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Titelgeschichte

Was Homeoffice mit uns macht

Forschende haben untersucht, wie sich Heimarbeit auf Gesundheit, Psyche und Arbeitskultur auswirkt. Und wie gross die ideale Dosis Büropräsenz ist.

Symbolbild: Keystone

Alice Lanzke

Zur Morgensitzung im Pyjama, mittags auf die Yogamatte statt in die Kantine und ein früher Feierabend im Kreis der Familie: Mit diesem Ideal des Homeoffice hat die Realität der meisten Menschen wenig gemein.

Nach bald zwei Jahren Pandemie zeichnen immer mehr Studien und Umfragen stattdessen ein differenziertes Bild der psychologischen und körperlichen Effekte des Arbeitens zu Hause. Diese sind abhängig von den individuellen Lebensbedingungen, vom jeweiligen Typ und von der Unternehmenskultur. Nicht zuletzt werfen die neuen Daten ein Schlaglicht auf eine grundsätzliche Frage: Wie wollen wir eigentlich arbeiten?

Klar ist, die Arbeit in den eigenen vier Wänden hat durch Corona einen Schub bekommen: Während des Lockdowns 2020 ist der Anteil an Arbeitnehmenden in der Schweiz, die mehr als sechs Stunden im Homeoffice gearbeitet haben, um rund 335 000 Personen angestiegen. Das zeigt eine repräsentative Umfrage des Forschungsinstituts GFS Bern. Die Anzahl Stunden, die im Homeoffice geleistet wurden, hat sich verdreifacht. Vor dem Lockdown waren es im Durchschnitt 10,5 Stunden pro Person und Woche, im Lockdown hingegen rund 32 Stunden.

Diese Zahl dürfte nach der Pandemie wieder sinken. Dennoch scheint sich die Arbeitswelt verändert zu haben – mit Folgen für die Unternehmenskultur und das soziale Miteinander, für Führungskräfte und auch für die Beschäftigten.

 

Die Kommunikation leidet

Studien geben Hinweise darauf, wie diese Veränderungen aussehen können, etwa eine kürzlich im Fachblatt «Nature Human Behaviour» veröffentlichte Untersuchung zu den Erfahrungen von Microsoft. Der Tech-Riese, der die Analyse in Auftrag gegeben hatte, ordnete im März 2020 Homeoffice an. In der Studie wurden nun Daten und Kommunikation von fast 61 000 Mitarbeitern aus der Zeit von Dezember 2019 bis Juni 2020 analysiert und verglichen.

Das Ergebnis: Im Homeoffice wurde zwar mehr gearbeitet, Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen litten allerdings. Konkret verbrachten die Angestellten weniger Zeit mit direkten Einzelgesprächen, stattdessen nutzten sie verstärkt E-Mails oder Textnachrichten. Dies führe dazu, so die Autorinnen, dass Mitarbeiter isoliert und Informationen weniger ausgetauscht würden. Und das könne sich letztlich negativ auf Produktion und Innovation auswirken.

Für Hannes Zacher, Arbeits- und Organisationspsychologe an der Universität Leipzig, bildet die Studie indes nur eine Seite ab. «Während die Microsoft-Analyse eher eine negative Perspektive bietet, gibt es auch Evidenz in der Forschung, der zufolge die Ermöglichung von Homeoffice positiv von Mitarbeitenden angenommen werden kann – allerdings nur dann, wenn es in einem bestimmten Rahmen bleibt.»

Demnach legen Untersuchungen nahe, dass ein bis zwei Tage Homeoffice pro Woche ideal seien für die Zufriedenheit und die selbst berichtete Produktivität. In einem solchen Rahmen wäre es auch möglich, die Kommunikation eben nicht nur digital zu gestalten, sondern darüber hinaus persönliche Gespräche zu führen.

«Aus psychologischer Sicht ist eine Videokonferenz immer noch besser als eine E-Mail. Auf Dauer kann sie das Gespräch von Angesicht zu Angesicht aber nicht ersetzen, insbesondere dann, wenn es darum geht, vertrauensvoll miteinander zu sprechen, kreativ zusammenzuarbeiten oder Konflikte zu lösen», beschreibt Zacher.

 

Extrovertierte im Nachteil

Er selbst hatte Ende 2019 begonnen, knapp 1000 Erwerbstätige zu ihrer physischen und psychischen Gesundheit zu befragen. Der Ausbruch der Pandemie liess daraus eine Langzeitstudie werden: Seit März 2021 und noch bis Ende dieses Jahres werden die Teilnehmer monatlich befragt. Auf diese Weise konnte der Psychologe differenzierte Beobachtungen zu den Konsequenzen der Coronakrise für die Arbeitswelt sammeln.

«Vor der Pandemie waren extrovertierte Menschen im Vergleich zu introvertierten diejenigen mit dem höheren Wohlbefinden», nennt Zacher ein Beispiel. Das habe sich umgekehrt: «Extrovertierte waren eher gestresst von der Situation, während Introvertierte damit besser zurechtkamen.» Gerade zurückhaltende Menschen hätten Formate wie Videokonferenzen sogar als angenehmer empfunden.

Gleichzeitig sahen Zacher und seine Kollegen, dass Teams schneller in Subgruppen zerfielen – eine Beobachtung, die zu einem Ergebnis der Microsoft-Studie passt. «Eine mögliche Sollbruchstelle ist die zwischen Mitarbeitenden in Präsenz und solchen, die im Homeoffice arbeiten», erläutert er. Hier müsse die Unternehmensführung darauf achten, dass keine Gefühle der Ungleichbehandlung entstünden: «Führungskräfte müssen die Arbeitsstrukturen gut kommunizieren und begründen, damit weder Zufriedenheit noch Unternehmenskultur leiden.»

Überhaupt sei eine transparente Vision dessen nötig, wie gutes hybrides Arbeiten funktionieren könne: «Ganz praktisch gehört dazu, dass Führungskräfte proaktiv auf Mitarbeitende zugehen und sie direkt fragen, wie es im Homeoffice läuft oder wie sich die Rückkehr ins Büro anfühlt.» Solche regelmässigen Check-ins könnten Mitarbeiterinnen sogar fester binden. «Gut gemanagtes hybrides Arbeiten kann ein Wettbewerbsvorteil für Unternehmen sein», ist sich Zacher sicher.

Für ihn hat die Pandemie ein Schlaglicht auf Fragen geworfen, die die Forschung mit Blick auf die Arbeitswelt schon seit längerem diskutiert: «Dazu gehört, was gute, bedeutsame oder humane Arbeit ist», zählt er auf. Die Ausnahmesituation habe manchen Angestellten vor Augen geführt, dass sie einer monotonen Arbeitstätigkeit nachgingen, sozial isoliert arbeiteten oder gar nicht wüssten, was das übergeordnete Ziel ihrer Arbeit für das Unternehmen sei.

 

Kinderlose im Vorteil

Gleichzeitig sei unter den neuen Bedingungen die Frage nach guter Führung in den Fokus gerückt, so Zacher: «Ich rate Führungskräften generell, loszulassen. Mitarbeitende wollen sich als autonom und kompetent erleben. Gute Führung unterstützt das, indem sie die Bedürfnisse nach Autonomie, sozialer Eingebundenheit und Kompetenzerleben erfüllt.»

Bei allen Diskussionen um mobiles Arbeiten solle allerdings nicht vergessen werden, dass der Arbeitsort auch eine wichtige Ressource sei: «Das Büro wirkt als grosser Gleichmacher, in dem jeder die gleichen Möglichkeiten hat.» Im Gegensatz dazu kämen beim Arbeiten zu Hause sozioökonomische Faktoren zum Tragen, sagt der Psychologe: «Kinderlose Paare in einer grossen Wohnung können sicherlich besser am heimischen Schreibtisch arbeiten als Alleinerziehende oder jüngere Mitarbeiter, die beispielsweise in WGs oder beengten Räumen wohnen.»

Zudem seien während der Pandemie die psychischen Belastungen speziell bei vulnerablen Gruppen gestiegen: «In unserer Studie konnten wir sehen, dass Alkohol- oder Drogenkonsum für einige von ihnen ein Weg war, mit diesen Belastungen umzugehen.» Gerade für jene Gruppen könne der Arbeitsort im positiven Sinne soziale Kontrolle bieten, aber auch Struktur und Zusammenhalt.

Insgesamt seien viele Personen gut mit dem Homeoffice zurechtgekommen. Sie hätten bei den Befragungen die Flexibilität, den Wegfall des Pendelns und konzentriertes Arbeiten als Vorteile genannt. Diese sollten laut Zacher auch nach Corona genutzt werden.

 

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Ergonomie am Arbeitsplatz 

In der Umfrage von GFS Bern beklagte sich fast die Hälfte der Befragten, zu Hause über eine mangelhafte Arbeitsergonomie zu verfügen. Tatsächlich kann der improvisierte Arbeitsplatz am Küchentisch zu einer ungünstigen Haltung und damit zu Beschwerden führen. Regeln, wie ein ergonomischer Arbeitsplatz aussehen sollte, erklärt zum Beispiel die Suva im Internet.

Dazu gehört unter anderem, den Rechner so aufzustellen, dass sich darin keine Fenster oder Lichtquellen spiegeln, sowie ein Mindestabstand zum Bildschirm von 50 bis 70 Zentimetern. Wer mit dem Laptop arbeite, sollte separate Tastatur, Maus und Bildschirm verwenden. Auf Letzteren schaue man idealerweise entspannt von oben herab, als würde man ein Buch lesen. Verspannungen im Rücken werde vorgebeugt, indem man öfter die Sitzhaltung ändere und die volle Sitzfläche des Stuhls nutze.

All diese ergonomischen Regeln sind indes nicht Homeoffice-spezifisch, sondern sollten vielmehr für Büroarbeit generell gelten. red

 

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Die Unsicherheit hat uns wieder

Es scheint, als liefe die Zeit im Pandemie-Modus rückwärts. Aber es ist zum Glück nicht mehr Dezember 2020. Hoffentlich haben wir in diesem Jahr ein paar Sachen dazugelernt.

Mirjam Comtesse

Es ist wieder so weit: Die nur zu gut bekannte Sorge, wie es jeden Tag weitergehen soll, ist zurück. Jede Bundesratssitzung kann bedeuten, dass man das eigene Leben innert Kürze umkrempeln muss. Im Kopf drehen sich die fast schon beängstigend gleichen Fragen wie vor einem Jahr: Klappt es mit den geplanten Weihnachtsferien? Wen soll man an Heiligabend am Familientisch alles willkommen heissen? Wann wird welche Klasse in den Fernunterricht geschickt?

Während ich das schreibe, macht mein Mann in unserem Innenhof mit den Kindern eine Schneeballschlacht. Die Kleinen sind in Quarantäne. Zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres. Von einem Tag auf den anderen hiess es: Termine absagen, Lohnarbeit neu einteilen, Beschäftigungsprogramm (oder wie ich es nenne: «Ideen, wie man Eltern vor dem Durchdrehen bewahrt») überlegen, das Kochen und Einkaufen hochfahren.

 

Schön und schrecklich

Ihr Spiel im Schnee ist ein bezaubernder Anblick. Auch deshalb, weil die beiden Grossen sich inzwischen lieber mit Freunden treffen, als mit den Eltern Zeit zu verbringen. Es könnte also eines der letzten Male sein, dass wir so eng aufeinander waren. Heute um 
Mitternacht ist die Quarantäne zu Ende. Schade! Und gleichzeitig: zum Glück! Das Auf und Ab zwischen schönen Momenten – lange Brettspielabende und gemütliche Filmnachmittage – sowie absoluten Tiefpunkten – Gequengel, Gezänk, Gebrüll – laugt aus.

In den zehn Tagen Ausnahmezustand gab es viele Momente, die typisch sind für diese seltsame Pandemiezeit. Zum Beispiel das Gefühl, anteilnehmende Solidarität zu erleben, als eine befreundete Mutter ein kleines Trampolin vorbeibrachte, damit die Kinder sich wenigstens ein bisschen austoben können. Da waren Freunde der Kinder, die geschrieben oder angerufen haben, um die Langeweile erträglicher zu machen. Und die Lehrerinnen und Lehrer, die sich erkundigten, wie es uns allen geht.

Doch es gab auch schwierige Situationen. Was soll man antworten, wenn das Contact-Tracing fragt, ob das Kind kurz vor dem positiven Testresultat noch Kontakt mit Freunden hatte? Ist es ethisch vertretbar, nichts zu sagen, um eine andere Familie vor einer herausfordernden Quarantänezeit zu bewahren? Oder wäre es im Gegenteil das einzig Richtige, alles Menschenmögliche zu tun, um die Pandemie einzudämmen?

 

Jeder zieht andere Schlüsse

Es handelt sich im Grunde um die alte Frage danach, was man stärker gewichten soll: das kurzfristige Wohlergehen des eigenen Umfelds oder 
den langfristigen Schutz Unbekannter. 
Weil Risikoabwägungen keine feste Grösse, sondern stets subjektiv geprägt sind, ist das Konfliktpotenzial enorm.

Freunde haben Angehörige verloren an das Virus. Dass sie jetzt beim Begrüssungsumarmen stets eine FFP2-Maske tragen, auch wenn beide Beteiligten vollständig geimpft sind, leuchtet ein. Andere Bekannte finden, sie hielten alle Abstandsregeln und Vorsichtsmassnahmen ein, möchten sich aber nicht impfen lassen. Das klingt nicht nach der trotzigen Verweigerungshaltung, die Impfskeptikerinnen und -skeptikern gern vorgeworfen wird, sondern nach einem wohlüberlegten Entscheid.

Ich konnte in diesen Tagen auch erstmals richtig nachvollziehen, wie unangenehm das Gefühl ist, die Kontrolle über das eigene Leben zu verlieren. Trotz Impfung schickte das Gesundheitsamt des Kantons Bern meinen Mann und mich zunächst in Quarantäne. Panik! Der Kühlschrank war leer, wer sollte auf die Schnelle einkaufen gehen? Wer konnte für Nachschub beim Bastelmaterial sorgen? Bei der Hotline war kein Durchkommen, auch eine Mailantwort liess lange auf sich warten. Ich spürte die Wut hochkochen, die man empfindet, wenn man sich ungerecht behandelt fühlt.

Als mir dann auch noch ein Kollege am Telefon an den Kopf warf, die Quarantäneanordnung sei völlig in Ordnung, schliesslich seien wir ja nicht richtig geimpft – genesen und geimpft sei nicht gleich viel wert wie zwei Impfdosen –, wurde ich zu meiner eigenen Überraschung ziemlich laut. So schnell gerät man in diesen Zeiten unter Rechtfertigungsdruck.

Das Gefühl, beobachtet und beurteilt zu werden, begleitete mich. Durften wir spätabends einen kleinen Laternenumzug veranstalten mit den Kindern in Quarantäne? Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) schreibt zwar auf seiner Website: «Ihr Kind darf während der Quarantäne für eine kurze Zeit nach draussen gehen. Dabei ist es aber verboten, dass Ihr Kind Kontakt zu Personen ausserhalb der Familie hat.» Aber wie genau ist «eine kurze Zeit» definiert?

Würden uns vielleicht besonders ängstliche Quartierbewohnerinnen und -bewohner bei den Behörden melden? Natürlich war das kaum wahrscheinlich, aber diese Gedanken gehen einem in solchen Situationen fast automatisch durch den Kopf. Und unweigerlich überlegt man sich, wer im Bekanntenkreis zum Denunziantentum neigen könnte. Einer guten Beziehung zu den Mitmenschen ist das nicht förderlich.

 

Entspannter als 2020

Während ich an meinem Schreibtisch sitze, höre ich meine Kinder lachen, die inzwischen «High School Musical 3» schauen. Die beiden Vorgängerfilme haben sie ebenfalls in den vergangenen zehn Tagen angucken dürfen. Sie sind nicht nur begeistert von der Musik, sondern auch vom amerikanischen Teamgeist. Was werden sie wohl von dieser Pandemiezeit mitnehmen? Ich befürchte, wir Erwachsenen sind ihnen gerade ein ziemlich schlechtes Vorbild darin, Meinungsverschiedenheiten gesittet auszutragen.

Immerhin zeichnet sich im Bekanntenkreis eine gewisse Entspannung ab. Mehrere Familien mussten schon in Quarantäne. Sie wissen jetzt, was das bedeutet. Als es uns vor ziemlich genau einem Jahr zum ersten Mal erwischt hatte, zeigte sich ein zutiefst menschliches Phänomen: Wer noch nicht betroffen war, fand tendenziell, auch nur potenziell Ansteckende dürften keinen Fuss vor die Haustüre setzen. Sobald sie selbst in Quarantäne waren, merkten die meisten, wie schwierig es ist, mit Kindern zehn Tage in den eigenen vier Wänden zu verbringen. Also machten sie – was ja gemäss BAG erlaubt ist – Kurzausflüge in den Wald oder frühmorgens eine kleine Velotour.

 

Ein wenig mehr Verständnis

Meine Hoffnung für diesen Winter ist genau dies: dass wir alle wieder ein bisschen mehr Verständnis füreinander bekommen. Dass wir einander zuhören, anstatt den anderen nur davon überzeugen zu wollen, dass er oder sie ein Vollpfosten ist. Ich glaube, die Kinder haben nach zahlreichen Diskussionen darüber, wie man fair streitet, mittlerweile zumindest theoretisch verstanden, dass ein Konflikt, der so geführt wird, zu keinem Ziel führen kann. Ich hoffe, wir Erwachsene können ihnen irgendwann wieder zeigen, wie man es besser macht.

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