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Trinkwasser

Kehrtwende bei der Filteranlage: Kommt sie nun doch nicht?

Die Seeländische Wasserversorgung hat das Baubewilligungsverfahren für die Filteranlage gestoppt. Neue Versuche sollen zeigen, ob es Alternativen gibt.

Urs Lanz und Roman Wiget (echts) haben Ausschau nach Alternativen gehalten – und gefunden. Raphael Schaefer
von Brigitte Jeckelmann
Die Rückstände des Fungizids Chlorothalonil sind für Wasserversorger ein Problem. Sie verbleiben lange im Grundwasser und sie sind nur sehr schwer mit aufwändigen Verfahren wieder loszuwerden. Am besten funktioniert die Umkehrosmose. Eine solche Filteranlage hätte die Seeländische Wasserversorgung Worben SWG womöglich noch in diesem Jahr in Betrieb nehmen wollen. 
Doch nun hat es sich der Vorstand des Gemeindeverbands anders überlegt und das laufende Baubewilligungsverfahren einstweilen auf Eis gelegt. Der Grund: Laut Geschäftsführer Roman Wiget sollen erst andere Verfahren getestet werden. Denn seit die SWG das Baugesuch für die Filteranlage Ende letztes Jahr eingereicht hatte, hat die Technologie Fortschritte gemacht. So gebe es neue Sorten Aktivkohle sowie neue Membrane bei der Nanofiltration. Die Aktivkohle bindet Stoffe an ihre poröse Oberfläche. Bei der Nanofiltration wird das Wasser mit Druck durch eine feine Membran gepresst. 
Dennoch überrascht die Kehrtwende: Erst im November hatten die Abgeordneten der Anschlussgemeinden der SWG an ihrer Versammlung das Projekt bewilligt. Teilweise gab es heftige Kritik dagegen. So warfen einige Abgeordnete Roman Wiget und SWG-Vorstandspräsident Urs Lanz vor, nicht genügend Alternativen geprüft und die Filteranlage im Schnellschussverfahren durchgedrückt zu haben. 
Dagegen wehren sich Urs Lanz und Roman Wiget: «Wohl haben wir alternative Verfahren geprüft.» Doch der damalige Wissensstand basierte auf der Erkenntnis, dass nur die Umkehrosmose die Rückstände von Chlorothalonil wirksam und mit verhältnismässigen Kosten aus dem Wasser eliminiert. 
 
Urs Lanz doppelt nach: «Auch wenn wir einen Beschluss haben, heisst das ja nicht, dass wir nicht parallel dazu nach Alternativen Ausschau halten.» Das habe man nun getan. Lanz hält fest, dass es keinen Sinn ergebe, stur an einem Millionen teuren Projekt festzuhalten, wenn neue Verfahren auf den Markt kommen, die sich als nachhaltiger als die Umkehrosmose erweisen könnten. 
Grosse Hoffnung setzt Wiget in die neu entwickelten Aktivkohlen auf Kokosnuss- und Holzbasis. Er verweist auf laufende Versuche des Schweizerischen Vereins des Gas- und Wasserfachs SVGW. Er sei mit dem Versuchsleiter in Kontakt. Erste Erkenntnisse sollen zeigen, mit welchen Sorten der neuen Aktivkohlen auch die SWG einen Langzeitversuch starte. 
 
Zustimmung bei Gegnern
Bei den Kritikern der Filteranlage stösst der Entscheid des SWG-Vorstands auf Zustimmung. «Wir begrüssen Massnahmen die zur Verbesserung der bereits sehr guten Trinkwasserqualität beitragen», sagt der Epsacher Gemeinderat Bruno Landolf. Dies unter der Voraussetzung, dass diese verhältnismässig, ökologisch und in Zusammenarbeit oder Austausch mit anderen Trinkwasserversorgern, den zuständigen kantonalen Stellen und je nach Massnahmen mit der Landwirtschaft geschehen. Bei Investitionsentscheiden dieser Tragweite, wie es bei der Filteranlage der Fall war, findet es Landolf unerlässlich, einen sicheren Rechtsrahmen und andere Alternativen ebenso eingehend geprüft zu haben.
Tiefere Umweltbelastung
Christos Bräunle vom SVGW bestätigt, dass derzeit im Rahmen des Forschungsfonds Wasser Versuche mit optimierten Aktivkohleverfahren laufen. Zudem sei in der Westschweiz der Bau einer neuen Nanofilteranlage zur Aufbereitung von Seewasser geplant. Beide Verfahren belasten die Umwelt etwas weniger als die Umkehrosmose. Denn bei dieser würden die herausgefilterten Pestizidrückstände sowie zusätzlich notwendige Chemikalien in Fliessgewässer geleitet und so wieder in der Natur landen. Auch Spurenstoffe aus Medikamenten oder Reinigungsmitteln bleiben im Filter hängen. 
Sowohl von der Umkehrosmose als auch von der Nanofiltration könnten die Rückstände – es geht laut der Umweltchemikerin Karin Kiefer vom Wasserforschungsinstitut Eawag immerhin um rund 20 Prozent des aufbereiteten Wassers – zu einer Kläranlage geleitet werden. Doch auch diese könnten nicht alles eliminieren. Ausserdem fallen dann Abwassergebühren an, die gemäss Kiefer zulasten des Trinkwassers gehen. Doch es blieben kaum weitere Lösungen für das Problem. 
Die Eawag hat fünf Verfahren zur Entfernung von Chlorothalonil-Rückständen getestet. Klar am besten schneidet die Umkehrosmose ab: Sie filtert alles aus dem Wasser, selbst Mineralsalze. Zurück bleibt destilliertes Wasser, dem die Mineralien wieder beigefügt werden müssen. Laut Karin Kiefer ist das zwar zu bewerkstelligen. «Doch das ist dann ein hochtechnisches Produkt und hat nichts mehr mit natürlichem Trinkwasser zu tun», gibt sie zu bedenken. 
 
Auch gut wirkt die Aktivkohle. Der Nachteil: Sie muss regelmässig ausgetauscht werden, je nachdem schon nach wenigen Monaten. Das geht ins Geld. Zudem ist die Herstellung aufwändig und da sie nicht in der Schweiz hergestellt wird, ist man auf Importe angewiesen. Beim ökologischen Fussabdruck lässt die Aktivkohle also zu wünschen übrig. SWG-Geschäftsführer Roman Wiget erhofft sich von den neuen Aktivkohleverfahren eine längere Lebensdauer. Dies wäre aus ökologischer Sicht positiv, denn es würden auch keine schädlichen Stoffe in die Umwelt gelangen. Am Ende ihrer Lebensdauer lasse sich die Aktivkohle zudem in der Kehrichtverbrennungsanlage einfach entsorgen. 
Ob sich Aktivkohle auch in wirtschaftlicher Hinsicht lohnt, muss sich hingegen erst in den Versuchen erweisen. Wiget: «Je länger die Lebensdauer, umso günstiger wird es.» Letztlich wäre für Wiget auch die Kombination mehrerer Verfahren für die SWG denkbar: So könnte beispielsweise das Grundwasser mit Umkehrosmose und das anfallende Abwasser mit dem Schadstoffkonzentrat mit Aktivkohle gereinigt werden. 
 
Aufbereitung keine Lösung
So oder so: Pestizide will niemand im Grundwasser haben. Sind sie aber einmal dort, bekommt man sie ohne Technologie nicht wieder heraus. Für die Eawag-Forscherin Karin Kiefer ist daher klar: «Gesellschaft und Politik müssen entscheiden, ob und wie das Wasser wirksam geschützt wird oder ob man akzeptieren will, dass unser Trinkwasser künftig aufwändig aufbereitet werden muss.»
Auch Christos Bräunle vom SVGW hält nichts von der Aufbereitung: «Das kann nicht die Lösung sein.» Selbst wenn sich Wasserversorger künftig vermehrt zusammenschliessen, würde dies den Bau von zahllosen neuen Wasserleitungen nötig machen. Investitionen, die gerade für kleine Gemeinden nicht immer leicht zu stemmen sind. 
Der SVGW zählt laut Bräunle auf die neuen Bestimmungen der parlamentarischen Initiative zur Reduktion von Pestiziden in der Landwirtschaft. Sie enthält einen Massnahmenplan für sauberes Wasser. Dies soll das Problem an der Wurzel packen und mittel- bis längerfristig Wirkung zeigen. Am 18. August endete die Vernehmlassung des ersten Verordnungspakets. Darin sieht der Bundesrat unter anderem verschärfte Bedingungen für Bewilligung und Anwendung von Pestiziden vor. Wer beruflich Pestizide verwendet, soll diese zudem künftig in einer zentralen Datenbank deklarieren und in Gebieten mit Trinkwasserfassungen sollen die Auflagen erhöht werden. 
 
Derweil steht die Seeländische Wasserversorgung unter Zeitdruck: Man habe den Konsumentinnen und Konsumenten innerhalb nützlicher Frist wieder einwandfreies Trinkwasser in Aussicht gestellt, sagt Roman Wiget. Noch sei das Filterprojekt keineswegs vom Tisch. Doch bis erste Resultate der Langzeitversuche vorliegen wird es noch eine Weile dauern. Nächste Woche sollen die ersten Tests im Pumpwerk Worben starten. Bei der Fassung in Worben hat sich zwischenzeitlich nichts geändert. Die Konzentration der Chlorothalonil-Rückstände liegen gemäss Wiget noch immer massiv über dem Grenzwert: «Die Fassung bleibt weiterhin stillgelegt, solches Wasser dürfen wir den Kundinnen und Kunden nicht abgeben.»
Dank des regnerischen und kalten Sommers ist es in diesem Jahr nicht zu einem Engpass gekommen und der Betrieb im Wasserturm im Gimmiz laufe einwandfrei. Letztes Jahr dagegen, das trocken und heiss war, zwang die SWG dazu, die Fassung in Worben wieder kurzzeitig in Betrieb zu nehmen. Die Chlorothalonil-Werte im Trinkwasser aus den Fassungen im Gimmiz schwanken laut Wiget im Bereich knapp über der erlaubten Grenze. «Trotzdem sind wir auf ein zweites Standbein für den Notfall angewiesen.»
Bis Ende Jahr möchte Wiget erste Ergebnisse der Versuche präsentieren können. Je nachdem werde das bestehende Filterprojekt fortgesetzt oder das Verfahren geändert. Im zweiten Fall würde die Abgeordnetenversammlung über die Projektänderung befinden. Zudem müsste ein neues Baubewilligungsverfahren eingeleitet werden. 

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