Sie sind hier

Abo

Holzbautechnik

Grenzerfahrungen sind überall möglich

Architekturstudierende der Berner Fachhochschule haben für den Schweizer Beitrag der Architekturbiennale Venedig einen mobilen Versammlungsraum entworfen.

Bühne, Workshopraum und Veranstaltungsplatz: Das mobile Forum der Bachelor-Studentinnen und -Studenten Architektur. Bild: zvg

Daniela Deck

Das Projekt «Orae, experiences on the border» ist der Schweizer Beitrag an der Architekturbiennale in Venedig. «Orae» ist lateinisch für Grenzen. Ein Projektteam um die Genfer Architektin Vanessa Lacaille und den Architekten Mounir Ayoub hat zur Gestaltung des Schweizer Pavillons im Rahmen von zwei Touren an 22 Orten entlang der Landesgrenze mit Bewohnerinnen und Bewohnern gesprochen. Aus dem Bezug der Menschen, ihrer Kultur und Geschichte zum Lebensraum, oder «Territorium», wie es die Architekten nennen, ist eine Collage aus Ton, Bild und Relief entstanden. Diese wird nun bis im Herbst in Venedig gezeigt.

Um die gesammelten Eindrücke der ersten Tour (Ende 2019) im Rahmen der zweiten (März 2021) zu vertiefen, haben 15 angehende Architektinnen und Architekten der Berner Fachhochschule BFH ein mobiles Forum entworfen. 13 Partner aus der Wirtschaft haben das Projekt mit heimischem Holz, Membranen und Verbindungsmittel sowie mit ihrem Fachwissen unterstützt.

«Das ganze Projekt für die Architekturbiennale ist iterativ verlaufen. Vieles hat sich erst konkretisiert, als wir mit der Arbeit begonnen hatten. Der Einbruch der Pandemie kurz vor der Halbzeit hat der Sache eine zusätzliche Bedeutung gegeben», sagt der Projektleiter vonseiten der BFH, Jürg Bührer. Der Architekt und Holzbautechniker ist im Departement Architektur, Holz und Bau AHB als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig.

Stabiler Stand auf jedem Boden

Die Vorbereitung auf die Biennale (22. Mai – 21. November 2021) gestaltete sich so dynamisch, dass erst der Einsatz der Studierenden Anfang letztes Jahr die Idee brachte, die Auskunftspersonen der Grenzregionen beim zweiten Mal mit einem mobilen Forum zu besuchen, um die Eindrücke zu vertiefen und dazu den vielseitig einsetzbaren und (bei gutem Wetter) rundum offenen Pavillon auf Rädern zu gestalten. Dank Stützen steht das Forum auf unbefestigtem Boden ebenso stabil und sicher wie auf einem Dorfplatz oder Messegelände.

Die befragten Menschen leben und arbeiten in völlig unterschiedlichem Kontext. Es waren unter anderen Grenzgängerinnen und Grenzgänger, die täglich zur Arbeit pendeln, Geflüchtete in Chiasso, Mönche auf dem Grossen St. Bernhard oder Fischer auf dem Genfersee.

Was die räumliche Wahrnehmung der Grenze angeht, so empfindet ein Fischer auf dem Genfersee die Schweizer Landesgrenze völlig anders als etwa eine syrische Familie. Bei der Arbeit auf dem See verschwimmt die Landesgrenze, buchstäblich. Was auf der Landkarte nur ein Strich ist, wird hier zu einer riesigen Fläche.

Aus der traumatischen Erfahrung der Flucht heraus formulierte die Flüchtlingsfamilie den Eindruck der schier endlosen Schranke. Für sie sei alles zwischen dem Startpunkt in Syrien und Chiasso bedrohlicher Grenzraum, erklärt Bührer. Die Mönche auf dem Berg hingegen sehen sich in ihrem geregelten Tagesablauf hauptsächlich mit Grenzerfahrungen des Geistes konfrontiert. Ihnen sind Erholungssuchende aller Länder und Religionen willkommen.

Sie alle haben in Bild und Ton unterschiedliche Wahrnehmungen in die multimediale Installation im Schweizer Pavillon eingebracht. «Nebst dem Thema unserer Landesgrenze war für mich besonders eindrücklich, wie durch die Gespräche die Hemmschwellen zwischen Sprach- und Kulturbarrieren verschwanden,» sagt Bührer. Auch das ist eine Grenzerfahrung.

Modelle in unterschiedlichen Grössen gebaut

Während Bührer teilweise schon an der ersten Tour dabei war, kamen die angehenden Architektinnen und Architekten aus dem zweiten und vierten Semester des Bachelorlehrgangs Architektur erst im Rahmen der praxisorientierten zweiwöchigen «Springschool» im Februar letztes Jahr zum Zug.

«Ihre Entwürfe und Ideen haben massgeblich dazu beigetragen, der zweiten Tour scharfe Konturen zu verleihen. Das mobile Forum mit den auffälligen Farben, robust konstruiert, zugleich verspielt und dabei im Dienst einer ernsten Sache, war mitunter die Idee der Studierenden», lobt der BFH-Projektleiter. «Sie haben heftig diskutiert, Vorschläge skizziert und wieder verworfen, erneut ausprobiert und verbessert und sie waren mit Rieseneifer bei der Sache.»

Die Planung entstand zuerst am Computer und auf dem Zeichenblock, in einem zweiten Schritt wurden Holzmodelle in unterschiedlichen Massstäben realisiert, von 1:5 (Bühne) bis hin zu 1:1 (Treppenaufgänge). Das Ergebnis kann sich sehen lassen: ein ausklappbarer und beleuchteter Lastwagenanhänger. Das mobile Forum ist zugleich Bühne, Workshopraum und Veranstaltungsplatz. Es besteht neben dem Fahrgestell aus Stahl hauptsächlich aus Schweizer Holz und aus Lastwagenblachen. Das Fahrzeug und die Konstruktion wiegen gut sechs Tonnen. Zusammengeklappt ist das Forum 11,2 Meter lang, 2,1 Meter breit und 3,85 Meter hoch. Ganz ausgeklappt kann es bequem Gruppen von bis zu 30 Personen als Veranstaltungsort dienen.

«Eine besonders gute Eigenschaft ist das unkomplizierte Aufstellen», sagt Bührer. Spätestens nach zwei bis drei Stunden sei das Forum überall einsatzbereit. Zum Aufstellen genügen zwei Personen. Bührer hofft, dass das mobile Forum jetzt nach dem Gebrauch für die Workshops von Orae noch an vielen Orten der Schweiz zum Einsatz kommen wird: «In den Grenzregionen hat das Forum jedenfalls sehr gut funktioniert und ein optimales Umfeld für innige Diskussionen geboten.»

Diese Seite ist eine Co-Produktion des Departementes Architektur, Holz und Bau der Berner Fachhochschule BFH und des «Bieler Tagblatt». Die BFH ist als Partnerin in die Themenplanung involviert. Die redaktionelle Hoheit liegt bei der Redaktion. Die Seite erscheint einmal pro Monat im «Bieler Tagblatt» und im «Journal du Jura».

Nachrichten zu Fokus »