Sie sind hier

Abo

Kinder und Erwerbsarbeit

«Fachkräfteinitiative scheint zu kurz zu greifen»

Welche Faktoren entscheiden darüber, ob beide Eltern mit hohen Pensen – über 80 Prozent – arbeiten? Dieser Frage ist Monika Stampfli aus Leubringen in ihrer Masterarbeit nachgegangen – und hat Interessantes herausgefunden.

Auch die Arbeit von Monika Stämpfli macht deutlich: Die Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird nicht so bald abschliessend beantwortet sein. Keystone

Raphael Amstutz

Es scheint ein Thema zu sein, dem nie der Schnauf ausgeht: Wie gelingt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie?

Monika Stampfli, selber Mutter, Betriebsökonomin und auch während ihres Wirtschaftspsychologiestudiums Arbeitnehmerin in einer Führungsposition, hat für ihre Masterarbeit fast 500 Eltern befragt (siehe Zweittext rechts), deren Kinder in einer Kita betreut werden. «Diese Eltern wissen also aus praktischer Erfahrung, was das Ringen um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bedeutet», so Stampfli.

Zu einfache Gleichung

Der Hintergrund ihrer Arbeit: Mittels einer mathematischen Formel lässt sich laut Fachkräfteinitiative des Bundes (siehe Zweittext links) das Verhalten von Müttern mit Kleinkindern im Zusammenhang mit günstigen, in genügender Anzahl vorhandenen Kita-Plätzen und hochprozentiger Arbeitstätigkeit vorhersagen. Ohne auf die Details eingehen zu wollen: Stampfli ist diese Gleichung zu einfach. Denn: Der Aspekt von rationell erklärbaren Verhaltensweisen scheint sich bei Eltern mit Kleinkindern nicht zu bewahrheiten.

Bürgerliches Modell

So hegte Stampfli, aus persönlicher Erfahrung und aus Gesprächen mit Eltern, Zweifel, dass eine genügende Anzahl an günstigen Kitaplätzen sowie Steueranpassungen Motivation genug sind, um Mütter hochprozentig ins Arbeitsleben zu locken. Es bräuchte ihres Erachtens zusätzlich eine Verhaltens- und Einstellungsänderung verschiedener Akteure.

«Das Ziel meiner Arbeit war es, Motive, Wertehaltungen und Einstellungen von Eltern im Zusammenhang mit ihrer Erwerbstätigkeit und der Betreuung ihrer Kinder zu erforschen», so Stampfli. «Ich wollte herausfinden, welche Faktoren mitbestimmend sind, dass beide Eltern hochprozentig einer bezahlten Tätigkeit nachgehen.» Wichtig zu wissen sei, so Stampfli, dass in den Familien in der Schweiz weiterhin das sogenannt modernisierte bürgerliche Modell vorherrscht: Der Vater arbeitet Vollzeit, die Mutter Teilzeit. Nur ein kleiner Teil der Paarhaushalte würde das egalitär-erwerbsbezogene Modell wählen, in dem beide Partner hochprozentig arbeiten und dafür externe Kinderbetreuung in Anspruch nehmen.

Andersherum erwartet

Stampfli formulierte drei Hypothesen – und fand zwei bestätigt und eine nicht.

Erstens und bestätigt: Die Mehrheit der befragten Eltern (fast 75 Prozent) ist nicht bereit, ihr Erwerbspensum zu erhöhen, auch wenn Kitaplätze massiv günstiger würden oder überhaupt genügend Kitaplätze vorhanden wären.

Zweitens und bestätigt: Steuerliche Faktoren werden von befragten Müttern und Vätern kaum bei der Auswahl ihres Erwerbspensums berücksichtigt. Eine Kosten-Nutzen-Analyse wird offenbar nicht erstellt.

Zwei doch sehr interessante Befunde, die man gemeinhin andersherum erwartet hätte. Über die Gründe zu spekulieren, ist bei dieser Stichprobengrösse schwierig, viel entscheidender ist die Frage, welche zusätzlichen Massnahmen es braucht, damit der Wirtschaft die gut ausgebildeten Mütter erhalten bleiben.

Gleiche Grundwerte

Weiter hat Monika Stampfli herausgefunden, dass die Väter eine höhere Bereitschaft als die Mütter verspüren, zu Gunsten der Familie im Beruf zurückzustecken, und dies nicht umgesetzt wird. «Sollte diese Aussage wirklich eine grundlegende Einstellung der Väter sein, könnte hier ein grosser Schritt in die Richtung von egalitären Familienmodellen initiiert werden», erklärt Stampfli.

Drittens und nicht bestätigt: Eltern mit hohen Erwerbspensen scheinen die gleichen Grundwerte zu haben wie Eltern mit kleinen Pensen. Wertetypen wie «Leistung» und «Macht» scheinen für die befragten Eltern nicht wichtiger, wie von Stampfli angenommen, sondern weniger wichtig zu sein als «Humanismus», «Universalität» und «Selbstbestimmung».

Wert der Belohnung

Ein weiterer wichtiger Befund: Fast zwei Drittel der Befragten möchten weder mehr Zeit in die Kinderbetreuung noch in die Erwerbstätigkeit investieren. Sind diese Personen grundsätzlich einfach zufrieden mit ihrer Situation, fragt Stampfli. Wird der Wert der Belohnung einer zusätzlichen Anstrengung, welche mit einem erhöhten Arbeitspensum wahrscheinlich einhergeht, als zu tief angeschaut? Sind diese Personen zu wenig von ihren Fähigkeiten überzeugt, diese Zusatzleistung erbringen zu können? «Diese spannenden Fragen können mit dieser Arbeit leider nicht beantwortet werden», so die Verfasserin. Sie empfiehlt aber den Arbeitgebern, dem Thema der Motivation bzw. Demotivation für erhöhte Erwerbspensen mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Werte besser berücksichtigen

Nach der ausführlichen Beschäftigung mit dem Thema ist für Monika Stampfli klar, dass die Fachkräfteinitiative des Bundes im Zusammenhang mit der gewünschten hochprozentigen Erwerbstätigkeit von Müttern zu kurz zu greifen scheint. «Allein das Schaffen einer genügend hohen Anzahl von bezahlbaren Kitaplätzen oder Tagesstrukturen reicht nicht, damit mehr Eltern ein egalitär-erwerbsbezogenes Familienmodell leben», sagt Stampfli. Im Ansatz der Fachkräfteinitiative würden die Werte und Einstellungen von Eltern mit Kleinkindern zu wenig berücksichtigt. Für Stampfli ist es unabdingbar, dass das Schärfen der Wahrnehmung für die realen Bedürfnisse der zukünftigen, gut ausgebildeten Frauen und Männer sowie die nötigen Einstellungsänderungen bei Politik, Wirtschaft, den Mütter und den Vätern Thema der nächsten Jahre bleiben wird.

Info: Monika Stampfli (1966) ist Betriebsökonomin FH. Zuletzt war sie Geschäftsführerin von Profawo Bern, einer Non-Profit-Organisation im Bereich der familienergänzenden Betreuung. Berufsbegleitendes Studium der Wirtschaftspsychologie an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten. Stampfli ist Mutter zweier erwachsener Söhne und lebt mit ihrer Familie in Leubringen.

* * * * * * * * * * * * * * * * * * * * *

«Gleicher Lohn für gleiche Arbeit»

Wie können die Studienergebnisse konkret genutzt werden? Drei Fragen an die Autorin Monika Stampfli. Bild: zvg

Monika Stampfli, Sie haben gezeigt, dass unter den befragten Eltern immer noch grossmehrheitlich die Meinung vorherrscht, dass die Präsenz der Mutter für die Kinder wichtiger ist als die der Väter. Wie kann diese Einstellung verändert werden?

Monika Stampfli: Die Erkenntnisse aus der Pädagogik, dass für Kinder stabile Bezugspersonen wichtiger sind als das Geschlecht, sollen breit diskutiert werden. Väter scheinen motiviert, mehr Verantwortung in der Betreuung der Kinder zu übernehmen. Es lohnt sich also, die Gründe, weshalb diese Motivation nicht umgesetzt werden kann, zu analysieren. Werden Väter vermehrt in die Betreuungsarbeit eingebunden, könnte dies bewirken, dass Mütter früher und hochprozentiger den Weg ins Erwerbsleben finden.

Die Eltern sind der Meinung, dass derjenige, der das höhere Einkommen erwirtschaftet, auch ein höheres Erwerbspensum eingeht. Dieser Grundsatz wird offenbar kaum über eine Einstellungsänderung verändert werden können. Was wäre Ihrer Meinung nach eine Alternative?

Hier müssen Politik und Wirtschaft weiterhin Lösungen anstreben, dass gleiche Arbeit gleich entlohnt wird. Vor allem in Bezug auf typische Frauenberufe. Erst dann werden Eltern mit Kleinkindern eine reelle Wahl haben, damit beide Eltern ihre berufliche Karriere fortführen können.

Wenn Menschen ihr Elternsein als die sinnvollste Arbeit anschauen, werden sie nur schwerlich zu motivieren sein, in ihrem Job die Stellenprozente zu erhöhen bzw. wieder einzusteigen. Haben Sie einen Tipp für die Arbeitgeber?

Nein. Ich kann die Unternehmen nur ermutigen, sich umzuschauen: Sind Firmen, welche die von den Eltern gelebten Werte berücksichtigen, erfolgreicher in Sachen hochprozentiger Mitarbeiterbindung? Und sie sollen sich fragen: Wie kann die Erwerbswelt gestaltet werden, damit die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bzw. das Ausleben eigener Werte für Unternehmen wie auch für die gesuchten Fachkräfte noch erfolgreicher umgesetzt werden kann? Interview: raz

 

Nachrichten zu Fokus »