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KOMMENTAR

Der Blick in menschliche Abgründe

Das Klima im Bordell von Nidau war lange Zeit von Gewalt und Angst geprägt. Dies beweisen Aussagen von Zeugen. Wie sehr die dort arbeitenden Frauen unter dem Diktat des Bosses und seiner Mitstreiter litten, kann höchstens erahnt werden.

Ursula Grütter

URSULA GRÜTTER

Das was von den Zeugen als normaler Alltag geschildert wurde, ist vielmehr ein Einblick in menschliche Abgründe. Etwa wenn eine Frau auf die Frage nach der Art der Schläge, mit «wie Männer halt schlagen», antwortet. Oder wenn zur Durchsetzung von Interessen auch zur Waffe gegriffen wird. Frauen müssen von Männern beschützt werden, findet der Hauptangeklagte. Manchmal müssen sie vielmehr vor Männern geschützt werden, denn das Verständnis des Angeklagten von «beschützen» ist dasjenige von «beherrschen».

Unter dem Eindruck des Geschilderten scheint eine Haftstrafe von viereinhalb Jahren für Menschenhandel und Förderung der Prostitution sehr gering. Doch Recht und Gerechtigkeit sind nicht immer das Gleiche. Menschenhandel und Förderung der Prostitution geschehen im Verborgenen. Um die Frauen «willig» zu machen, braucht es nicht immer Gewalt oder Freiheitsberaubung. Drohungen schränken manchmal mehr ein als verschlossene Türen. Und schon die Frage nach dem Wohlergehen des Kindes kann eine sehr effiziente Drohung sein. Gegen aussen wird dann «willig» zu «freiwillig».

In diesem Klima von Angst und Verschwiegenheit rechtstaugliche Beweise zu liefern, ist schwierig. Daher dauerte das Verfahren auch unüblich lange. Das hat zu Strafmilderungen geführt, und das muss in solchen Fällen in Kauf genommen werden. Sehr stossend ist hingegen, dass der amtliche Verteidiger des Hauptangeklagten eine Zeugin zu einem Gespräch einlud. Dass es zu Einschüchterungsversuchen gegen Frauen kam, war auch ihm bekannt, das stand in den Einvernahmeprotokollen. Hier als Vertreter seines Mandanten den Kontakt zu einer Zeugin, die gar zeitweise in einem Zeugenschutzprogramm war, aufzubauen, ist mehr als fragwürdig.

Dass er der Boss des Bordells war, hat der Hauptangeklagte nach hartnäckigem Leugnen schliesslich zugegeben. Alles andere streitet er ab. Rechtskräftig verurteilt ist er daher noch nicht. Dasselbe gilt für die Mitangeklagten.

Bei allem taucht auch die Frage der Mitverantwortung der Freier auf. Bleiben ihnen solche Zustände verborgen, oder sind sie einfach Ignoranten? Jedenfalls sind sie aufgefordert, genau hinzuschauen, und das nicht nur auf die Brüste der Sexarbeiterinnen. In seinem Plädoyer sagte ein Verteidiger, dass die Befriedigung ein Urbedürfniss des Mannes sei. Nur welche Befriedigung, Herr Rechtsanwalt? Ist es der Wunsch nach Erotik, das Spiel um Erregung, oder einfach die schnelle Nummer? «Sie waren grob, schmutzig und unhöflich», sagte eine Prostituierte über ihre Kunden.

Wenn es nur um diese Art von Befriedigung geht, dann ist den Männern zuzurufen: «Do it yourself, macht es euch selbst», den Frauen und der Gesellschaft zuliebe.

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