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Du darfst so alt sein, wie du bist

Vermisst habe ich ihn nicht, auch nicht gesucht, aber jetzt fehlt er mir.

Niklaus Baschung

Dieser kleine Rundweg oben auf dem Berg über Biel war kurz, kaum mit Steigungen durchsetzt, führte an zahlreichen Feuerstellen vorbei, ideal für einen Ausflug mit Vorschulkindern. Der Weg war mit «AHV-Wägli» beschildert, und, pardon, um einen Sprachenkrieg mitten im Wald zu vermeiden,
natürlich auch mit «promenade-AVS».

Für dieses AHV-Wägli waren wir damals also die ideale Zielgruppe, auch wenn ich den Kindern mehrmals erfolglos versucht habe, den Begriff «Alters- und Hinterlassenenversicherung» zu erklären. Sie entwickelten einfach null Verständnis für ihr zukünftiges Rentenalter und wollten lieber Cervelats bräteln. Wenn ihnen einmal AHV-Beitragsjahre fehlen sollten, kann es nur an zu viel Wurst liegen.

Und jetzt sowas: Das Hinweisschild «AHV-Wägli» steht nicht mehr da. Fünfundzwanzig Jahre später sind wir auf einer Wanderung vom Bözingenberg in Richtung Romont unterwegs, gegen rechts sollte kurz nach dem Start doch jetzt dieses «Wägli» abgehen. Bin ich im AHV-Alter schon so verwirrt, dass ich den für mich vorbestimmten Weg gar nicht mehr finden könnte?

Gut – wer sucht schon einen AHV-Weg? Ein Gleichaltriger hat kurz nach der Pensionierung den Rucksack gepackt und ist direkt von seiner Haustüre aus auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela aufgebrochen. Ich habe lange nichts mehr von ihm gehört – vielleicht ist er auch schon wieder zurückgewandert. Rund 2200 Kilometer lang ist der Hinweg zur berühmten Kathedrale am Zielort. Das entspricht etwa 750-mal dem AHV-Wägli auf dem Bözingenberg. So sind wir Alten heute drauf. Also ich selber nicht – ich habe «Gsüchti».

Andere wiederum fahren mit dem Velo (keinem E-Bike, das ist was für junge Weicheier), ausgerüstet mit Schlafsack und Zelt, beide über siebzig, durch halb Frankreich, melden sich alle Wochen bei ihren Kindern, dass sie noch leben. Früher praktizierten wir dies irgendwie noch umgekehrt.

Und wenn es denn unbedingt Wandern in heimischen Gefilden sein muss, dann ziehen meine 
Altersgenossen und -genossinnen altersgerecht eine Alpendurchquerung vor – also ich selbstverständlich nicht, ich habe ja «Gsüchti» – schleppen Proviant für zehn Tage mit, übernachten in SAC-Hütten auf 3000 Metern, manchmal muss einer zur Sauerstoffstabilisierung wieder runter in die Zivilisation, der Ausfall hält sich aber in Grenzen.

Mir hingegen fehlt das «AHV-Wägli», falls es tatsächlich aufgehoben wurde oder umbenannt in etwas Süffigeres: «Be your future» vielleicht. Nicht weil ich darauf unterwegs sein möchte, sondern als Symbol für: Du darfst so alt sein, wie du bist; du darfst langsam sein; du kannst dir kleine Ziele setzen: Du musst dich niemandem mehr beweisen – auch dir selber nicht.

Stichwörter: Neulich, Alter

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