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Ipsach

Der Kampf um Tempo 30 geht in die nächste Runde

Die Seezone in Ipsach sei gefährlich, sagen Anwohnende. Sie verlangen die Einführung von Tempo 30 – und sind damit im Dorf nicht alleine.

Zillah und Keith Norman finden, dass hier zu schnell gefahren wird. Copyright: Yann Staffelbach
Die Moosstrasse hat kein Trottoir. Ein gelber Streifen markiert den Fussweg. Ein älteres Ehepaar ignoriert diesen jedoch und spaziert einfach mitten auf der Strasse. Auch auf der Seestrasse sehe man oft Passantinnen, sagt Anwohnerin Zillah Norman. Da der Fussgängerweg im unteren Teil einen Kiesbelag hat, weichen ihr zufolge Personen mit Rollatoren und Kinderwagen auf die Strasse aus. Diese liegt aber keinesfalls verlassen da. Mitten am Nachmittag herrscht einigermassen reger Betrieb: ein E-Trottinett, Velos, Autos und Lieferwagen.
 
«Vor allem mittags, am Feierabend, wenn Training ist, wenn Fussballmatches stattfinden oder wenn es windet und die Surfer schnell auf den See wollen, ist viel los», so Norman. Ihr Nachbar, Willi Schüpbach, stört der Verkehr ebenfalls: «Ich wohne seit 1983 hier und setze mich seither für eine Beruhigung der Seezone ein. Die Strassen sind oft überlastet und zuparkiert.»
 
Seit Jahren fordern Anwohnende bei der Gemeinde Massnahmen zur Verkehrsberuhigung. Nun nehmen Zillah Norman und ihr Bruder, Keith Norman, einen neuen Anlauf und wandten sich an das BT.
 
Sanierungen geplant
 
Auslöser ist ein Sanierungsprojekt: Im Frühling hat die Gemeinde einen Botschaftsentwurf für die Abstimmung über einen Sanierungskredit an die Ortsparteien verschickt.
 
«Die Gemeinde will auch Strassen in der Seezone sanieren, und Anwohnende, die sich bereits seit Jahren für eine bessere Verkehrssicherheit einsetzen, werden bei der Planung nicht involviert», kritisiert Keith Norman. «Dabei könnte man bei der Erneuerung doch gleich Bodenschwellen anbringen», fährt seine Schwester fort. Die Normans und Schüpbach befürchten, dass sie vor vollendete Tatsachen gestellt werden, und durch die Sanierung das Gegenteil  erreicht wird von dem, was sie sich wünschen: breitere Strassen und ein besserer Belag, sodass man noch schneller fahren könne.
 
Gemeinderat Beat Perler (SVP), der sich als Präsident der Sicherheitskommission um Fragen zur Verkehrssicherheit kümmert, sagt, er könne sich zu den Sanierungsplänen nicht äussern, da sie unter der Federführung der Bauverwaltung sind. Deren Präsidentin, Barbara Kradolfer, teilt auf Anfrage mit, dass sie wegen laufender Abklärungen keine Auskünfte zu den Strassensanierungsplänen geben könne.
 
Klar scheint, dass der untere Teil der Moosstrasse sanierungsbedürftig ist. Zum jetzigen Zeitpunkt könne noch nicht genau gesagt werden, welche verkehrsberuhigenden Massnahmen bei der Sanierung geplant sind, so Perler. Die Forderungen von Zillah und Keith Norman sind dem Präsidenten der Sicherheitskommission bekannt.
 
Langer Kampf für Tempo 30
 
Vor über vier Jahren hatte eine zehnköpfige Gruppe von Anwohnerinnen der Seezone ein Verkehrsplanungsbüro engagiert, um die Situation in der Seezone zu analysieren. Die Analyse ergab, dass die Verkehrssicherheit im gesamten Bereich ungenügend ist und einige Gefahren sogar gravierend sind (das BT berichtete). Nach diesem Befund lancierten Zillah Norman, ihr Bruder Keith Norman und die anderen Anwohnerinnen eine Petition; die Gemeinde solle einen Verkehrssicherheitsplan erstellen lassen, um die Sicherheit zu verbessern. 534 Unterschriften kamen zusammen. Doch eingereicht hat das Komitee diese nie. Als zuständiger Gemeinderat lud Beat Perler die Anwohnerinnen zu einer Aussprache ein und versprach, dass die Gemeinde eine Lösung suchen werde. Im Januar 2020 wurde auf der Seestrasse und der Moosstrasse das Tempolimit auf 40 km/h angepasst. Laut Perler sind die administrativen Hürden für Tempo 30 grösser, weshalb man sich für die Einführung von Tempo 40 entschieden habe.
 
Doch Tempo 40 nütze nichts, finden Norman und ihr Nachbar, Willi Schüpbach. Laut ihnen halten sich viele nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung.
 
Diesen Frühling hat die Gemeinde Messgeräte an der See- und der Moosstrasse aufgestellt, um nach Ablauf des ersten Jahres zu überprüfen, ob die neue Geschwindigkeitsbegrenzung eingehalten wird. Auf der Website der Gemeinde sind die Ergebnisse publiziert worden. An der Seestrasse fuhren demnach zwischen dem 14. und 21. April von Total 3 872 Fahrzeugen 552 zu schnell. Da sie jedoch die Höchstgeschwindigkeit «jeweils nur minimal» überschritten, sei «die Prüfung von weiteren Verkehrsmassnahmen zurzeit nicht erforderlich». Die exakt gleiche Folgerung zog die Gemeinde aus Messungen an der Moosstrasse.
 
Die Normans und Schüpbach, finden jedoch, dass diese Messungen wertlos sind. Die Messgeräte seien an Stellen aufgestellt worden, an denen man sowieso verlangsamen müsse, sagt Schüpbach. Keith und Zillah Norman stossen sich ausserdem daran, dass einige der Messungen mit Smiley-Anzeige durchgeführt wurden: «Das verfälscht doch die Resultate – wer eine Smiley-Anzeige sieht, fährt automatisch langsamer», ärgert sich Keith Norman. Sobald die Anzeige weg war, sei wieder viel schneller gefahren worden.
Er und Zillah Norman suchten abermals das Gespräch mit Beat Perler. Dieser habe ihnen versprochen, versteckte Messungen durchzuführen. Doch diese hätten nicht alle wie vereinbart stattgefunden.
 
V85 eingehalten
 
Perler stellt klar, dass die Gemeinde über zwei Messgeräte verfüge: eine Smiley-Anzeige und ein Gerät für versteckte Messungen. Den Einsatz von Smiley-Anzeigen für Geschwindigkeitsmessungen findet er unproblematisch: «Wenn man ein weinendes Smiley sieht, hat das eine erzieherische Funktion.» Der Gemeinderat bestätigt, dass nicht alle Resultate veröffentlicht worden seien. Grundsätzlich stützen ihm zufolge die Messungen den Eindruck der Anwohnerinnen, dass an der Moosstrasse zu schnell gefahren werde, aber nicht. «Es gibt natürlich Ausreisser, aber V85 wurde nicht überschritten», so Perler. Das bedeutet, dass 85 Prozent aller Fahrzeuge nicht schneller als 44 km/h fuhren.
 
Laut Perler stellt sich an der Seestrasse eher die Frage, ob man Massnahmen vornehmen müsste. «Es ist mir aber wichtig, dass wir kein Flickwerk machen und nicht einfach mal abschnittsweise Tempo 30 einführen.» Vereinzelte Massnahmen stifteten nur Verwirrung. Der Gemeinderat habe etwa Reklamationen erhalten, als auf der Moosstrasse vor der Einführung von Tempo 40 Pfosten aufgestellt wurden, um den Fussweg abzugrenzen: «Man stellte fest, dass die Anwohner fast nicht mehr aus der Garage fahren konnten, da die Pfosten im Weg standen», sagt Perler. Es sei wichtig, die verschiedenen Interessen zu berücksichtigen und allfällige Massnahmen gut zu begründen.
 
Anwohner Keith Norman ist resigniert. «Wir haben das Gefühl, dass man uns hinhält. Die Motivation schwindet.» Mit seinem Anliegen ist er indes in Ipsach nicht alleine.
 
Petition für die Dorfstrasse
 
Auch ausserhalb der Seezone gibt es Stimmen, die sich eine Verkehrsberuhigung wünschen. Thomas Indermühle, Vorstandsmitglied der Grünliberalen Seeland, hat im Sommer eine Online-Petition für Tempo 30 an der Dorfstrasse lanciert und sie im August mit 137 Unterschriften bei der Gemeinde eingereicht. Aktuell sind die Dorf- und die Höhestrasse in Ipsach 50er-Zonen. «Viel zu schnell für einen Kindergarten- und Schulweg», findet Indermühle, der selbst an der Dorfstrasse wohnt. Die Verhältnisse seien unübersichtlich und in den Wohnhäusern der Strasse entlang wohnen laut ihm viele Familien mit Kindern.
 
Wie die Kantonspolizei bestätigt, hat sich Mitte September an der Brunnackerstrasse, einer Abzweigung von der Höhestrasse, ein Unfall mit einem Velo und einem Auto ereignet. Für Indermühle ein weiterer Beweis dafür, dass die Situation unhaltbar ist.
Das Quartier, auf das sich seine Petition bezieht, sei bei weitem nicht die einzige Baustelle: «Ich denke, in Ipsach gibt es da ein grösseres Problem. Ich sehe kein Konzept hinter den Geschwindigkeitsregelungen.» Indermühle findet, dass man bei vielen Strassen Tempo 30 einführen sollte. Er sehe keinen Nachteil in der Geschwindigkeitsbegrenzung. «Der Verkehr nimmt zu, und es ist ein Anliegen der Bevölkerung, dass die Autos langsamer fahren.»
 
Beat Perler sagt, dass die Gemeinde aufgrund solcher Vorstösse entschieden habe, eine aktivere Rolle einzunehmen: «Wenn man rundherum schaut, sind wir eine der letzten Gemeinden, die nur vereinzelte 30er-Zonen haben, deshalb sind wir zur Einsicht gekommen, dass wir den Verkehrsrichtplan überarbeiten wollen», sagt Perler. Aufgrund der Entwicklungen rund um den Ost- und den Westast sei die Planung zeitweise auf Eis gelegt worden. Doch nun brauche es eine Gesamtstrategie für Ipsach. Dabei solle die Bevölkerung eingebunden werden. Voraussichtlich solle die Umsetzung der Pläne 2023 erfolgen.
 
«Man kann darüber diskutieren, ob man bereits vorher in gewissen Strassenabschnitten Tempo 30 einführen möchte», sagt Perler. Doch: «Wenn es keine Unfälle gibt und V85 nicht überschritten wird, dürfte es schwierig werden, die Leute von der Notwendigkeit, Tempo 30 flächendeckend einzuführen, zu überzeugen.» Auf die Frage, ob es überhaupt Widerstand gegen die Einführung von Tempo 30 gebe, antwortet er: «2004 hat sich die Gemeindeversammlung gegen die flächendeckende Einführung von Tempo 30 ausgesprochen. Jetzt müssen wir herausfinden, wie die Stimmung ist.»

Mengia Spahr
Stichwörter: Ipsach, Tempo 30, Verkehr

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