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Trinkwasser

«Politischer Zwang zum Erfolg verhindert kritische Reflexion»

An einer Online-Tagung der Akademie der Naturwissenschaften haben gestern Fachleute über 
die Zielkonflikte zwischen Landwirtschaft und Gewässerschutz diskutiert. Unter ihnen auch Seeländer.

Symbolbild: bt/a

Brigitte Jeckelmann

Wasser und Landwirtschaft – Wechselwirkungen und Zielkonflikte. So lautet die Überschrift zur Online-Tagung von gestern. Veranstalterin war die Akademie der Naturwissenschaften. Das Thema ist gerade so kurz vor den Abstimmungen vom 13. Juni von grossem Interesse. Das zeigten die 180 registrierten Teilnehmenden. So ging es denn auch gleich zu Beginn zur Sache: Der Chemiker Klaus Lanz vom unabhängigen Forschungs- und Beratungsinstitut «International water affairs» mit Sitz in Leubringen wies unter dem Titel «Landwirtschaft und Wasser – vor welchen Fragen stehen wir?» darauf hin, dass eines der Hauptprobleme der begrenzte Raum darstellt: So sind Fliessgewässer hierzulande eng umstellt von Verkehr, Siedlungen und der Landwirtschaft.

Er hielt fest, dass besonders die Uferzonen der Gewässer dadurch stark beeinträchtigt sind. Wegen zu hoher Tierbestände, die hauptsächlich für Nitrat und Ammoniak verantwortlich seien, würden Ökosysteme aus dem Gleichgewicht geraten.

 

Ganze Gesellschaft beteiligen

Es brauche Lösungen, die über die Landwirtschaft hinausgehen und die ganze Gesellschaft mit einbinden: Konsumentinnen und Konsumenten, die Landwirtschaft, den Handel und die Wirtschaft. Die Vortragenden waren sich einig: Für einen wirksamen Schutz des Grundwassers und der Biodiversität sei ein grundlegender gesellschaftlicher und politischer Wandel notwendig. Zudem gebe es eine moralische Verpflichtung, den nachfolgenden Generationen funktionierende Ökosysteme zu hinterlassen. Eine wichtige Voraussetzung dafür sei, begradigten Fliessgewässern mehr Raum zu geben, also sie zu renaturieren.

Rainer Hug vom Amt für Umwelt des Kantons Solothurn referierte über die Grundwasserschutzzonen und wem diese gehören. Meist seien die Schutzzonen nicht im Besitz der Wasserversorger. Trinkwasserfassungen seien von Siedlungen, Landwirtschaft, Industrie und Verkehr verdrängt worden. Die Grundwasser-Schutzzonen in Oensingen zum Beispiel seien verbaut, man habe es verpasst, die notwendigen Flächen freizuhalten mit der Folge, dass zahlreiche Fassungen stillgelegt werden mussten. Und so werde «im Wasserschloss Schweiz gut geschütztes und einwandfreies Grundwasser knapp», kommt Hug zum Schluss. Dieser Druck werde zunehmen, weshalb Hug für weniger Trinkwasserfassungen an guten Standorten plädiert, die optimal geschützt sind. Dafür brauche es aber regionale oder sogar nationale Lösungen.

Im folgenden Block erklärte der Hydrologe Daniel Hunkeler von der Universität Neuenburg, dass der Untergrund für eine natürliche Selbstreinigung des Grundwassers sorgt. Deshalb sei keine aufwendige Aufbereitung nötig. Doch für Nitrate und bestimmte Abbauprodukte von Pflanzenschutzmitteln funktioniere diese Selbstreinigung nicht. Deshalb gelangten diese Stoffe bis zu Pumpwerken und Quellen. Im Gegensatz zu Flüssen und Seen habe Grundwasser ein langes Gedächtnis. Wenn Zielwerte einmal überschritten sind oder sich Qualitätskriterien aufgrund von neuen Erkenntnissen ändern, könnten Jahrzehnte vergehen, bis die Werte wieder in Ordnung kommen.

Deshalb sollten künstliche, langlebige Stoffe nicht im Grundwasser vorkommen. Hunkeler verwies auf die seit Jahren bekannten Belastungen des Grundwassers mit Metaboliten von Pflanzenschutzmitteln und Nährstoffen aus der Landwirtschaft. Zwar seien Anstrengungen zur Senkung im Gang, die erzielten Fortschritte hingegen bescheiden.

 

Politischer Wille fehlt

Der Pestizidexperte Christian Stamm vom Wasserforschungsinstitut Eawag sprach Klartext: Er prangerte den fehlenden Willen der zuständigen Akteure an, aus den Auswertungen von getroffenen Massnahmen zu lernen. Daten würden positiv interpretiert, obwohl diese die Aussage nicht stützten: «Der politische Zwang zum Erfolg verhindert kritische Reflexion.» Stamm kritisiert am Aktionsplan Pflanzenschutz des Bundes, dass er nicht ausreichend sei, die parlamentarische Initiative zu unkonkret. Für Stamm ist es deshalb fraglich, ob die Ziele des Gewässerschutzes so zu erreichen sind. Den Massnahmenplan sauberes Wasser des Bundesrats enthalte zwar effektive Massnahmen. Doch dieser befinde sich erst in der Vernehmlassung. Stamms Prognose für die Wasserqualität: Der Fortschritt hänge von den tatsächlich umgesetzten Massnahmen ab. Und man solle den Mut haben, sowohl Erfolge als auch Misserfolge offen zu kommunizieren.

Am Podium zum Schluss der Tagung sprachen auch Roman Wiget, Geschäftsführer der Seeländischen Wasserversorgung, und Peter Thomet, Präsident des Vereins Pro Agricultura Seeland. Wigets Vision: Landwirte sollen sich nicht nur als Lebensmittel- sondern auch als Trinkwasserproduzenten verstehen. Dies solle auch mit Zahlungen unterstützt werden. Peter Thomet dagegen verwies auf das Potenzial von innovativer Technologie und neuen Pflanzenzüchtungen. So könne man den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln verringern.

Stichwörter: Trinkwasser, Seeland, Region

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