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Essstörung

Nahrungsergänzungsmittel statt Anabolika?

Rote Pille, grüne Pille, dazu ein paar spezielle Drinks: Wenn Nahrungsergänzungsmittel zur Sucht werden, sind neuerdings Männer wie Frauen gleichermassen betroffen. Das Streben nach der Ernährungs-Perfektion kann unangenehme Folgen haben.

Der Missbrauch von Nahrungsmittelergänzungen bei Männern nimmt zu: Mitunter werden mit Pillen komplette Mahlzeiten ersetzt, besagt eine neue Studie aus den USA. Bild: pixabay.com

von Angelika Lenssen

Vitamine, Mineralstoffe, Enzyme, Aminosäuren: ein paar Pillen hier, ein paar Pülverchen da - alles, um fitter zu sein, besser auszusehen und dem aktuell gültigen Schönheitsideal zu entsprechen. All diese Mittelchen waren bisher eher ein «Frauending». Frauen scheuen sich nicht, zu Vitamin-Pillen und Co. zu greifen, um schlanker, jünger, glatter auszusehen und rundum die Uhr die von ihnen erwartete Leistung abrufen zu können. Vitamine und Mineralstoffe sind schliesslich gesund, so die landläufige Meinung.

Doch laut einer neuen Studie stehen inzwischen die Männer den Frauen in nichts nach. Bisher griffen Männer eher zu verbotenen Mitteln wie Anabolika, um ihre körperliche Leistungsfähigkeit beim Training maximal aufzubauen. Doch Wissenschaftler haben nun festgestellt, dass sich das Blatt gewendet hat. Männer greifen zunehmend und im Übermass zu legalen und frei verkäuflichen Nahrungsergänzungsmitteln. Experten sind inzwischen besorgt und sehen es als eine drohende Essstörung bei Männern an.

Überall erhältlich 

«Diese Produkte sind in den USA inzwischen allgegenwärtig in den Vorratsschränken junger Männer und können auch überall erworben werden - vom Supermarkt bis zur Universitätsbuchhandlung», erklärt Richard Achiro, Psychologe an der Alliant International University von Los Angeles. Er präsentierte die Ergebnisse bei der jährlichen Zusammenkunft der American Psychological Association. «Die Marketingstrategien, die massgeschneidert auf die Unsicherheiten mit der Männlichkeit passen, lassen die Nahrungsergänzungsmittel als perfekte Lösung erscheinen. Sie geben das nötige Selbstbewusstsein, um sich in seinem Körper wohlzufühlen.»

Steigender Konsun ist Riskant

Richard Achiro und Co-Autor Peter Theodore stellten bei ihren Untersuchungen fest, dass bei mehr als 40 Prozent der Teilnehmer der Nahrungsergänzungsmittel-Gebrauch mit der Zeit gestiegen war. 22 Prozent ersetzten sogar regelmässig komplette Mahlzeiten durch Nahrungsergänzungen, obwohl diese dafür nicht geeignet sind.

Höchst alarmierend fand Achiro auch die Tatsache, dass 29 Prozent der Teilnehmer schon selbst besorgt waren über den eigenen Umgang mit Vitamin-Pillen und Mineralstoff-Tabletten. Acht Prozent der Probanden hatten bereits von ihrem Hausarzt die Empfehlung erhalten, die Nahrungsergänzungsmittel wegen vorhandener oder möglicher schädlicher Nebenwirkungen zu reduzieren oder ganz aufzugeben. Und schliesslich waren drei Prozent der Studienteilnehmer schon mit Leber- oder Nierenproblemen durch Nahrungsergänzungsmittel in der Klinik gelandet. Laut einer Skala, die von Achiro und Theodore entwickelt wurde, um die riskante Anwendung von Nahrungsergänzungen aufzudecken, stimmen die Symptome sehr stark mit den anerkannten Symptomen für Essstörungen überein.

Missbrauch als Essstörung

«Die kritischste Auswirkung unserer Ergebnisse ist, dass fahrlässiger und exzessiver Gebrauch von Nahrungsergänzungsmitteln in die Skala der Essstörungen aufgenommen werden muss, denn es betrifft viele Männer», sagt Achiro. Was diesen gefährlichen Missbrauch legaler Trainings-Mittel antreibt, meint Achiro, scheint eine Kombination verschiedener Faktoren zu sein, inklusive Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, niedriger Selbstachtung und Problemen mit der Geschlechterrolle, die der Männlichkeit in unserer modernen Kultur enge Grenzen setzt.

Streben nach Perfektion 

«Körperbewusste Männer, die aufgrund psychologischer Faktoren versuchen, physische oder maskuline Perfektion zu erreichen, werden Opfer solcher Nahrungsergänzungen und Medikamente. Sie konsumieren sie derart übermässig, dass es gemäss unserer Studie eine Art von Essstörung darstellt», erklärt Achiro. «Weil legale Nahrungsergänzungen weltweit immer verbreiteter werden, ist es umso wichtiger, die psychologischen Ursachen und Wirkungen zu begutachten und den übermässigen Gebrauch dieser Mittel zu behandeln.»

Rascher Muskelaufbau

Whey-Protein oder Molkeprotein ist ein Bestandteil des Milcheiweisses und ein Nebenprodukt bei der Käseherstellung. Milcheiweiss besteht zu etwa 20 Prozent aus Whey-Protein und zu etwa 80 Prozent aus Kasein. Whey-Proteine zählen vor allem im Bodybuildung, Kraftsport und Fitnessbereich zu den wichtigsten Eiweisslieferanten. Es wird besonders schnell vom Körper aufgenommen und unterstützt einen raschen Muskelaufbau. Wird während der Anwendung von Whey-Protein nicht genügend Flüssigkeit zugeführt, werden die Nieren belastet und es kann auf Dauer zu Nierenschäden kommen.

Durchfall und Erbrechen 

Kreatin ist eigentlich eine körpereigene Säure, die hauptsächlich in den Muskelzellen vorkommt. Sie besteht aus den drei Aminosäuren Arginin, Glycin und Methionin. Kreatin wird als Nahrungsergänzungsmittel in Form von Pulver, Tabletten oder Riegeln verkauft und soll ebenfalls den Muskelaufbau anregen und die Leistungsfähigkeit steigern. Wissenschaftlich eindeutige Beweise fehlen allerdings für diese Wirkung. Unerwünschte Nebenwirkungen können Verdauungsprobleme wie Durchfall, Übelkeit und Erbrechen sein, aber auch Mundgeruch, Muskelkrämpfe und Wassereinlagerungen.

Genügend trinken

Die Eiweissverbindung L-Carnitin wird aus den beiden Aminosäuren Methionin und Lysin gebildet, die vor allem mit Lamm- oder Schweinefleisch in den Körper gelangen. L-Carnitin soll das Muskelwachstum fördern und die Leistungsdauer erhöhen, was nicht bewiesen ist.

L-Carnitin ist wichtig für den Fettstoffwechsel und kann die Blutfette verbessern. L-Carnitin fördert die Schweissproduktion und eine ausreichende Trinkmenge ist daher unbedingt notwendig. Eine Überdosierung - die bereits bei drei bis vier Gramm täglich beginnt - kann Übelkeit, Erbrechen und Durchfall verursachen. Im Ausland oder übers Internet werden auch Produkte verkauft, die D-Carnitin oder Mischformen enthalten. Diese Mittel stören die Energiegewinnung in der Muskulatur und können zu erheblicher Muskelschwäche führen.

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