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Podcast

«Ich kam fast wie Maria zum Kinde»

Kristian Schneider wollte eigentlich nie Kinder haben und scheute die Stadt Biel. Heute ist er Vater und leitet das Bieler Spitalzentrum. Wie es dazu kam, erzählt er im Podcast «Sags Frei». Ein Auszug.

Kristian Schneider
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Interview: Hannah Frei


Kristian Schneider, Karriere oder Beziehung?
Kristian Schneider: Beziehung.

Und doch haben Sie eine steile Karriere hingelegt, vom Pfleger zum Spitaldirektor. Hat Ihre Beziehung nie unter der Karriere gelitten?
Grundsätzlich liess sich dies gut kombinieren – der Beweis dafür ist, dass mein Partner und ich nächstes Jahr unser 20-Jahr-Jubiläum feiern. Aber natürlich hat die Beziehung manchmal gelitten. Beispielsweise, als es meinem Partner einmal nicht so gut ging und ich aufgrund meiner Arbeit zeitweise nicht genügend Zeit für ihn hatte. Mit so einer Rolle ist man sehr gebunden. Ich wäre damals gerne mehr dagewesen. Aber es war ein zeitlich begrenztes Leiden, das sich auch wieder aufgelöst hat. Und: In einer Partnerschaft führt jeder auch ein eigenes Leben. Es muss Raum geben für das, was man als Individuum gerne machen möchte, auch beruflich.

Wie war es für Sie, zu wissen, dass Sie weniger Zeit für Ihren Partner hatten, als er von ihnen gebraucht hätte?
Ich hatte zum Glück die Möglichkeit, mich beruflich neu zu organisieren. Ich habe damals klar deklariert, dass es Momente geben wird, in denen ich früher oder ganz plötzlich werde nach Hause gehen müssen. Für diese Freiheit war ich sehr dankbar. Ich musste aber auch feststellen, dass es nicht immer etwas bringt, bei jemandem nebendran zu hocken, wenn es der Person nicht gutgeht. Das, was ich will und das, was es braucht, muss nicht zwingend dasselbe sein. Und für mich war es nicht grundsätzlich ein Leidensweg für die Beziehung. Am Ende ist unsere Beziehung an dieser Krise gewachsen.

Wie haben Sie Ihren Partner kennengelernt?
Ich arbeitete damals in Basel und war auch oft dort im Ausgang. Sehr oft. Zwischen 20 und 30 war ich eigentlich permanent im Ausgang.


Also Donnerstag, Freitag, Samstag?
Genau, jede Woche. Ich habe meinen Partner im Ausgang kennengelernt. Er kommt aus Frankreich, also wirklich Frankreich, nicht Elsass. Er sprach nur Französisch. Und ich konnte nur das, was ich in der Schule gelernt hatte. Ich hasste Französisch. Das war für mich immer furchtbar. Trotzdem habe ich versucht, mit ihm ins Gespräch zu kommen. So lernten wir uns kennen. Und dann ging eigentlich alles ganz schnell.

Nach all den Jahren, was gefällt Ihnen an Ihrem Partner am meisten?

Nebst dem, dass er wahnsinnig gut aussieht – das wäre eine zu oberflächliche Antwort – kann in unserer Beziehung jeder sein, was er will. Das ist für mich etwas ganz Zentrales. Ein weiterer Punkt ist, dass mein Partner ein leibliches Kind hat. Ich habe sie als Siebenjährige kennengelernt und darf sie seither auf ihrem Weg begleiten. Dadurch kam ich zu einer Vaterrolle. Und das ist ein grosses Geschenk für mich.

Wollten Sie schon immer Familie?

Nein, im Gegenteil. Mein Motto war: Bloss keine Kinder. Ich kam fast wie Maria zum Kinde, hatte als junger Mann kein Interesse daran. Ich habe ein Geschenk gekriegt, das ich gar nicht wollte, dann aber trotzdem sofort als gross und wert wahrgenommen habe. Das ist ein Element, das mich und meinen Partner nochmals verbindet. Einer der Bausteine, weshalb ich meinen Partner bis heute aus tiefstem Herzen liebe.

Zurück zur Karriere: Sie sagten, dass Sie eigentlich nie Spitaldirektor werden wollten. Wieso sind Sie es trotzdem geworden? Und wieso bis heute geblieben?

Es war nicht mein Ziel. Ich habe relativ schnell gemerkt, dass ich gerne führe und organisiere. Diese Chance erhielt ich dann auch im Pflegebereich. Aber in meinem Leben ist vieles einfach an mich herangetragen worden. Ich habe mich lediglich einmal aus freien Stücken für eine Stelle beworben.

Für welche?

Es war die einzige, die ich nicht erhalten habe, und zwar als Leiter der Notfallpflege im Universitätsspital Basel. Später habe ich diesen Posten dann doch übernehmen dürfen, aber damals wurde ich angefragt, musste mich also nicht erneut aktiv bewerben. Und danach ergaben sich für mich wie von selbst immer wieder neue Chancen, zuerst im Jura, dann als Spitaldirektor in Biel. Ich hatte so viel Glück in meinem Leben. Es wurden mir immer tolle Challenges angeboten, die ich mir gar nie ausgesucht hätte, wie beispielsweise die Stelle in Biel.

Sie wollten also gar nicht ans Spitalzentrum Biel?
Nein. Als der Headhunter gesagt hat, es gehe ums Spitalzentrum in Biel, habe ich gesagt, ich komme nicht.Weshalb nicht?
Es war Biel. Biel ging für mich damals gar nicht. Das Bild, das ich von Biel hatte, war eine Katastrophe: ein grässlicher Bahnhofsplatz, heruntergekommene Quartiere, Stau. Der Jurassier hält nicht viel von Biel. Der orientiert sich in der Regel lieber nach Basel. Biel war für mich damals kein Thema – was rückblickend sehr schade ist. Denn ich bin ja lernfähig. Und heute erlebe ich Biel ganz anders!


Wie denn?
Als eine wirklich offene Stadt. Ich dachte früher immer, Basel wäre eine offene Stadt. Aber wenn es eine wirklich offene Stadt gibt, dann ist das Biel.

Woran machen Sie dies fest?

Wenn man frisch nach Biel kommt, geht es zwei Wochen, und man gehört schon fast dazu, wie ein Einheimischer. Hier gibt es nicht wie in Basel einen alten Teig, der hintenherum Politik macht. In Biel gibt es zwar auch solche Verbindungen, keine Frage, das ist ja in einer Konglomerats-Stadt ganz normal. Doch das stört nicht. Man hat nicht den Eindruck, dass es schwierige Machtstränge gibt, die unzerbrechlich sind. In diese Stadt kann man reinkommen, wird akzeptiert und darf sofort mitmachen. Das ist für mich einzigartig, so etwas habe ich noch nie erlebt.

Dabei wohnen Sie ja nicht einmal in Biel, sondern in Nidau ...
Ja, weshalb gibt es zwischen Biel und Nidau überhaupt noch Gemeindegrenzen? Ich habe da eine ganz klare Meinung: Irgendwann werden sich Biel und die umliegenden Gemeinden an einen Tisch setzen müssen. Schon nur, um die zehntgrösste Stadt zu bleiben. Wenn wir nicht bald fusionieren, wird uns Neuenburg überholen. Es geht nicht darum, um jeden Preis zu wachsen, sondern, den Platz auf der Liste der grössten Schweizer Städte zu behalten. Dadurch wird Biel anders wahrgenommen, wichtiger, relevanter. Ich möchte auch weiterhin in Nidau wohnen bleiben, aber ich würde mir wünschen, dass es bald zur administrativen Zone von Biel gehört.

Nach Biel sind Sie also nur durch Zufall gekommen, fast ein wenig gezwungen?

Ja, das ist so. Aber es hat mir wieder einmal gezeigt, dass man sich keine klare Meinung über etwas bilden sollte, das man gar nicht kennt. Das ging bei mir etwas arg schnell – und war gegenüber Biel nicht ganz fair. Denn eigentlich ist es mir wichtig, als Person keinen Stempel aufgedrückt zu bekommen. Dann sollte ich aber auch keiner Stadt einen Stempel aufdrücken, besonders keinen so negativ behafteten.

 

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