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«Es braucht Kreativität, Zeit und Vorarbeit»

Was macht einen guten Podcast aus? Welche Formate werden siegen? Und was tut eigentlich eine Podcastschmiede? Antworten von Gründer und Podcastkenner Nico Leuenberger.

Er ist hartnäckig seinen Weg gegangen – und wurde belohnt: Nico Leuenberger im Studio im EWZ Selnau in Zürich, das vom Non-Profit-Verein Podcast Club Switzerland betrieben wird. Keystone

von Raphael Amstutz

Die Schallisolation besteht aus einer Matratze und einer Wolldecke. Abenteuerlich nennt man das wohl. Nico Leuenberger lacht. Sein kleines Büro in Winterthur ist auch ein Podcaststudio – deshalb die Matratze und die Decke. «Es ist gebastelt», sagt der 36-Jährige. «Doch es funktioniert.» Und so entstehen dort die meisten seiner Produktionen und Arbeiten.

Seit Leuenberger die Ohren der Schweizer mit substanziellen Informationen, Geschichten, Humor und Emotionen versorgt, ist er auch in Zürich im EWZ Selnau anzutreffen. Dort hat der Podcast Club Switzerland, ein Non-Profit-Verein, deren Co-Präsident Leuenberger ist, ein Kabäuschen mit der nötigen Technik installiert.

Leuenberger hat bei der Planung und dem Bau mitgeholfen. Das Studio wird zurzeit von durchschnittlich fünf Personen pro Woche benützt, das Ziel wären zehn bis 15. «Es zieht an», sagt Leuenberger. Er sagt aber auch: «Es gibt noch Luft nach oben.»

Leuenberger ist ein Radiomann. Zehn Jahre hat er für unterschiedliche Sender in der Schweiz gearbeitet – er hat moderiert, recherchiert und produziert. Geschichten habe er schon als Jugendlicher gerne und öffentlich erzählt. Trotzdem hat er mit einem Bauingenieur-Studium begonnen. «Ich dachte, es müsse etwas Rechtes sein», sagt er. «Radiomoderator, das kann man doch nicht lernen.»

«Zeit war noch nicht reif»
Als er in der Studienberatung erfährt, dass das sehr wohl geht, wechselt er den Studiengang und schliesst an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften die Journalistenausbildung ab. Es folgen Praktika und ein ganzes Jahrzehnt bei den verschiedenen Radioanstalten.

Als er merkt, dass es wegen der Sparmassnahmen nicht mehr möglich ist, Geschichten so zu erzählen, wie er sich das vorstellt, entscheidet sich Leuenberger Anfang 2019 für den Weg in die Selbstständigkeit und gründet die Podcastschmiede. Er nimmt zur Existenzsicherung ein Kommunikationsmandat bei einer Stiftung an («mein bedingungsloses Grundeinkommen», wie er es nennt) und beginnt, Podcasts herzustellen.
«Abverheit» entsteht, eine Sendung übers Scheitern. Unternehmerinnen und Unternehmer erzählen Leuenberger von ihren besten Ideen, die dann doch nicht funktioniert haben.

Leuenberger zeigt sich, macht Werbung, sucht Sponsoren. Mit mässigem Erfolg. «Die Zeit war noch nicht reif.» Doch er gibt nicht auf. Und plötzlich «hängt es ein». Grosse Namen wie Avenir Suisse oder Economiesuisse werden seine Kunden. Und auch die Schweizer Medienhäuser machen mit. «Es gab einen Push», erinnert sich Leuenberger.

Seine Hartnäckigkeit zahlt sich aus, seine Qualität wird geschätzt. Er wird weiterempfohlen. So produziert er nun unter anderem den Wissenschaftspodcast «Durchblick» für den «Blick» oder eine Sendung für die Migros zum Thema Nachhaltigkeit («Chrut & Rüebli»). Wichtig ist ihm: «Ich bin kein Werbekanal. Ich bereite die Themen so auf, wie ich es als richtig empfinde.» Er behält sich auch vor, Aufträge abzusagen. Die Podcastschmiede ist momentan ausgelastet, für eigene Projekte fehlt die Zeit. Für Leuenberger ist klar: «Podcasts sind, wie so vieles, ein Luxusgut. Ich fürchte, dass sie verschwinden, wenn eine Krise kommt. Weil die Mittel nicht mehr aufgebracht werden wollen.»

Diese Aussage liess sich schneller überprüfen als gedacht. Im März kam das Coronavirus ins Land. «Momentan ändern sich die Hörgewohnheiten, weil das Pendeln wegfällt», so Leuenberger kurz danach. «Das schadet zwar gewissen Podcasts, andere aber sind durch die Krise aufgeblüht, allen voran natürlich das Corona Update des NDR mit Christian Drosten oder der Corona-Podcast von Radio 1.» Abgesehen von denjenigen Podcasts, die an Live-Events geknüpft waren, seien keine Aufträge zurückgezogen worden. «Meine Befürchtungen haben sich zum Glück nicht bewahrheitet.»

So halten sich in der Podcastschmiede die entfallenen Aufträge etwa die Waage mit neuen Aufträgen. «Wir haben zum Beispiel Texte zur Corona-Sondersession des Parlaments vertont», so Leuenberger. «Es freut mich, dass in der Krise auch neue Wege ausprobiert werden, und da eignen sich Podcasts als intimes Medium mit hoher Glaubwürdigkeit sehr.»

Andererseits gebe es seit einiger Zeit das Mantra: Wir müssen auch einen Podcast haben. Über 300 werden momentan alleine in der Schweiz produziert. Leuenberger ist überzeugt, dass es eine Flurbereinigung geben wird. «So gibt es schlicht zu viele Podcasts, bei denen weisse, ältere Herren mit grossem Sendungsbewusstsein einfach lange reden.»

Leuenberger wünscht sich, dass sich die Macher stärker überlegen, weshalb sie ein bestimmtes Format wählen. «Es wird immer ein Überangebot an Gesprächspodcasts geben, weil die so einfach zu produzieren sind. Hoffentlich wagen auch mehr Produzierende den Sprung in die Reporterformate», so Leuenberger. Was ist denn ein guter Podcast? Wichtig sei, die Zielgruppe genau zu definieren, so Leuenberger. Grundsätzlich plädiert er hierzulande ausserdem für Mundart. «Die Menschen sind einfach authentischer – und das hört man.»

Leuenberger findet nicht die perfekt produzierten Podcasts am besten. «Einige Ähs, Räusperer, Hintergrundgeräusche oder Pausen sollen durchaus drin bleiben. Einer sterilen Aufnahme fehlt das Leben.» Weitere Fallstricke: Viel zu oft werde versucht, vermeintlich Erfolgreiches zu kopieren. Zudem fehle vielen die Erfahrung. Das höre man nicht wenigen Produkten an.

Der Blick auf schnellen Erfolg und hohe Klickzahlen bringe nichts. «Es braucht Kreativität, Zeit und eine gründliche Vorarbeit», so Leuenberger. Und allem voran ein Alleinstellungsmerkmal. Er bringt die Analogie zum Büchermarkt: Rund 70000 belletristische Werke erscheinen jedes Jahr. Lesen kann ein einzelner Mensch nur die wenigsten. Wie also auffallen? Wie eine gewisse Relevanz schaffen und die Menschen dazu bringen, dem Produkt treu zu sein? Und vor allem: Wie gelingt es, dass bei den Hörern das Kopfkino zu laufen beginnt? Wenn diese Fragen erfolgreich beantwortet werden könnten, sei es auch die Frage beantwortet, was ein guter Podcast ist.

Viele Fragen, dann erst ein Konzept
Mit seiner Podcastschmiede hilft Leuenberger bei der Suche nach Antworten. Am Anfang stehe ein ausführliches Gespräch, sagt er. «Ich stelle viele Fragen. Ich spüre heraus, was der Wunsch ist, wer erreicht, welcher Nutzen erzielt werden soll, wie ernst es einer Person ist und wie viel sie bereit ist, dafür zu investieren.» Anschliessend werde ein Konzept ausgearbeitet, das Leuenberger als Vorschlag präsentiert.
Wie lebt es sich als professioneller Podcasthersteller? «Ganz gut», sagt Leuenberger. Was hilft: Er sei keine ängstliche Person und könne die Fixkosten tief halten. Doch: «Wem ein sicherer Arbeitsplatz wichtig ist, wird in dieser Branche nicht glücklich.»

Momentan sucht er neue Räumlichkeiten. Der Vertrag in Winterthur läuft im September aus. Ob die Matratze und die Wolldecke den Umzug überleben, weiss Nico Leuenberger noch nicht. «Es wäre eine schöne Anekdote», sagt er. Vielleicht sogar der Anfang eines Podcasts.

Info:Die von Keystone-SDA verfasste Serie zum Thema Podcasts ist mit finanzieller Unterstützung aus dem Kredit Verständigungsmassnahmen des Bundesamtes für Kultur zustande gekommen.

Die Situation auf dem Schweizer Markt
Podcasts wurden in den USA gross – und gewannen mit der Einführung der Smartphones rasch an Einfluss und Reichweite. Noch vor 15 Jahren waren sie in der Schweiz ein Nischenprodukt und nur einer sehr interessierten Gruppe bekannt. In der breiten Öffentlichkeit seien Podcasts erst vor rund fünf Jahren angekommen, sagt Nico Leuenberger. Der Zuwachs sei exponentiell, «alle wollen es probieren.»
Neben der Podcastschmiede sind zwei andere grössere professionelle Anbieter auf dem Markt: Das Audio Story Lab von This Wachter und das Podcastlab BS. «Wir sind wenige und wir sprechen viel miteinander», sagt Leuenberger und ergänzt: «Wir sind aber kein Kartell.» Im EWZ Selnau in Zürich steht ein kleines Studio, das vom Non-Profit-Verein Podcast Club Switzerland betrieben wird und das man mieten kann (Ein Franken pro Minute für Private, zwei pro Minute für Firmen). Die Initiative für das Studio kam von der Club-Gründerin Katarina Hagstedt. Finanziert wurde der Studiobau durch die Stiftung Engagement Migros, die Betriebskosten übernehmen Stiftungen (Gebert Rüf Stiftung und Stiftung Mercator).
Link: www.podcastclub.ch

Die Podcastschmiede
Nico Leuenberger konzipiert und produziert Podcasts und bietet Sprechstunden für Menschen an, die selber einen Podcast realisieren wollen. Die Podcastschmiede arbeitet mit160 Stellenprozenten. Leuenberger, der zweifache Familienvater, übernimmt 70, Franziska Engelhardt («Zündstoff») arbeitet 40 Prozent und Reporterin Amila Redzic 30 Prozent. Peter Hanselmann verstärkt das Team mit weiteren 20 Prozent. «Am meisten überrascht hat mich», so Leuenberger, «auf wie viel Interesse mein Angebot stösst. Das hätte ich vor einem Jahr nicht zu träumen gewagt.»
Link: www.podcastschmiede.ch

Was Leuenberger hört– und was ihm fehlt
Diese Podcasts hört Nico Leuenberger am liebsten:
«Radiolab»
«Die grösste Inspiration für meine Arbeit. Jede Episode ist bis ins kleinste Detail durchdacht, wunderschön produziert, mit Wissenswertem aus aller Welt.»
«Zündstoff» (erschienen bei der «Republik»)
Franziska Engelhardt arbeitet darin den Brand ihres Elternhauses auf, in dem ihr Vater, ein Messie, gewohnt hatte.
«Should This Exist?»
Innovative Köpfe bringen immer wieder überraschende Produkte hervor. Doch sollten diese Erfindungen wirklich existieren?
«StartUp»
Die Entstehungsgeschichte der US-Podcast-Produktionsfirma Gimlet.
«A Very Fatal Murder»
Parodie auf den Hit-Podcast «Serial». «Aufwändig produziert mit eimerweise schwarzem Humor.»
Was Leuenberger fehlt: Podcasts von Minderheiten. Menschen, die keine laute Stimme haben. Migranten zum Beispiel. Er wünscht sich mehr Mut von den Betroffenen und mehr Vertrauen von Sponsoren. «Viele Geschichten sind mit den Mitteln und Möglichkeiten des Podcasts noch nicht erzählt worden.»

Stichwörter: Medien, Podcast

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