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Videospiele

Starke Frauen sind in der Minderheit

Die Branche der digitalen Spiele präsentiert sich gerne erwachsen. Doch sie ist es nicht immer. Auch wenn fast die Hälfte aller Konsumenten weiblich ist, wird die Rolle der Frau in Videospielen oft noch zu sexistisch dargestellt. Doch starke Frauen sind auf dem Vormarsch.

In der Fortsetzung zu "The Last of Us" steht die junge Frau Ellie im Fokus, Bild: zvg
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Simon Dick

Im Jahr 1985 rennt im Videospiel «Super Mario Bros.» ein kleiner Klempner mit Schnauz durch bunte Welten, um eine Prinzessin zu befreien. Das hilflose Geschöpf wurde entführt und wartet nun brav in einem düsteren Schloss auf den starken Helden. Damit ist die damalige Rolle der Frau in den Videospielen auch schon zu Ende erzählt.

Doch seit 1985 hat sich in der Gameindustrie einiges getan. Zwar werden heute nach über 30 Jahren immer noch regelmässig schwache Frauen aus den Klauen von Ungeheuern befreit, doch es gibt immer mehr Heldinnen, die keine Hilfe von männlichen Geschöpfen benötigen (siehe Zweittext unten). Der beste Beweis dafür ist das aktuelle Abenteuer-Spiel «Uncharted: The Lost Legacy». Darin kämpfen gleich zwei starke Frauen gegen eine mächtige, männliche Privatarmee. Die beiden Frauen wehren sich aber nicht nur mit vollem Körpereinsatz, sondern beweisen, dass man auch mit Verstand und Logik ans Ziel kommt.

Zwei starke Frauen in "Uncharted: The Lost Legacy", Bild: zvg

Videospiele galten seit der Eroberung der Unterhaltungskultur noch sehr lange als Boys-Toys, also als eine Freizeitbeschäftigung, mit der nur Jungs und Männer etwas anfangen können. Doch als die Industrie mit der Zeit bemerkte, dass es auch einen Markt für Spielerinnen gibt, hat man auch hier begonnen umzudenken. 2011 waren noch 58 Prozent der Spieler männlich. Im Jahr 2014 waren 56 Prozent männlich und 44 Prozent weiblich. Heute sind aufgerundet 50 Prozent der Videospielkonsumenten weiblich.

Virtuelle Barbie
1997 kam «Barbie Fashion Designer» auf den Markt und sorgte dafür, dass sich plötzlich ganz viele Spielerinnen für ein digitales Spiel interessieren. Das PC-Spiel fand Beachtung und lieferte der Branche den ersten Beweis dafür, dass es da draussen auch eine weibliche Zielgruppe gibt. Den grossen Durchbruch feierte dann drei Jahre später das Simulations-Spiel «Die Sims». Als dieses Spiel im Jahr 2000 für den PC erschien, stürzten sich ganz viele weibliche Spieler auf diese Lebenssimulation und begleiteten regelmässig ihre virtuellen Figuren. Ab hier war allen, vor allem den Männern in der Branche, klar: Auch Frauen spielen gerne Videospiele. Die Zeit, als Videospiele eine reine Freizeitbeschäftigung für Männer und Jungs war, war definitiv vorbei. 17 Jahre später ist fast die Hälfte der Videospielfans weiblich.

Rollenspiele im Fokus
Digitale Spiele generieren heute in der Unterhaltungsindustrie mehr Umsatz als die früheren Leitmedien Film oder Musik. Die Konsumenten von Videospielen waren lange Zeit in der Überzahl. Heute spielen genau so viele Frauen digitale Spiele wie Männer. Der Unterschied besteht jedoch laut dem Sachbuch «Gender und Gaming» von Sabine Hahn (siehe Interview unten) bei den Vorlieben. Frauen und Mädchen greifen lieber zu simplen Handyspielen und sogenannten Casual Games. Dies sind besonders zugängliche Spiele, die man zwischendurch für eine kurze Zeit konsumiert und sich damit nicht über einen längeren Zeitraum beschäftigt. Soll es etwas komplexer sein, stehen Rollen- und Simulationsspiele beim weiblichen Geschlecht im Fokus. Frauen und Mädchen spielen auch vorwiegend alleine, während Männer und Jungs gerne auch zu einem Mehrspielermodus greifen. Männer und Jungs bevorzugen eher wettkampforientierte Titel wie Action- und Sportspiele. Auch wenn die Hälfte der Spieler weiblich ist, sieht es in der Entwicklung von digitalen Spielen ganz anders aus. Momentan wird der Anteil von Mitarbeiterinnen in der Gameindustrie weltweit auf nur rund 20 Prozent geschätzt. Wobei hier die Tendenz auch seit Jahren stark am steigen ist.

Branche steckt in der Pubertät
Die Videospielbranche präsentiert sich gerne erwachsen. Doch gerade beim Thema Frauenbild scheint die Branche noch in der Pubertät zu stecken. «Ich denke schon, dass es einige Genres gibt, die Frauen generell zu sexistisch darstellen. Ab und zu fällt es schon auf, wenn eine Spielfigur absurd leicht bekleidet ist. Im Allgemeinen stört mich dies jedoch nicht, solange es ästhetisch bleibt», sagt Daria Schumacher, Game-Designerin aus Grenchen.

Rebecca Gangl, Game-Entwicklerin aus Biel, sieht es kritischer: «Es ist keine Seltenheit, dass die männliche Hauptfigur mit schwerer Rüstung unterwegs ist, die weibliche Figur dagegen übermässig viel Haut zeigt. Die sexistische Darstellung von Frauen gibt mir zu denken, gerade auch, weil die Spielentwickler einer Figur jegliche Körpermasse geben können und diese dann häufig übertrieben sind. Dies setzt unrealistische Standards und Ideale, was nicht nötig wäre.»

Sollte die Branche also mehr weibliche, vor allem realistischere Spielheldinnen entwickeln lassen? «Ich persönlich bevorzuge ehrlich gesagt männliche Protagonisten. Grundsätzlich spielt es mir aber keine Rolle. Aber ich finde es super, dass es immer mehr Spiele mit weiblichen Protagonisten gibt und damit die Vielfalt in den digitalen Spielen gefördert wird», sagt Daria Schumacher.

Rebecca Gangl sieht es ähnlich: «Ich denke, dass es wünschenswert wäre, wenn das Verhältnis von Spielhelden und Spielheldinnen ausgewogen wäre. Mir selbst spielt es keine Rolle. Ich kann mir aber vorstellen, dass Spielheldinnen dazu beitragen, dass sich auch mehr Frauen für digitale Spiele interessieren, weil sie sich mit der Figur identifizieren können.»

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Jägerinnen, Hexen und Teenies

Szene aus "Life is Strange", Bild: zvg

Lara Croft, bei diesem Namen dürfte auch den Nichtspielern sofort ein Bild vor dem geistigen Auge aufblitzen. Eine coole Frau mit grosser Oberweite und Sonnbrille, die sich lasziv durch Abenteuerwelten ballert. 1996 bekam zum ersten Mal eine weibliche Figur die Hauptrolle in einem Videospiel und sorgte über die Branchengrenze hinaus für grosse Aufmerksamkeit.

«Tomb Raider» war nicht nur die Geburt einer langlebigen Videospielreihe, sondern präsentierte mit Frau Croft eine virtuelle Figur, die zu einem wichtigen Teil der Populärkultur wurde. Die erste Version zog zwar hauptsächlich durch ihr knappes Outfit und überstilisierte Körperteile die Aufmerksamkeit auf sich, doch Lara Croft war viel mehr als das. Der Charakter hatte für die damalige Zeit viel Tiefe und zeigte das Bild einer Heldin, das man so in der Videospielwelt noch nicht kannte.

Nach vielen Fortsetzungen und Neuinterpretationen hat sich Lara Croft mittlerweile stark verändert. Ihr Körperbau wurde nicht nur der Normalität angepasst, ihre überproportionale Oberweite wurde erheblich verkleinert, auch ihr Charakter und ihre Hintergrundgeschichte wurden überarbeitet und mit (noch) mehr Tiefe versehen. Lara Croft hat das Image der sexy Videospielheldin abgelegt und wurde zu einer sehr starken Frau mit Ecken und Kanten, die sich in einer brutalen Welt zur Wehr setzen kann.

Das Actionspiel «Bayonetta» aus dem Jahr 2009 sorgte für Diskussionen innerhalb der Spielgemeinde. Heldin und Hexe Bayonetta war nicht nur ein starker Charakter, der es auch mit den grössten Monstern aufnahm, sondern setzte sich auch regelmässig erotisch ziemlich aufgeladen in Pose. Wenn weibliche Attribute kurz in die Kamera gehalten wurden, erfreute das den männlichen Spieler. Spielerinnen hatten dabei eher gemischte Gefühle: «Im Spiel trägt die weibliche Hauptfigur einen Anzug aus ihren Haaren, der während des Kampfes immer knapper wird. Es ist absurd, aber das ganze Spiel ist übertrieben und nimmt sich selbst nicht ernst. Deswegen kann ich darüber lachen und finde, dass es passt», so Daria Schumacher, Game-Designerin aus Grenchen.

2013 sorgte eine Videospielfigur für grosse Aufmerksamkeit. Die 14-jährige Ellie ist eine der beiden spielbaren Charaktere im Action-Drama «The Last Of Us». Der Teenager hatte eine so tiefe und emotionale Hintergrundgeschichte, dass schon mal reale Tränen fliessen konnten. In der kommenden Fortsetzung wird Ellie (grosses Bild oben) jetzt im Fokus stehen und die Geschichte einer jungen Frau erzählen, die in einer postapokalyptischen Welt überleben muss.

Auch in «Life is Strange» aus dem Jahr 2015 standen Teenager im Fokus, die mit Irrungen und Wirrungen kämpfen mussten. Darin schlüpfte man in die Rolle eines sehr verletzlichen Mädchens, das mit der Zeit immer stärker wurde und sich in einer Welt behaupten musste, die sich gegen sie wendete. Die Protagonistin Max musste schwere Entscheidungen treffen und dann mit den oft harten Konsequenzen leben. Das berührte und stimmte nachdenklich.

Aloy aus "Horizon Zero Dawn", Bild: zvg

Die rothaarige Aloy aus dem Science Fiction-Kracher «Horizon Zero Dawn», der Anfang dieses Jahres auf den Markt kam, ist ein weiteres Paradebeispiel für starke Heldinnen. Als Ausgestossene und ständig auf der Suche nach Antworten zu ihrer Herkunft muss sie sich in einer düsteren Zukunftsversion behaupten. Dabei zeigt sie sich nicht nur von ihrer starken Seite und bekämpft riesige Maschinenmonster, sondern leidet auch und muss  in dieser aggressiven Welt über sich hinaus wachsen. Ihre Verletzlichkeit als auch ihre Tapferkeit stehen beide im Fokus und zeichnen so das Abbild eines umfangreichen Charakters ohne Stereotypisierung. Aloy ist stark, intelligent, gleichzeitig aber auch verletzlich und sensibel. Menschlicher geht es kaum. sd    

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«Frauen legen mehr Wert auf Ästhetik»

Dr. Sabine Hahn forscht und lehrt zu Digitalen Medien u.a. in Köln, Bild: zvg

In ihrem neuen Sachbuch «Gender und Gaming» untersucht Sabine Hahn die Rolle der Frauen in den digitalen Spielen und findet, dass in der Game-Branche mehr Frauen arbeiten sollten.

Sabine Hahn, im aktuellen Videospiel «Uncharted: The Lost Legacy» stehen gleich zwei starke Frauen im Zentrum der Geschichte. Ein Beweis dafür, dass die Game-Branche endlich erwachsen geworden ist?
Sabine Hahn: Ich befürchte, so pauschal sollte man sich nicht äussern. Zum einen störe ich mich am «erwachsen werden». Ich denke, das wollen viele in der Branche eben ausdrücklich nicht. Zum anderen sind zwei starke Frauen bei der Fülle der Spielerscheinungen und der darin enthaltenen Charaktere sicherlich nicht repräsentativ. Um jedoch die Frage auch zu beantworten: Ja, ich sehe eine sehr positive Entwicklung in den letzten Jahren. Die narrative Relevanz sowie die ästhetische Darstellung weiblicher Spielfiguren verändert sich sukzessive.

Wie müsste Ihrer Meinung nach ein digitales Spiel sein oder aussehen, damit es mehr Frauen anspricht?
Leider ist auch hier keine einfache Antwort möglich, weil es «das» digitale Spiel ja gar nicht gibt. Man muss differenzieren, um welche Plattform es geht, um welches Genre oder auch um welche Zielgruppe. Aus den im Rahmen meiner Dissertation geführten Experteninterviews konnte ich schliessen, dass Frauen zudem verallgemeinert sehr viel mehr Wert auf ästhetische Darstellung als Männer legen. Ausserdem ist wichtig zu betonen, dass Frauen ja offensichtlich auch mit dem bereits bestehenden Portfolio nicht ganz unzufrieden sind, sonst wäre nicht mittlerweile die Hälfte aller Gamer weiblich. 

In der Game-Industrie arbeiten mehr Männer als Frauen. Sollte die Branche proaktiv mehr Frauen einstellen?
Ein klares Ja. Es gibt seit vielen Jahren zahlreiche durch Studien belegte Hinweise darauf, dass diverse Teams produktiver zusammenarbeiten, wirtschaftlich erfolgreicher sind und dabei auch noch mehr Spass haben, wenn auch Frauen dabei sind. Gegenwärtig haben wir global rund 20 bis 25 Prozent weibliche Beschäftigte in der Spielindustrie. Demgegenüber stehen rund 50 Prozent weibliche Spieler. Die Unternehmen sind zumindest seit einigen Jahren sehr um weibliche Angestellte bemüht. Und es gibt auch eine kontinuierlich steigende Anzahl an weiblichen Studierenden in der Gameindustrie und in relevanten Ausbildungen und Studiengängen.

Welches war das sexistischste digitale Spiel, das Ihnen bei Ihrer Forschungsarbeit über den Weg gelaufen ist?
Hier muss ich sie enttäuschen. Ich werde keine Namen nennen. Ich denke auch nicht, dass das für die Debatte nützlich ist. Es gibt durchaus Spiele mit durchaus übertriebener sexueller Konnotation. Viel wichtiger finde ich, zum einen zu differenzieren und zu sagen, es gibt durchaus ein Sexismus-Problem in Spielen. Das sollte kontinuierlich thematisiert werden. Und zum anderen gibt es aber auch eine unglaubliche Vielfalt an pädagogisch wertvollen, ästhetisch bemerkenswerten und künstlerisch anspruchsvollen Games.

Wie kamen Sie eigentlich mit dem Medium Videospiel in Berührung? Welches war Ihr erstes Spiel?
Das erste Mal war in der WG, in der ich während meines Studiums gewohnt habe. Das war so um 1998. Damals spielten wir das Kampfspiel «Tekken», das Snowboardspiel «SSX» oder Autorennspiele. Ich bin selbst keine Gamerin. Zwar habe ich während der rund zehn Jahre, in denen ich in der Spieleindustrie gearbeitet habe, immer gespielt, die eigenen Produkte, aber auch die der Konkurrenz und auch alle neuen Veröffentlichungen verfolgt. Aber mittlerweile spiele ich kaum noch. Wenn, dann eher mit meinen Kindern, die jetzt allmählich mit diesem Medium vertraut werden. Klassisch, zunächst erstmal mit Mobile Games.

Super Mario rettet nach all den Jahren immer noch die hilflose Prinzessin im rosa Kleid. Da hat sich das Frauenbild ja gar nicht geändert?
Naja, Super Mario ist eben Super Mario und Princess Peach ist Princess Peach. Das wird wohl auch so bleiben. Aber schauen sie sich weibliche Hauptfiguren wie Faith aus «Mirror’s Edge», Ellie aus «The last of us» oder auch Clementine aus «The Walking Dead» an. Es gibt sie, die vorbildhaften «Sheros» und sie werden vor allem auch immer mehr. Ein aus meiner Sicht erfreulicher Trend.

In Ihrem Sachbuch schreiben Sie, dass Frauen anders spielen. Wie spielen denn Frauen? Gibt es da wirklich Unterschiede?
Es gibt Hinweise auf geschlechtsspezifische Konsumpräferenzen. Frauen spielen eher kollaborativ und Männer eher kompetitiv. Zudem bevorzugen Frauen mobile Plattformen sowie Social- und Mobile-Games oder Casual Games und Männer eher klassische Spielekonsolen. Wichtig dabei ist zu betonen, dass es weder «den Gamer» noch «die Gamerin» gib. Genauso unterscheiden sich auch die Spielpräferenzen von jungen, von denen von alten. Dennoch finde ich es wichtig zumindest zu diskutieren, ob und welche geschlechtsspezifischen Konsumpräferenzen existieren. Hier wünschte ich mir noch mehr Forschung.

Welche brennende Frage oder Fragen konnten Sie bei Ihrer Arbeit nicht beantworten?
Einerseits die Frage, wieso nach wie vor so wenige Frauen in den Unternehmen sind, obwohl in den Ausbildungsgängen halbwegs ausgewogene Verhältnisse herrschen. Und zum anderen die Frage, wie die Frauen in der Branche sich tatsächlich fühlen. Ich kenne einige Arbeiten, die versucht haben, dies zu erforschen, bin aber der Überzeugung, dass eine repräsentative Erhebung hierzu hilfreich wäre. Ich wüsste tatsächlich sehr gern, ob die Dinge, die man im akademischen Diskurs bespricht, von den Frauen in der Branche tatsächlich auch so empfunden werden.

Was machen sie aktuell? Befassen Sie sich immer noch mit «Gender und Gaming» oder ist das Thema für Sie vorläufig abgeschlossen?
Einerseits habe ich mit meiner Arbeit als Hochschuldozentin sowie Unternehmensberaterin durchaus gut zu tun. Andererseits hat mich mein Promotionsthema so gefesselt, dass ich es weiter verfolgen werde, auch im Rahmen von Forschung und Publikationen. Ich beschäftige mich allgemein intensiver mit Frauen in der Technik-Branche.                 

Interview: Simon Dick    


Das Buch: Sabine Hahn, «Gender und Gaming: Frauen im Fokus der Games-Industrie».

Info: Transcript-Verlag, ISBN 978-3-8376-3920-9, Fr. 41.90.

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