube–Tutorial komplett angesehen? Wenn ich wissen will, wie man ein Zelt aufstellt, sehe ich mir nicht das ganze Video an. Auch wenn es nur drei Minuten geht, spule ich direkt zu der Stelle vor, an der sie tatsächlich zeigen, wie das Zelt aufgestellt wird. Deswegen wird auch während der «Bachelorette»-Sendung gechattet und bei Fussballspielen
die neusten News gelesen. Hauptsache, man weiss am Schluss, wer die Rose bekommen hat, und verpasst das entscheidende Tor in der 90. Minute nicht.

Wenn man das jetzt zuhause alleine vor dem Fernseher macht, kann das den anderen Leuten eigentlich egal sein. Wie ist es aber, wenn man es gegenüber anderen Menschen macht? Das bringt uns zu einem anderen
Phänomen: «Phubbing». Was klingt wie der neuste virale Social-Media-Trend, setzt sich aus den Wörtern «phone» und «snubbing» (deutsch:_jemanden brüskieren) zusammen und beschreibt das soziale (oder asoziale) Verhalten, wenn jemand das Smartphone dem Gegenüber vorzieht.

Möglicherweise haben Sie auch schon erlebt, dass Sie etwas am Erzählen sind und die andere Person gleichzeitig einfach auf ihrem Handy rumgedrückt. Diese neuartige Verhaltensweise finde ich aus mehreren Gründen interessant. Zum Beispiel zeigen Resultate von Studien, wie anders dieses Verhalten empfunden wird, wenn man es selbst macht, als wenn es die andere Person tut.
Bei sich selbst nimmt man es kaum wahr und kann sich zum Teil kaum daran erinnern, das Handy hervorgeholt zu haben. Die Smartphones und deren Gebrauch sind mittlerweile so habitualisiert und Teil unseres Lebens, dass wir es nicht einmal mehr bemerken. Hingegen bei anderen Personen merken wir es sehr wohl. Wenn wir dann nämlich unseren eigenen, sehr wichtigen Schwank aus dem Leben erzählen und die andere Person uns «phubbt», kann das sehr schnell beleidigend oder zumindest desinteressiert wirken. Wir empfinden also ein Verhalten als beleidigend, das uns bei uns selbst gar nicht auffällt. Diese Feststellung gibt in erster Linie eine Anregung zur Selbstreflektion, wirft aber auch Fragen bezüglich sozialer Regeln und Sitten auf.

Wir haben als Gesellschaft über die Jahre für viele Dinge (wie Begrüssungen, Essen, Small Talk und so weiter) ungeschriebene Regeln aufgestellt, wie man respektvoll und freundlich miteinander umgeht. Jetzt haben wir auf einmal portable Telefone und müssen die Regeln für deren Gebrauch erst aushandeln und aufstellen. Für einen Rentner oder eine Rentnerin mag «Phubbing» unter Umständen diskussionslos unanständig sein, für einen Teenager das Normalste der Welt.

Grundsätzlich sehe ich darin kein Problem und denke, dass sich diese gesellschaftlichen Regeln über die Jahre einpendeln werden.
Ich hoffe einfach, dass wir nicht verlernen, einander zuzuhören und miteinander zu sprechen. Denn im echten Leben dürfte es schwierig werden, eine Stunde lang auf dem Smartphone rumzudrücken und schlussendlich trotzdem die Rose von der Bachelorette zu bekommen.

Info: Der 22-jährige Bieler Luca Brawand hat als Musiker Landro letztes Jahr sein Debütalbum veröffentlicht. Er studiert zudem Medien und  Kommunikation.

kontext@bielertagblatt.ch

Stichwörter: Alt und Jung, Luca Brawand

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