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Eishockey

«Ich begebe mich in meine eigene Welt»

Jonas Hiller startet heute mit dem EHC Biel in seine letzte Saison. Der erfolgreichste Torhüter der Schweiz spricht über den schwierigsten Moment seiner Karriere und erklärt, warum er sich beim Kartenspielen mit seinen Kindern zusammenreissen muss.

Jonas Hiller hat einen grossen Anteil am Aufwärtstrend des EHC Biel der letzten Jahre. Bild: Peter Samuel Jaggi

Interview: Moritz Bill

Jonas Hiller, was ist das für ein Gefühl, in seine letzte Saison zu starten?

Jonas Hiller: Mir scheint das Ende noch weit weg. Deshalb habe ich mich nicht anders als sonst vorbereitet. Ich lasse das Ganze auf mich zukommen. Doch je näher der Schlusspunkt rückt, desto präsenter werden wohl die Gedanken daran. In den Playoffs kann ja plötzlich ein Spiel das letzte sein. Dennoch denke ich, dass ich das während eines Matches ausblenden und mich auf das Wesentliche konzentrieren kann.

Sie haben kürzlich erwähnt, dass sich je nachdem doch noch ein Plan B oder C ergeben könnte, sprich, dass Sie Ende Saison doch nicht aufhören. Was ist dazu nötig: eine extrem gute oder eine extrem schlechte Saison?

Schon eher eine extrem schlechte. Mit einer negativen Erinnerung möchte ich meine Karriere nicht beenden. Gut oder schlecht muss aber nicht zwingend an das Resultat gebunden sein. Das kann auch davon abhängen, wie es mir persönlich läuft, mit welchem Gefühl ich die Saison abschliesse. Darum: Sag niemals nie, aber der Plan ist schon, dass nächstes Jahr Schluss ist.

Der Start mit einem Shutout in der Champions League war schon mal eindrücklich. Ist das Selbstvertrauen für einen Goalie zentral?

Natürlich tut das gut. Gleichzeitig birgt eine gute Vorbereitung die Gefahr, dass man folglich einen noch besseren Meisterschaftsstart erwartet. Doch man muss ständig fokussiert bleiben. Die Aussen- und Innenaussicht unterscheiden sich oft. Manche Dinge verlaufen noch nicht so flüssig, wie ich mir das erhoffe.

Die Champions League ist Vorbereitung in Anführungszeichen, es geht ja schon um etwas. Sie spielen erstmals in diesem Wettbewerb, wie finden Sie ihn?

Manchmal ist es schwierig, sich für Testspiele zu motivieren. Deshalb sehe ich die Champions League als eine gute Sache, man trifft auf starke Gegner und will keine 0:7-Klatsche einstecken. Handkehrum glühe ich nicht darauf, wegen des Eishockeys in ein Flugzeug zu steigen und in einem Hotelzimmer zu übernachten – das habe ich während meiner Zeit in der NHL zur Genüge gemacht.

Sie wirken an einem Matchtag wie in einem Tunnel. Haben Sie sich das bewusst so antrainiert oder war das schon immer so?

Das hat viel mit Erfahrung zu tun. Ich weiss, was ich tun muss, um die bestmögliche Voraussetzung für eine gute Leistung zu schaffen. Ich begebe mich sozusagen in meine eigene Welt und lasse kaum Dinge von aussen an mich ran. Ich kann mittlerweile gut abschätzen, ob ich mich vor einem Spiel pushen oder beruhigen muss, damit ich genau auf die von mir gewünschte Ebene gelange. Das ist alles sehr individuell, für andere funktioniert das Gegenteil.

Holen Sie sich Rat bei einem Mentaltrainer?

Nein. In Davos arbeitete ich eine gewisse Zeit mit einem Mentaltrainer. Das war spannend und hilfreich, weil ich herausfand, dass ich mir schon zuvor richtige Vorgehensweisen angeeignet hatte. Letztendlich muss es für dich passen, keiner kann dir die mentale Arbeit abnehmen. Das Abrufen festgelegter Abläufe ist für mich wichtig – man hat so viele Spiele, da kannst du dich gar nicht immer gut fühlen. Damit finde ich automatisch meinen Rhythmus, unabhängig vorausgegangener Gegentore oder Müdigkeit.

Eines Ihrer Rituale ist das Schlittschuhschleifen. Warum machen Sie das selber? Mit Pascal Stoller hätten Sie ja einer der Besten des Landes dieses Metiers im Betreuerstab.

«Stoly» ist schon ein bisschen in seiner Ehre verletzt (schmunzelt). Er würde das wahrscheinlich genau so gut hinkriegen. Aber ich interessiere mich seit jeher für die Ausrüstung und probiere gerne Neues aus, und so wurde das zu einem Ritual.

Sie sind allgemein ein Tüftler, Sie schrauben zum Beispiel auch an Ihren Autos rum. Woher kommt diese Faszination?

Das weiss ich nicht. Mich interessiert einfach, wie Dinge funktionieren. Da ich ein Perfektionist bin, stellt sich dann schnell die Frage, wie die Dinge noch besser funktionieren könnten. Das beschränkt sich nicht bloss auf die Eishockeyausrüstung. Entweder mache ich etwas richtig oder gar nicht. Das ist für mein Umfeld nicht immer einfach (lacht). Doch es fällt mir schwer, etwas nur halbbatzig anzugehen.

Sie haben einen grossen Anteil am Aufwärtstrend des EHC Biel der letzten Jahre. Dementsprechend tragen Sie viel Last auf Ihren Schultern, der Erfolgsdruck ist mittlerweile gross. Wie gehen Sie mit dieser Verantwortung um?

Das gehört als Goalie einfach dazu. Wenn ich einen Fehler mache, ist die Chance eines Gegentreffers gross. Wenn ich viele Schüsse abwehre, erhöht das die Siegeschancen des ganzen Teams. Diese mentale Belastung ist manchmal ermüdender als die körperliche. Unabhängig davon habe ich an mich selbst hohe Erwartungen.

Die Belastung ist umso grösser, wenn zwei Spiele an zwei Tagen angesetzt sind, wie es in der Schweiz oft am Freitag und Samstag vorkommt. Müsste das nicht geändert werden?

Definitiv. Aber das hat finanzielle Gründe, weil die Spiele am Wochenende fürs Publikum attraktiver sind. Neben der mentalen kommt die körperliche Anstrengung dazu. Und je müder du bist, desto schwieriger wird das Mentale. Deshalb bin ich froh, wenn ich ab und zu an einem Abend auf der Bank Platz nehmen darf.

Sind Sie auch privat ein Mensch, der gerne Verantwortung übernimmt?

Manchmal bin ich erleichtert, wenn nicht alles von mir abhängt. Jedoch habe ich schon Mühe damit, wenn jemand zu leger vorgeht. Dann übernehme ich lieber selbst die Verantwortung, anstatt mich aufzuregen.

Ziehen Sie zuhause sozusagen den Eishockey-Stecker oder sind die Formkurve des Teams und die eigene Performance Gesprächsthemen?

Meine Kinder sind noch klein, denen ist egal, ob wir gewinnen oder verlieren. Mit meiner Frau diskutiere ich nicht stundenlang über Eishockey, aber sie kriegt natürlich aufgrund meiner Stimmung mit, ob es dem Team läuft oder nicht. Mir ist das Hockey zu wichtig, als dass ich es komplett ausblenden könnte.

Was für einen Einfluss nahm die Geburt Ihre Kinder auf Ihr Dasein als Profisportler?

Ich schätze Dinge bezüglich ihrer Wichtigkeit anders ein. Das Resultat eines Matches ist mir nach wie vor wichtig. Wenn ich das aber mit der Gesundheit meiner Kinder vergleiche, ist der Sport völlig unbedeutend. Das heisst aber natürlich nicht, dass ich unbekümmert in ein Spiel gehe, weil es meinen Kindern gut geht.

Ihre Mutter spielte in der Basketball-Nati, Ihr Vater war Basketball-Trainer. Denken Sie rückblickend, dass dieser sportliche Hintergrund dafür verantwortlich war, dass Sie Spitzensportler geworden sind?

Wahrscheinlich nahm das schon einen Einfluss. Einerseits vielleicht genetisch, andererseits ist die Chance bei Kindern von sportbegeisterten Eltern grösser, dass sie lieber Fussball spielen gehen, anstatt vor dem Computer zu sitzen. Meine Mutter war Sportlehrerin, und ich konnte an einem regnerischen Mittwochnachmittag die Turnhalle benutzen. Entscheidend war sicher auch die Unterstützung, Eishockey ist ein aufwendiger Sport.

Ihr Vater starb während des Playoff-Halbfinals gegen Bern. Warum haben Sie sich entschieden, dennoch ohne Pause weiterzuspielen?

Auf eine solche Situation kannst du dich nicht vorbereiten. Für ihn war wichtig gewesen, dass ich deswegen kein Spiel verpasse, er hat meine Karriere immer intensiv verfolgt. Das war eine riesige emotionale Achterbahnfahrt. Doch auf dem Eis hatte ich das Gefühl, dass ich das gut ausblenden konnte. Erst nachdem die Serie zu Ende war, brach alles auf mich ein.

Dieses Spiel 7 hätte für Biel kaum bitterer ausfallen können. Unter anderem verletzten Sie sich im ersten Drittel. Wie lange hat es gedauert, bis Sie dieses Spiel verarbeiten konnten?

Schon allein meine schmerzende Schulter hat mich zwei Monate daran erinnert. Klar konnten wir stolz sein. Doch wir standen so nah dran, das war frustrierend. Bern konnte mit 98 Prozent Leistung gegen uns gewinnen. Wir brauchten 100, um sie zu schlagen. Viermal alles abrufen zu müssen, ist schwieriger. Das und die grössere Erfahrung machten den Unterschied. Doch genau aus solchen Niederlagen schöpft man eben Erfahrung.

Wenn man Ihnen zuschaut, ist der Wettkampftyp augenscheinlich. Auch bei teaminternen Aktivitäten in anderen Sportarten scheint Ihr Ehrgeiz gross zu sein.

Als Profisportler nicht ehrgeizig zu sein, ist doch unmöglich. In der exponierten Rolle eines Goalies ist das noch wichtiger, fast wie bei einem Einzelsportler. Das je nach Situation abzustellen, ist nicht so einfach. Ich muss mich beim Kartenspielen mit meinen Kindern zusammenreisen (lacht). 

Umso frustrierender muss es gewesen sein, als Sie während Ihrer Zeit in der NHL mysteriöse Gleichgewichtsstörungen beklagten und deshalb lange Zeit pausieren mussten. Wie sind Sie damit umgegangen?

Davor konnte ich Probleme jeweils mit mehr Einsatz bewältigen. Doch in diesem Fall wurde es umso schlimmer, je mehr ich pushte. Niemand konnte mir sagen, wie lange das dauern wird und ob das überhaupt jemals wieder gut kommt. Das war die schwierigste Situation meiner Karriere.

Befürchteten Sie, nie mehr Eishockey spielen zu können?

Nein. Aber es gab Momente, in denen ich mich fragte, was das alles eigentlich soll. Vor allem, weil es so lange gedauert hat und es immer wieder Rückschritte gab. Das war extrem frustrierend.

Sie lebten neun Jahre in Nordamerika. Was vermissen Sie von dort?

Sportlich den Reiz, in jedem Match gegen die Besten der Welt zu spielen. Neben dem Eis gefiel mir die Spontanität der Leute. Während man sich in den USA noch für denselben Tag verabredet, braucht es in der Schweiz eine dreimonatige Planung.

Was fehlt Ihnen überhaupt nicht?

Das Zeittotschlagen in Flugzeugen oder Hotels. Oft in einem fremden Bett übernachten, auch wenn es schöne Hotels sind, ist anstrengend.

In Nordamerika sind die Löhne öffentlich. Ihre Einnahmen wurden auch in der Schweiz immer wieder hervorgehoben, und als Sie nach Biel wechselten, wurden rasch Summen Ihres jetzigen Lohns kolportiert. Stört Sie das? In der Schweiz ist die Lohnsumme ja das Tabuthema schlechthin.

Nein, da stehe ich drüber. Dieses Geld habe ich ja nicht im Lotto gewonnen. Ich weiss, was ich dafür geleistet habe und was es alles braucht, um auf dieses Niveau zu kommen. Ich fand es nach den vielen Jahren in der NHL eher komisch, dass das Salär hier nicht offengelegt wird. Einzig hatte ich Mühe damit, dass weniger davon die Rede war, wie viel man tatsächlich ausbezahlt bekommt. Nach Steuern und Abgaben an die Liga beträgt der Nettolohn in Nordamerika weniger als 50 Prozent.

Was bedeutet Ihnen Geld?

Ich schätze die sich daraus ergebende Unabhängigkeit. Ich kann bestimmen, dass dies meine letzte Saison ist, ohne mir bereits jetzt Sorgen um die Zukunft machen zu müssen. Ob mich das Geld glücklicher macht, weiss ich nicht. Ich geniesse die Privilegien, die ich sonst nicht hätte. Ich konnte mir ein Haus am See bauen, in der Garage steht mehr als nur ein Auto. 

Sie hätten aus finanzieller Sicht nach Ihrer NHL-Karriere aufhören können. Warum taten Sie das damals nicht?

Das führt uns zurück zum Anfang dieses Gesprächs. Ich wollte nicht mit einem Negativerlebnis aufhören. Mit Ausnahme der Gleichgewichtsstörrungen verbrachte ich acht super Jahre in der NHL. Nur im letzten Jahr in Calgary passte überhaupt nichts zusammen. Doch es gab natürlich auch Stimmen, untere anderem auch von meinem Vater, die meine Rückkehr in die Schweiz hinterfragten. Mir war und ist wichtig, dass ich aus eigener Überzeugung den Zeitpunkt meines Karriereendes bestimmen kann.

Trauern Sie etwas Verpasstem nach?

Wenn mir jemand vor 15 Jahren angeboten hätte, dass ich neun Jahre in der NHL spielen kann und danach noch mit Biel erfolgreich bin, hätte ich das sofort unterschrieben. Aber klar, rückblickend ist es schon schade, dass wir mit Anaheim nie bis in den Final gekommen sind oder sogar den Stanley Cup gewonnen haben. Doch es gibt so viele gute Spieler, die noch viel länger in der NHL spielten und das auch nicht erreicht haben. Es ist so vieles gut für mich verlaufen, da kann ich nicht irgendetwas nachtrauern.

Sie sind Hauptaktionär einer Kitesurf-Firma. Wird Ihr Engagement dort zunehmen?

Das ist sicher eine Idee, mich mehr ins Tagesgeschäft einzubringen. Ich hoffe, dass ich dort an Produkten tüfteln und auch weiterentwickeln kann. Einerseits werde ich wohl nicht sofort wieder in eine Eishalle gehen wollen. Andererseits wäre es auch schade, würde ich meine Erfahrung nicht weitergeben können. Das muss nicht zwingend im Sport sein. Mentale Vorbereitung oder in einem Team auf ein Ziel hinarbeiten, ist auch in der Privatwirtschaft gefragt. Ich will mir Zeit nehmen, um herauszuspüren, was ich wirklich machen will.

Schlussfrage: Der EHC Biel schafft es diese Saison in den Final, weil …

… wir nun das Mü an Erfahrung mehr haben, das uns bisher gefehlt hat. Gleichzeitig will jedes andere Team auch besser abschneiden als letztes Jahr. Wie immer muss vieles zusammenpassen. Die neuen Spieler und die Stimmung in der Mannschaft stimmen mich jedenfalls positiv. Wir streben nach mehr, das war nicht schon immer so. Ich hatte nach meiner Ankunft etwas Mühe damit, dass es Leute gab, die sich schon allein mit einer Playoff-Qualifikation zufrieden gaben. Ich bin stolz, einen Teil zu dieser Entwicklung beigetragen zu haben. Es war immer meine Idee gewesen, Biel weiterzubringen. Ob es so lange ich hier bin, bis zum Meistertitel reicht, weiss ich nicht. Aber das Ziel muss es sein.

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Zur Person

Jonas Hiller (37) ist der erfolgreichste Eishockey-Torhüter der Schweiz. Mit Davos wurde der Appenzeller drei Mal Schweizer Meister, ehe er nach Nordamerika in die National Hockey League (NHL) wechselte. In der weltbesten Liga bestritt Hiller für die Anaheim Ducks und die Calgary Flames insgesamt über 400 Spiele. In der Saison 2010/11 wurde der Goalie als zweiter Schweizer nach Mark Streit für das NHL-All-Star-Game eingeladen. Mit der Nationalmannschaft nahm er an drei Olympischen Winterspielen teil, vier Mal vertrat er die Schweiz an einer Weltmeisterschaft. Seit 2016 hütet Hiller das Tor des EHC Biel. Er ist verheiratet und Vater einer Tochter (5) und eines Sohnes (2). bil

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