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Informatik

«Es geistern falsche Vorstellungen herum»

Professoren schreiben Vorträge und halten Vorlesungen. Kai Brünnler, der an der Berner Fachhochschule lehrt, war von einem seiner Themen so angetan, dass er ein Buch dazu verfasst hat. «Blockchain kurz & gut» zeigt auf, wofür die Technologie wirklich gut ist.

Kai Brünnler beschreibt genau, womit er sich befasst, aktuell in einem Buch. Bild: zvg
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Janosch Szabo

Angefangen hat alles mit einem Artikel in der Computerzeitschrift «c’t». Dort las Kai Brünnler fachlich fundiert über Bitcoin und andere Kryptowährungen, und war fasziniert. Dann vertiefte er sich in die Materie, las mit seinem Wissen als theoretischer Informatiker das White Paper, das der geschrieben hat, der Bitcoin programmierte, und sah sich in seinem ersten Eindruck bestätigt: «Es ist wirklich etwas Revolutionäres. Noch ist zwar nicht klar, wie Kryptowährungen unser Leben verändern werden, noch haben sie sich nicht wirklich durchgesetzt. Aber die Transformation hat vom Rand der Gesellschaft her begonnen, und sie wird vermutlich tiefgreifend sein. Man stösst jetzt in Neuland vor. Das ist spannend.»

 

Noch unsichere Tendenzen
Kein Zweifel: Kai Brünnler, Professor für Informatik und seit drei Jahren Dozent und Forschender an der Berner Fachhochschule in Biel, ist tief eingetaucht. Er, der dort am Research Institute for Security in the Information Society (RISIS) in der Gruppe E-Voting mit kryptographischen Techniken zu tun hat, weiss, wovon er spricht, er bewegt sich gewandt im Neuland. Dennoch drückt er sich immer wieder auch vorsichtig aus, mag sich in Sachen Tendenzen nicht auf die Äste rauslassen, zu unsicher sei noch, wohin die Entwicklung gehe. Dass wir demnächst unseren Kaffee mit Bitcoins bezahlen werden, glaubt er eher nicht; dass die Kryptowährung nur ein Zahlungsmittel für die vom Bankensystem Ausgeschlossenen bleibt, wie zum Beispiel Wikileaks, oder in den dunklen Ecken des Internets verharrt, wo sie bereits im Drogen- und Waffenhandel floriert, aber auch nicht.

 

Problem mit den Lesern lösen
Trotz all dieser Ungewissheit hat Brünnler nun ein Buch in klaren Worten geschrieben, und zwar über die Technologie, die eng mit Bitcoin verbunden ist, ja, die dessen wesentliche Zutat ist: «Blockchain kurz & gut» heisst es und erscheint diesen September im internationalen Computerbuchverlag O’Reilly mit Sitz in Kalifornien.

Der Begriff Blockchain, so der Autor, sei momentan in aller Munde, ins öffentliche Interesse gerückt durch die Kryptowährungen, die darauf basieren, allen voran Bitcoin. «Aber der Hype läuft etwas aus dem Ruder», so Brünnler: «Blockchain wird, ohne richtig verstanden zu werden, als Mittel für dies und das interpretiert. Es geistern viele unrealistische Vorstellungen davon herum. Die technischen Grundlagen verstehen nur Wenige.» Daher auch sein Antrieb für das «Büchlein», wie er es nennt, eines, das nicht wie so viele andere Publikationen erkläre, wie die Blockchain funktioniert, sondern sie einen Schritt für Schritt entdecken lasse und so aufzeige, wozu sie wirklich gut ist. «Ich löse zusammen mit den Lesern im Verlauf des Buches das Problem. Das ist das wirklich Neue im Vergleich zu anderen Büchern zum Thema.»

 

Betrugsmöglichkeiten als Problem
Apropos Problem – das ist es genau, was Brünnler vermitteln möchte: Die Besonderheit der Blockchain als Lösung eines Problems, an welchem man sich 30 Jahre lang die Zähne ausgebissen hatte und immer wieder gescheitert war, «eines wirklich schwierigen Problems also». Gemeint ist das sogenannte Double-Spending-Problem, zu Deutsch Doppelausgabe bzw. doppelte Ausgabe. Dabei versucht ein User, dieselben Bitcoins an verschiedene Empfänger parallel zu verteilen, und also so zu betrügen. Das ist bei einem System, bei der es keine Bank gibt, sondern jeder einzelne Teilnehmer des Netzwerks deren Funktionen übernimmt, grundsätzlich denkbar. Ohne zentrale Kontrolle sind Manipulationen möglich. Die Blockchain allerdings ist nun jenes revolutionäre Element, welches Sicherheit gegen bestimmte Angriffe gewährleistet. Kurz und bündig zu erklären, wie sie die skizzierte Doppelausgabe zu verhindern weiss, ist aber selbst für Brünnler eine Herausforderung. Er überlegt und sagt dann: «Die Blockchain ist im Prinzip ein Log, ein Protokoll über alle Transaktionen. Mittels einer Art Lotterie entscheidet sie bei einem Double Spending, welche Transaktion als erste geloggt wird und somit gilt, und welche verworfen wird, weil schon eine vom gleichen Konto registriert wurde.» Das alles sei super spannend, müsse aber vom Normalbürger, der Kryptowährungen zu nutzen gedenkt, ob als Zahlungs- oder Wertaufbewahrungsmittel, nicht unbedingt verstanden werden. Der Bitcoin-Client beispielsweise sehe praktisch aus wie ein E-Banking-Portal und sei auch so einfach zu bedienen.

Die Studenten allerdings, die an der BFH mit Kai Brünnler zu tun haben, werden ordentlich gefordert. Ähnlich dem Aufbau des Buches bekommen sie im Unterricht nicht einfach etwas pfannenfertig aufgetischt, sondern viel mehr ein Problem vorgesetzt, an dem sie zunächst einmal alleine knobeln sollen. «Ich lasse sie schwimmen und wirklich suchen, und manchmal führe ich sie auch extra ein bisschen in die Irre», sagt Brünnler: «Man kann die Lösung erst dann würdigen, wenn man sie selbst erarbeitet hat.» Die Vorlesung, von der die Rede ist, heisst «Cryptocurrencies and Smart Contracts». Sie ist nebst den Grundlagenvorlesungen «Datenbanken», «Web-Programming» und «IT-Sicherheit», die er auch noch hält, eindeutig Brünnlers Steckenpferd. Es mache ihm grossen Spass, zu lehren, didaktisch aufzuarbeiten, weiterzuvermitteln, worin er selbst so tief eingetaucht sei, erzählt er: «Ich bin motiviert, und die Studenten sind auch motiviert.»

Ein Jahr lang hat er an dieser Vorlesung gearbeitet, der ein Vortrag zum Thema Blockchain und Kryptowährungen vorangegangen war. Und wiederum ein Jahr hat schliesslich die Arbeit am Buch in Anspruch genommen, welches im Prinzip eine Auskopplung aus der Vorlesung sei, so der Autor. «Es gibt da so eine Synergie. Das ist das Schöne.»

 

Kein Allheilmittel
Die Arbeit am Buch war aber manchmal auch Knochenarbeit. Die ersten beiden Kapitel, wo es um «Grundlagen» und «Die Blockchain» geht, seien zwar schnell klar gewesen, das Kapitel «Anwendungen», als Folge daraus, aber umso schwieriger aufzuarbeiten, weil es da erstens um Vorhersagen ging – «ich schreibe lieber über die Gegenwart» – und zweitens es halt gar nicht so viele Anwendungsgebiete gibt für die Blockchain: «Im Prinzip kann man sagen: Wenn ich das Double-Spending-Problem nicht habe, brauche ich die Blockchain nicht.» Aber eben, die Technologie werde im aktuellen Hype «als eine Art Allheilmittel für IT-Sicherheitsprobleme gesehen – was sie jedoch nicht ist.»

Mit diesen Vorstellungen, hofft Brünnler nun mit seiner Publikation aufzuräumen. Geschrieben habe er so populärwissenschaftlich wie möglich. Dennoch setze die Lektüre ein gewisses Interesse an Informatik voraus, und man müsse zum Beispiel wissen, was ein Protokoll ist. Zielpublikum sind denn auch Softwareentwickler, IT-Entscheider, Fachjournalisten und nicht zuletzt Studenten, wie jene, die er unterrichtet. Der Kreis schliesst sich damit. Kai Brünnler sagt: «Es fühlt sich gut an, dass das Buch fertig ist. Ich hoffe natürlich, dass es möglichst viele lesen und vor allem verstehen.»

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