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Psychologie

Fortwährende Bestrafung

Eine Thailänderin wird nach einer mehrjährigen Strafe wegen Drogendelikten entlassen. Die Frau kämpft sich zurück, sucht ihren Platz. Doch dann kommt der Entscheid: Sie muss die Schweiz verlassen. Hier ihre Geschichte aus der Sicht ihrer Psychologin.

Symbolbild: Pixabay

Regula Gilg

Akima* wächst in Thailand in ländlichen Verhältnissen als zweitältestes von mehreren Geschwistern auf. Der Vater ist Handwerker im nahe gelegenen buddhistischen Tempelbezirk. Er verstirbt jung an den infektiösen Folgen von Sterilisation nach der Geburt des dritten Kindes

Schon als Kind hilft Akima der Mutter im Gemüse- und Reisanbau. Die Familie lebt vom Verkauf auf dem Markt. Nach der Schulzeit lernt Akima das Handwerk des Vergoldens von Bildrahmen und Skulpturen. Mit der jüngeren Schwester findet sie in Bangkok Arbeit in einer Fabrik der Goldverarbeitung. Sie lebt mit der Schwester und anderen Arbeiterinnen zusammen auf engstem Raum in Bangkok und schickt der Familie einen Teil ihres Verdienstes.

Auf Phuket lernt sie einen Schweizer Touristen kennen, zieht mit ihm in die Schweiz und heiratet. Der Mann ist Alkoholiker, die Beziehung geht in Brüche. Es folgt eine weitere Beziehung, daraus entsteht ein gemeinsamer Sohn. Der Partner verlässt sie. Akima gerät in Drogenkreise, wird abhängig und verstrickt sich in Drogenhandel. Sie wird zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.

Nach ihrer Entlassung wird sie von der Bewährungshilfe betreut. Sie ist zwar seit Jahren abstinent, hat aber massive Schlafprobleme und leidet an Depressionen und Ängsten. Ihr Arzt überweist sie zur Psychotherapie.

 

Die schwierige Rückkehr

Die erste Zeit ausserhalb der Anstalten ist hart. Aikima lebt in einem kleinen Studio. Sie wird auch vom Sozialdienst betreut, mit der Auflage, sich um Arbeit zu bemühen. Aber sie ist überfordert, sie spricht trotz der vielen Jahre in der Schweiz nur wenig Deutsch.

In den Anstalten hat sie in der Wäscherei gearbeitet, mit einem strukturierten Alltag und geregelten Arbeitszeiten, immer in Kontakt mit Menschen. Jetzt ist Aikima auf sich gestellt. Sie leidet an den Folgen der Drogenkrankheit (Schlafprobleme, Kopfschmerzen und Konzentrationsschwierigkeiten) und hat auch Mühe, sich zeitlich und räumlich zu orientieren.

In der Therapie geht es zuerst vor allem um Alltagsbewältigung. Sie lernt, eine Agenda zu führen und sich in der Stadt zu Fuss und mit öffentlichen Verkehr frei zu bewegen. Oft kämpft sie gegen lähmende depressive Zustände und fühlt sich erinnert an ihre Verlassenheit im Gefängnis. Sie vermisste ihre Familie, ihre Mutter, ihren Sohn. Die Zeit war wie aufgehoben. In der Untersuchungshaft bekam sie von einem Betreuer Stifte und Papier zum Zeichnen. Dabei entdeckte sie, dass Zeichnen ihr half, ihre Einsamkeit etwas zu vergessen. Im Zeichnen befreite sie sich für Momente aus der lähmenden Passivität.

Die Gefängnisstrafe war verbunden mit der Auflage, nach Verbüssung der Strafe das Land zu verlassen. Mit Hilfe einer Beschwerde konnte die Ausweisung aufgeschoben werden, wenn es ihr gelinge, sich in der Schweiz zu integrieren.

Voll guten Willens wollte sie nun ein neues Leben beginnen, abstinent bleiben, Arbeit finden und ihrem Sohn nach der jahrelangen Trennung eine gute Mutter sein.

Doch sie litt unter Einsamkeit und der Ungewissheit ihrer Zukunft. Ihre Kontakte waren begrenzt auf den Sohn, eine treue Kollegin und einige Menschen im sozialen Bereich. Die Arbeitssuche war belastend, ihre Arbeitslosigkeit lähmend. Ein Lichtblick in ihrem Alltag war die Nähmaschine. Ihre Wohnungsbegleiterin, eine engagierte Helferin, hatte ihr die Anschaffung einer solchen Maschine ermöglicht. Während ihrer Strafverbüssung hatte Aikima das Nähen gelernt und sich bald zur geschickten und kreativen Näherin entwickelt. Sie war für Dekorationen für Festtage gefragt, auch für Kleiderabänderungen der Kolleginnen. Für den öffentlichen Basar der Anstalten konnte sie Decken und Kissen anfertigen – mit sichtlichem Erfolg.

Zu Hause in ihrem kleinen Studio richtet sie sich eine Nähecke ein, in der sie für ihren Sohn und sich selber Kleider nähen und abändern konnte. Allmählich intensivierte sich der Kontakt mit ihrem Sohn. Und der Vater unterstützte den vermehrten Kontakt des Sohnes zu seiner Mutter, so dass dieser immer öfter mit ihr zusammen war und regelmässig zu ihr zum Essen und Übernachten kam. Aikima besuchte einen Deutschkurs und stieg in ein Projekt zur Arbeitsintegration ein: Anlass zu Hoffnung in der Arbeitswelt Fuss zu fassen.

 

Der negative Gerichtsentscheid

Dann kam der Entscheid des Gerichts, dass die Aufenthaltsbewilligung nicht verlängert werde und Aikima die Schweiz definitiv zu verlassen habe. Das traf Aikima überraschend und hart.

Sie reagierte mit Empörung, Wut und Unverständnis, empfand es wie eine weitergehende Bestrafung, nachdem sie doch bereits eine mehrjährige Strafe verbüsst hatte. In dieser Zeit erlebte Aikima einen depressiven Rückschlag. Die Therapeutin ermutigte sie, wieder zu zeichnen, das hatte ihr doch früher schon geholfen. In jener Zeit entstand die Zeichnung «Aufbruch in eine ungewisse Zukunft».

Die Rückkehr konnte etwas hinausgezögert werden. Aikima setzte sich damit auseinander, nahm Kontakt auf mit ihrer Familie und entschloss sich, im Tempelbezirk, wo einst ihr Vater gearbeitet hatte, um Aufnahme und Arbeit zu ersuchen. Eine Erinnerung tauchte auf, wie ihr Vater sie sie einst auf den Schultern getragen und zum Tempel geführt hatte.

Es fand ein Gespräch mit dem Sohn zusammen statt. Mutter und Sohn wirkten ernst und gefasst. Der Sohn wünschte sich für seine Mutter, dass es ihr bei ihrer Familie gut gehe und dass sie sich in ihrem Lande freier fühle. Er stellte sich vor, mit ihr über Whatsapp in Kontakt zu bleiben und regelmässig mit ihr Ferien in Thailand zu verbringen. Und Aikima wünschte sich für ihren Sohn, dass er in der Schweiz seine Schulzeit erfolgreich beenden und eine gute Ausbildung machen könne und dass ihre wiedergefundene Beziehung fortbestehe.

Doch es bleiben Fragen: Wozu die Bemühungen um Integration in der Schweiz? Was erwartet die junge Frau, die seit Jahren keine Drogen mehr nimmt, aber psychisch labil ist, in ihrer Heimat? Thailand ist zwar ein Rechtsstaat, verhängt aber extrem harte Strafen bei Drogendelikten.

* Name geändert.

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