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en famille

Der Kinderzimmer-Krimi

Schon geil, diese Technik von heute. Früher, als die grösseren Kinder noch die Kleinen waren, hatte ich mir mal ein Babyphone angeschafft.

Bild: Parzival Meister
, Mitglied publizistische Leitung und unglaublich berührt

Also so eine Art Funkgerät, über das man hört, wenn das Baby im Kinderzimmer Geräusche von sich gibt. Aber ich erinnere mich, dass ich diese Babyphones ziemlich doof fand. Denn wenn das Baby schreit, dann hört man das. Auch ohne Babyphone.

Eigentlich hatte ich die Phase des allnächtlichen auf Nadeln sein ja längst hinter mir. Doch dann … ja dann wurde ich wieder Vater. Und ich habe erfahren, dass Babyphones noch etwa so modern sind wie Nokia-Handys mit Tastatur. Heutzutage steht neben dem Baby-Bett kein geräuschübermittelndes Gerät mehr, sondern eine Überwachungskamera mit Nachtsichtfunktion, die Live-Bilder auf den portablen Bildschirm überträgt. Als ich so ein Ding zum ersten Mal bei einem befreundeten Pärchen sah, dachte ich: Wow, geil, super, dieses Gerät müssen wir auch haben. So kam es dann auch. Und so sitzen wir nun Abend für Abend im Wohnzimmer oder am Küchentisch, völlig sorgenfrei, da wir zu jedem Zeitpunkt sehen können, dass es der Kleinen im Bettchen gut geht.

Das zumindest ist die Theorie. Exemplarisch schildere ich Ihnen nun meinen letzten Samstagabend: Die Kleine ist eingeschlafen und liegt im Baby-Bett. Mama und Papa haben also ein paar Stunden (oder Minuten, wer weiss das schon) für sich. Im Kamin lodert ein Feuerchen, ich gönne mir ein Bierchen, meine Frau ein Glas Wein. Wir setzen uns an den Küchentisch und quatschen. Auf dem Tisch vor uns der Bildschirm, der eigentlich ein Nebendarsteller sein sollte, aber immer wieder unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht. Wissen Sie eigentlich, wie oft sich so ein Baby im Schlaf bewegt? Was sich auf diesem Bildschirm abspielt, ist ein echter Krimi. Alle paar Minuten ein Fuchteln oder eine Drehung. Und bei jeder Bewegung halte ich mit Blick auf den Bildschirm den Atem an: Wach ja nicht auf, wach jetzt ja nicht auf, alles gut, schlaf mein Kind, schlaf! Immerhin: Es geht lange gut. Dann plötzlich, sie dreht sich auf den Bauch. Geräusche gibt sie keine von sich. Atmet sie noch? Wird schon in Ordnung sein, kommt es aus meinem Mund. Doch die Gedanken lassen mich nicht los. Immer wieder studiere ich den Bildschirm, will sehen, ob ich Zeichen des Atmens erkennen kann. Verd…! Ich bin nicht mehr entspannt. Also gehe ich ins Kinderzimmer. Alles bestens, es geht ihr gut. Zurück also zu meiner Frau. Nein, halt, ich drehe die Kleine lieber auf den Rücken. Jetzt schnell raus, Türe zu, zum Küchentisch, Blick auf den Bildschirm: Sie strampelt wie verrückt. Beruhigt sie sich von selber wieder? Denkste. Jetzt sind die Augen geöffnet. Nun der Mund. Und ich höre den ersten Schrei aus dem Kinderzimmer.

Um es kurz zu machen: Sie schlief nicht wieder ein. Sie wollte in unsere Arme. Und als ich dann so mit dem Baby im Arm, kinderliedersummend die Wohnung auf und ab lief, erinnerte ich mich an die guten alten Zeiten, als man vom Krimi im Baby-Bett schlichtweg nichts mitbekam.

Info: Parzival Meister (39) ist Mitglied der publizistischen Leitung des Medienhauses Gassmann. Im Wechsel mit Theresia Mühlemann berichtet er an dieser Stelle über seinen Alltag in einer Patchwork-Familie mit fünf Kindern im Alter zwischen
 5 Monaten und 17 Jahren.

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