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Sprache

Dieser Text geht auf keine Kuhhaut

Wer hat seinen Nachbarn gedanklich nicht schon mal als «dumme Sau» taxiert? Ob berechtigt oder nicht – Anlass zum Schmunzeln geben solche tierischen Sprachbilder immer wieder. Dies zeigt ein Blick in Christian Schmids Buch.

Tiere regen seit Millionen von Jahren die menschliche Kultur an - hier ein Besucher im Chauvet, wo prähistorische Malereien als Replika gezeigt werden. Bild: Keystone
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Roman Bertschi

Was unterscheidet den Menschen vom Tier? Eine Antwort aus der Psychologie sagt: die Musik und die Kunst. Schon in der Steinzeit schützten in dunklen Nächten Gesang und Klang sowie das Wissen um die Tiere und die Umwelt. Zeugen davon sind Höhlenmalereien auf der ganzen Welt, abgebildet sind Mammuts, ausgestorbene Pferderassen oder Raubtiere wie der Säbelzahntiger. Und schon früh kamen Wölfe, Wildhühner und 
-pferde in die Nähe von menschlichen Siedlungen. Der Kontakt intensivierte sich, das sorgte für Gesprächsstoff und -stoffe, Redensarten und Bezeichnungen, die bis heute in der zwischenmenschlichen Kommunikation auftauchen. Somit sind wir sozusagen auf den Hund gekommen, manchmal sagen wir: Ich glaub mich tritt ein Pferd.

Genau solchen Tönen in Wort und Schrift geht Mundart-Autor Christian Schmid in seinem dritten Buch «Nur die allergrössten Kälber wählen ihren Metzger selber – Unsere Tiere in der Sprache» nach.

Tierisch gefärbter Spott

Wie Schmid festhält, gibt es selbstverständlich «zahllose rührselige und sentimentale Pferde-, Hunde- und Katzengeschichten für Kinder und Erwachsene. Aber viel gängiger sind in der Alltagssprache jene sich auf Tiere beziehenden Wörter, Ausdrücke und Redensarten, mit denen wir spotten, schimpfen und beleidigen. Du Hornochse, Rindvieh, Esel, blöde Kuh und fauler Hund sagen wir, ohne auch nur im Ansatz zu überlegen, wen wir da beiziehen, um zu sagen, er oder sie sei dumm, blöd, faul oder störrisch.»

Und «wenn wir nicht mehr weiterwissen, können wir dastehen wie der Ochs vorm Berg oder die Kuh vor dem Scheunentor. Wer ausnahmsweise Erfolg hat, kriegt zu hören, dass auch ein blindes Huhn mal ein Korn findet. Wer in soziale Not gerät, kommt auf den Hund. Wer sich rüpelhaft benimmt, lässt die Sau raus.»

Prominente Sau

Gerade die Sau ist bekanntlich beliebtes Mittel zum Zweck, um jemanden mal wieder in den Mist zu stossen. So erfährt man im Kapitel Sau und Schwein in Schimpfwörtern, dass diese «bis heute gängige und rasch geäusserte Schimpfwörter für schmutzige, böse, hinterlistige und unzuverlässige Menschen» sind. Im deutschschweizerischen ist die berühmt Moore oder Soumoore ein weit herumgereichter und bekannter Begriff, der allerdings nicht gerade ein brüderliches oder schwesterliches Verhältnis zum so titulierten Mitmenschen markiert.

Auch die Bedeutung des Sautroges wird einem beim Lesen klarer – nämlich als ein Schimpfwort in der Bedeutung von Schmutzfink. Oder im derben O-Ton von 1713: «du Hennen-Vogt / du Mist-Hammel / du Sautrog / du Haspel-Fresser / du Kühe-Darm / du Zwiebel-Selcher / du Kletzen-Probst / du Besen-Lümmel.» Und wer die Heilige Schrift aus Sicht von theologischen Autoritäten nicht vorbildlich und gehorsam auslegte, der hörte wohl auf dem Marktplatz hinter seinem Rücken schon bald die lebensgefährliche Äusserung «er geht met um wie die Sau merem Berrlsack», was so viel heisst wie: er vergehe sich an der Bibel, oder, noch näher beim Scheiterhaufen, bei Gott selbst.

Auch der Hund dient

Doch nicht nur die Sau ist der Sklave des Menschen. Auch der Hund wird von der Krone der Schöpfung an der kurzen oder langen Leine geführt. Im Gegensatz zum Schwein ist er aber weniger negativ besetzt und gilt, wenigstens bei uns, als geliebter Freund des Menschen. Wie Schmid weiss, übernimmt er die verschiedensten Funktionen wie «Herdenschutzhund, Hirtenhund, Hofhunde, Jagdhunde, Schäferhunde, Schlittenhunde und Schutzhunde». Moderne Aufgaben nehmen Hunde als «Blindenhunde, Drogenhunde, Fährtenhunde, Katastrophenhunde, Lawinenhunde, Minensuchhunde, Polizeihunde, Therapiehunde und Trüffelhunde» ein.

Anders als heute hielt man Hunde früher nicht zum Vergnügen. Sie hiessen entsprechend ihrer (Bewachungs-)Aufgabe «Haus-, Hof- oder Bauernhund, wenn sie eine Mühle bewachten Mühlehund, wenn sie eine Gerberei bewachten Gerberhund». Zudem sei «die ältere Bezeichnung für Hofhund (…) Hofwart». Dieser Begriff hat sich bis heute im Hunderassen-Namen Hovawart gehalten.

(K)ein Vegetarier

Bei aller Liebe zum Sprachwitz: Schmid belustigt sich nicht auf Kosten der Tiere, er reflektiert auch die Tragik und Doppelmoral, die seit Anbeginn in der Beziehung zu unseren Begleitern liegt. Er schlägt den Bogen vom Beginn des Christentums bis in die heutige Zeit der Massentierhaltung und -schlachtung. Schmid weist auf das christliche Gebot zum Fleischkonsum hin und zitiert aus dem ersten Buch Mose, dem Beginn des Alten Testaments: «Alles Lebendige, das sich regt, soll euch zur Nahrung dienen. Alles übergebe ich euch, wie die grünen Pflanzen. Nur Fleisch, in dem noch Blut ist, dürft ihr nicht essen.»

Im Mittelalter wurde die Genesis zunehmend liberaler interpretiert, 1628 hiess es beim katholischen Geistlichen Hubertus Lommessen: «Erstmals aber / da der allmechtig Gott den Menschen Fleisch zu essen erlaubet / ward kein underschied Fleischs halben fürgeschrieben. Dann also sprach Gott zu Noah und seinen Sönen / alles was sich regt und lebt / das sey ewer Speiss / wie das grün Kraut hab ichs euch alles geben.»

Die verbreitete Haltung in der frühen Neuzeit war schliesslich massgebend für die heutige Massentierhaltung und -schlachtung. Der Elch gilt beispielsweise im Brockhaus von 1888 als ein «scheues, aber dummes Tier». Grundsätzlich wurde Tieren eine Seele und jede Art von Intelligenz abgesprochen, ganz im Gegensatz zum übermenschlichen Menschen.

Arrogante Wissenschaft

Zum Schluss seines Bogens widerspricht Schmid diesen Ansichten und bemerkt, dass «zwischen Tier und Mensch, was den Aufbau des Zentralnervensystems und die kognitiven Fähigkeiten betrifft, kein absoluter, sondern ein gradueller Unterschied besteht». So reflektiert Schmid seine überaus gut arrangierte und ausgewählte Sammlung kritisch und von einem aktuellen Standpunkt aus. Er gibt zu bedenken, dass deren Inhalt hauptsächlich aus mehr oder weniger grauer Vorzeit stammt und sicher nicht dem heutigen Wissens- und Achtsamkeitsstand gegenüber dem Tier entspricht.

Warum dann dieses Buch, warum dann eine Sammlung von Sprichwörtern, die beim Druck des Buches schon veraltet sind? Die schlüssige Antwort Schmids ist einfach: «Dieses Buch soll zeigen, in welchen Zusammenhängen unsere Tiere, das hiesst die bekanntesten Nutz- und Haustiere, und das, was wir mit ihnen tun, in unserer Alltagssprache vorkommen, was wir über sie sagen und was wir mit ihnen über uns sagen.»

Humor und Abwechslung

Schmids Buch ist, bewusst und von einem heutigen Standpunkt aus gelesen, unterhaltsam und humorvoll. Zwar ist das Tier der Ideengeber und somit Quelle der vielen geradezu skandalös-humorvollen Redenwendungen. Doch selten ist mit der Wendung das Tier gemeint, fast immer sind es die Menschen. Das Überstülpen von angeblich tierischen Eigenschaften regt zum schmunzeln, lachen und nachdenken an. Zudem ist der Stoff sehr pointiert und in einem abwechslungsreichen Schreibfluss aufs Papier gebracht. Ständig hat man das Gefühl, vom Autor geführt zu werden, ist sich aber nicht im Klaren, was als nächstes auf die Leserschaft zukommt. Und immer dringt die Komik dieser animalisch-menschlichen Formulierungen ins Gemüt der Leserin.

Zudem ist der Aufbau des Buches geeignet, um immer mal wieder darin ein- und wieder aufzutauchen. Wer das Buch beiseitelegt, wird sich belustigt wiederfinden und ähnlich einem Eihörnchen schon bald die nächste Eichel ausgraben wollen. Der Autor erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, doch bei genügend Disziplin zur Lektüre wird man in Sachen Tier und Sprache zum schlauen Fuchs. Definitiv also ein Buch für Leseraten, Brillenschlangen, graue Wölfe, Panther, Paradiesvögel oder lahme Schnecken und Enten. Denn egal, wer dieses Buch wie oft und für wie lange aufschlägt: Die meisten dürften es wieder in die Finger – oder hiess es doch Pfoten? – nehmen.

Info: Christian Schmid, «Nur die allergrössten Kälber wählen ihren Metzger selber», Cosmos Verlag, 2021, 326 Seiten, gebunden ca. 38.90 Franken.

Stichwörter: Tiere, Metaphern, Sprache

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