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Standpunkt

Die schönste Nebensache der Welt

Soll ihr Kind einmal zur sportlichen Weltspitze aufsteigen? Dann beginnen Sie besser heute schon als morgen damit Geld beiseite zu legen. Denn wer nicht bereits im frühen Kindesalter zu üben beginnt, hat nur geringe Chancen einmal zu den Besten zu gehören.

Walter Mengisen Bild: bt/a

Sehen Sie in Ihrem Kind oder Grosskind einen zukünftigen Sportstar von Weltformat, dann beginnen Sie heute mit Geld sparen. Wenn man die Karriere von heutigen Sportstars in verschiedensten Sportarten betrachtet und speziell in Individualsportarten, hat die Förderung bereits im frühen Kindesalter von drei bis vier Jahren begonnen. Wer nicht in diesem Alter bereits mit z.B. dem Tennisschläger übt, wird nie an die Weltspitze vorstossen. In diesem Zeitpunkt greift ja, glücklicherweise könnte man sagen, noch keine gezielte Verbandsförderung. Also sind oft die sehr ambitionierten Eltern die ersten Sportförderer. Sie investieren vor allem Zeit. Das ist sehr lobenswert. 

Die Motive für die Sportförderung der Kinder können sehr unterschiedlich sein. Problematisch wird es dann, wenn grosse Erwartungshaltungen hinter der Förderung stehen oder die Projektion selbst nicht erreichter Ziele dahinter steckt. Kinder wollen gefallen, sie tun viele Dinge, um geliebt und akzeptiert zu werden. 

Die Vereine und Verbände bieten gute Förderungsgefässe auf allen Stufen an. Aber um heute an die Weltspitze zu gelangen, braucht es eben immer ein bisschen mehr. Dieses «Mehr» heisst eben auch noch mehr Zeit und zunehmend auch Geld, um individuell optimale Förderung zu erhalten. Das geht heute soweit, dass Eltern ihren Wohnsitz verlegen, z.B. im Golf in die USA, damit das Trainingsumfeld für ihre Kinder stimmt. Es braucht individuelle Betreuer zunehmend auch in Teamsportarten (Konditionstrainer/Mentalcoach) und ein ganzes Betreuungssystem dahinter. 

Mit solchen Schritten steigt auch die Erwartungshaltung bezüglich Leistung. Vollends problematisch wird es dann, wenn Eltern ihre Berufs- und Einkommenstätigkeit aufgeben, um sich ganz der Sportkarriere ihrer Kinder zu widmen. Es kommt zur Rollenumkehr. Jugendliche werden zum wirtschaftlichen Pfeiler des Familieneinkommens. Es gibt genügend Beispiele, speziell aus dem Tennis und Fussball, aber auch aus andern Sportarten, die ökonomische Perspektiven bieten. 

Welcher Druck auf diesen jungen Sportlerinnen und Sportler lastet, kann man sich vorstellen. Die Ökonomisierung des Sports und im Besondern des Spitzensports hat uns Probleme geschaffen. Scharfe Kritiker sprechen sogar von wirtschaftlicher Kinder- und Jugendarbeit im Sportbereich. Ich bin nicht ganz so hart im Urteil, aber die Grenzen sind fliessend. Bedeutet dies auch, dass Vereins- und Verbandsbetreuung heute überflüssig sind? 

Nicht im Geringsten, eine kinder- und jugendgerechte Sportförderung bedingt gute Trainerinnen und Trainer in den Verbänden und Vereinen, die sich für die Mehrzahl der jungen Sporttreibenden mit grossem Engagement einsetzen, die ihre Sporttätigkeit nach wie vor als schönste Nebensache der Welt betrachten.

Info: Walter Mengisen ist Rektor der Eidgenössischen Hochschule für Sport Magglingen EHSM und stellvertretender Direktor des Bundesamts für Sport Baspo, ausserdem Präsident des SC Lyss. 

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