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Meeresforschung

Forscherfamilie 
sticht wieder in See

Auf der Nachbarinsel Senja besucht Fernweh-Autor Stefan Leimer eine ganz besondere Familie. Die Schwörers erkunden gemeinsam mit ihren Kindern die Weltmeere – und leisten dabei einen Beitrag für die Klimaforschung.

Familie Schwörer unterrichtet ihre Kinder selbst: Die zwei älteren Kinder gehen in der Zwischenzeit in der Schweiz zur Schule. Bild: Stefan Leimer
  • Dossier

Stefan Leimer

W ir haben die Autotüren noch nicht geschlossen, da setzt auch schon das dumpfe Vibrieren der grossen Schiffsmotoren ein, und die Fähre schiebt sich schwerfällig aus dem Hafen. Die Überfahrt von Andenes auf die Nachbarinsel Senja versüssen wir uns mit einer Waffel und zwei Scheiben Brunost, dem typischen norwegischen Käse. Genau genommen ist Brunost kein Käse, denn er wird aus der Molke gemacht, die bei der eigentlichen Käseherstellung als Nebenprodukt anfällt. Die Molke wird eingekocht und dabei karamellisiert der enthaltene Milchzucker. Je länger die Molke kocht, desto stärker wird der Karamellgeschmack und desto dunkler wird der Käse.

Knapp zwei Stunden später erreichen wir die kleine Ortschaft Gryllefjord und rollen durch den weit geöffneten Schlund der Fähre wieder an Land. Senja, so sagt man, ist ein Abbild von Norwegen konzentriert auf eine Insel. Im Osten der Insel blühende Wiesen, die bis ans Meer grenzen, und dazwischen die typisch roten Häuser, die einen kontrastreichen Farbtupfer setzen. Den Westen dominieren Berge, die bis zu 1000 Meter tief direkt ins Meer abfallen. Und immer wieder Strände, die mit ihrem weissen Sand und dem türkisblauen Wasser auf den ersten Blick wenig mit der Arktis zu tun haben und eher Assoziationen mit der Karibik wecken.

Als Familie auf den Weltmeeren

Unser Ziel aber sind die Lyngen-Alpen, nordöstlich von Tromsø, wo wir Dario und Sabine Schwörer auf ihrem Segelboot besuchen wollen. Seit über 20 Jahren ist die Familie Schwörer auf den Weltmeeren unterwegs. Mit ihrem Engagement für die Umwelt und ihren spektakulären Top-to-Top-Global-Climate-Expeditionen haben sie sich weltweit einen Namen gemacht. Ihren sechs Kindern, alle in verschiedenen Ländern geboren, haben sie eine Welt gezeigt, wie sie unsereins nur aus dem Fernsehen kennt. Obwohl die Vorbereitungen für ihre nächste Forschungsreise auf Hochtouren laufen, sind wir bei ihnen auf dem Boot zum Abendessen eingeladen. Innert kürzester Zeit sind wir in das quirlige Familienleben integriert.

In einer Woche heisst es «Leinen los» für das Schiff Pachamama. Die langen norwegischen Wintermonate haben Sabine und Dario genutzt, um ihre nächste Expedition «Save the Arctic» vorzubereiten. Die klimaneutrale Reise wird sie nach Spitzbergen, den 2277 Meter hohen Beerenberg-Vulkan auf Jan Mayen (Grönland) und schliesslich hinunter nach Island führen. In Zusammenarbeit mit namhaften Universitäten aus der Schweiz, Österreich und Norwegen soll die Belastung der Arktis durch Mikroplastik analysiert werden. Mit an Bord sind auch die beiden jungen Forscher Max Kortmann und Sebastian Pohl von der Universität Innsbruck.

Vom Zweiergespann zum KMU

Ohne starkes Logistikteam ist ein solches Unternehmen unter diesen extremen Bedingungen nicht denkbar. Die Besatzung kann sich dabei auf Sabine verlassen, die seit Jahren bei den Exkursionen die Zügel für die Logistik in der Hand hat. Was vor 21 Jahren als trautes Zweierteam begann, ist heute vergleichbar mit einem KMU. Mit romantischen Ferien auf dem Segelboot hat das nichts zu tun. In den kommenden Wochen auf See müssen die Besatzung (fünf Erwachsene und vier Kinder) verpflegt, Unterhaltsarbeiten am Boot erledigt und Forschungsarbeiten ausgeführt werden. Der Arbeitstag beginnt früh und endet in der Regel erst spät in der Nacht. Kehrt endlich Ruhe auf dem Schiff ein, müssen noch E-Mails beantwortet und die Social-Media-Kanäle mit Neuigkeiten gefüttert werden. Die engen Raumverhältnisse und die fehlende Intimsphäre machen das Zusammenleben nicht einfacher.

Jetzt, ein paar Tage vor der Abreise, hat Sabine das ganze Boot auf den Kopf gestellt und aussortiert, was nicht benötigt wird. Bei manchen Dingen ist es aber so, dass man sie zwar dabeihaben muss, jedoch hofft, sie nie brauchen zu müssen. Wie beispielsweise beim Notfall-Operationsbesteck. Sabine ist zwar gelernte Krankenschwester, aber bei einem Notfall wäre sie auf die Ferndiagnose und Unterstützung eines Arztes via Satellitentelefon angewiesen.

Trotz ihrer jahrelangen Erfahrung auf See arbeitet Sabine auch heute noch mit Checklisten. Da es aus Platzgründen keinen Drucker an Bord gibt, müssen die Listen jeweils neu von Hand geschrieben werden. Penibel wird abgestrichen, was bereits an Bord ist und was noch besorgt werden muss. Als ich sie ein paar Tage später telefonisch zu erreichen versuche, bittet sie mich um einen anderen Zeitpunkt für das Gespräch. Zu viele Pendenzen sind noch offen. Damit alles rechtzeitig erledigt wird, gibt es zusätzlich einen Ämtliplan, in den auch die Kinder 
aktiv eingebunden sind. So lernen sie schon früh, Verantwortung zu übernehmen.

Kiloweise Essen und viel Wasser

Zeit für unser Telefon finden wir schliesslich am Tag ihrer Abreise um 7 Uhr in der Früh. Inzwischen hat Sabine 30 Kilogramm Pasta, 27 Kilo Reis, 25 Kilo Müsli, 10 Kilo Mehl, 6 Kilo Schoggi und vieles mehr unter Deck verstaut, wo alles seinen vorbestimmten Platz findet. Um den Vitamin-C-Bedarf abzudecken, werden mehrere Chabisköpfe in Zeitung eingewickelt mitgenommen. Regelmässig mit etwas Wasser besprenkelt, ist der Kohl so gut haltbar.

Insgesamt 1500 Liter Frischwasser sind an Bord. Trinken darf jeder, so viel er will. Ansonsten ist der Wasserverbrauch aber streng limitiert. Katzenwäsche ersetzt die tägliche Dusche, und abgewaschen wird mit Salzwasser. Hier in hohen Norden ist die Situation allerdings nicht ganz so dramatisch. Abgesehen davon, dass die Pachamama eine Entsalzungsanlage an Bord hat und das Regenwasser aufgefangen werden kann, besteht immer wieder die Möglichkeit, an Land zu gehen und die Süsswasservorräte an einem der klaren Bäche aufzufüllen. Die Landgänge werden auch dafür genützt, grössere Mengen Brot auf dem offenen Feuer zuzubereiten.

Tränen zum Abschied

Neben ihren Alltagsaufgaben ist Sabine für eine Testreihe mit E-DNA verantwortlich. E-DNA steht dabei für Environmental DNA (Deutsch: Umwelt-DNA), den Lebewesen permanent in Form von Schleim, Schuppen, Kot oder Zellresten hinterlassen. Diese 
E-DNA kann aus einer Umweltprobe, zum Beispiel. Wasser isoliert werden, um so Rückschlüsse auf dort vorkommende Organismen ziehen. Indem Sabine während jeweils einer halben Stunde ein feines Netz durch das Meer zieht, werden dem Wasser E-DNA-Proben entnommen. Insgesamt 45 Büchsen müssen so befüllt und hermetisch verschlossen werden. Damit es zu keiner Verunreinigung durch menschliche DNA kommt, ist eine sterile Arbeit zwingend erforderlich. Hier kommt Sabine ihre Ausbildung als Pflegefachfrau entgegen.

Nachdem die Familie Schwörer ein halbes Jahr im Hafen von Lyngseidet verbracht hat, fällt der Abschied schwer. In den vergangenen Monaten hat die Familie am Fusse der Lyngenalpen viele nette Menschen kennengelernt, Freundschaften geschlossen und tatkräftige Unterstützung erfahren. Ziehen Sabine, Dario und ihre Kinder weiter, haben sie seit Jahren das gleiche Ritual. Während ihr Boot aus dem Hafen gleitet, läuft Musik aus dem Musical «Die Schatzinsel». Dass dabei auch dieses Mal wieder Tränen fliessen werden, gehört zum Abschied dazu.

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