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«Fire Phone»

Ein lauwarmes Eisen im Feuer

Amazon lanciert ein eigenes Smartphone. Das Gerät soll als Shoppingsuchmaschine die reale Welt mit dem weltgrössten Onlineladen verbinden und damit eine Marktlücke schliessen.

Schnelles Online-Einkaufen: Das «Fire Phone» von Amazon überzeugt mit neuen Ideen, ist aber noch viel zu teuer. Bild: Keystone

von Simon Dick

Amazon-Chef Jeff Bezos präsentierte das Smartphone mit dem Namen «Fire Phone» vor ausgewählten Journalisten. Von der Konkurrenz abheben soll sich das Amazon-Handy mit innovativen Funktionen. Das Gerät mit einem 4,7 Zoll grossen Bildschirm und einer 13-Megapixel-Kamera kommt Ende Juli zunächst nur in den USA auf den Markt. In der Schweiz wird das Fire Phone vorerst nicht erhältlich sein.

Foto machen, Artikel kaufen
Im harten Wettbewerb mit etablierten Handyherstellern wie Apple und Samsung will Amazon mit einem grossen Angebot an Dienstleistungen punkten. So bekommen die Nutzer etwa uneingeschränkten Online-Speicherplatz für Fotos, kostenlosen Zugriff auf Amazons Videoangebot und den jüngst vorgestellten Musik-Streamingdienst.

Eine neue Schlüsselfunktion heisst «Firefly». Diese soll als Shoppingsuchmaschine für die reale Welt funktionieren. Konkret: Wenn der User damit Gegenstände fotografiert, wird er sofort zum entsprechenden Produkt im Amazon-Shop weitergeleitet. Erblickt man beispielsweise ein Buch auf dem Tisch eines Freundes, kann dieses fotografiert und schon im nächsten Augenblick im Amazon-Shop bestellt werden. Die Funktion kann sogar einzelne TV-Serien im Fernsehen erkennen. Das ganze System funktioniert auch mit Musik, Texten und Kunstwerken. Damit benötigt der User keine Apps mehr. Das Fire Phone übernimmt diese kleinen Programme komplett.

Besonders eindrücklich: Ein System aus vier Kameras rund um den Bildschirm verfolgt permanent die Kopfposition des Nutzers und passt die Darstellung auf dem Display an. Facetime-Anrufe beim hektischen Gehen ohne Ruckler sind bald möglich. An der Funktion sei vier Jahre gearbeitet worden, sagte Bezos stolz. Sowohl bei Firefly als auch bei der Displaytechnik gibt es Schnittstellen für App-Entwickler. Das soll die Integration in verschiedene Anwendungen ermöglichen.

Kein günstiges Smartphone
Amazon wagt sich mit seinem Smartphone in einen heftig umkämpften Markt. Samsung ist der grösste Anbieter mit rund einem Drittel der weltweit verkauften Geräte, Apples iPhone kommt auf einen Marktanteil von etwa 15 Prozent. Damit wird nahezu die Hälfte des Marktes bereits von den zwei grössten Anbietern besetzt. Um den Rest ringt eine Vielzahl von Herstellern. Bei den Betriebssystemen ist die Lage klarer: Die Google-Plattform Android deckt bis zu 80 Prozent des Marktes ab.

Während Amazon bisher dafür bekannt war, seine Geräte deutlich günstiger als die Konkurrenz zu verkaufen und sich das Geld später über den Verkauf von Inhalten zurückzuholen, läuft es beim Fire Phone anders. Das Gerät kostet in den USA mit Abo 199 Dollar und liegt damit auf dem Niveau anderer Premium-Smartphones.

Das Smartphone schliesst in Amazons Geräteangebot die Lücke zwischen dem Kindle-Fire-Tablet und der TV-Box Fire TV. Über eine Cloud-Synchronisation sollen die Geräte zusammenarbeiten. Amazon hatte in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt das Angebot an Inhalten ausgebaut, das über seine Geräte erreichbar ist.

Die Amazon-Aktie gewann nach der Vorstellung des Geräts 2,7 Prozent an Wert. Das hauseigene Smartphone war zwar nach diversen Medienberichten erwartet worden, doch die Funktion Firefly war dennoch eine grosse Überraschung.

KOMMENTAR:
Amazons Schritt in den Smartphone-Markt ist sehr mutig, aber auch äusserst naiv. Unbegrenzter Online-Speicherplatz, schnelles Einkaufen und ein technisch starkes Innenleben machen auf den ersten Blick eine gute Figur. Wer jedoch glaubt, mit einem Premium-Smartphone im Sandkasten der grossen Konzerne mitspielen zu können, hat seine Hausaufgaben nicht gemacht. Der Markt für Smartphones ist gesättigt, viel Platz hat es kaum mehr und schon gar nicht für einen Hersteller, der ein überteuertes Gerät an den Kunden bringen möchte. Das Innenleben des Fire Phone mag den Technikbegeisterten erfreuen und wird mit Sicherheit den einen oder anderen blinden Käufer finden. Um aber langfristig auf dem Markt überleben und sich gegen die Konkurrenz aus Asien behaupten zu können, muss der Preis drastisch nach unten geschraubt werden. Ansonsten geht das ambitionierte Fire Phone unter, bevor es überhaupt eine richtige Chance erhält.

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