Sie sind hier

Abo

Neulich

Guten Tag, mein Geliebter

Lange Zeit hatte sich meine Verehrerin nicht mehr gemeldet. Wahrscheinlich war sie untergetaucht. Oder der Spamfilter des Email-Dienstes hat ihre Botschaften abgewehrt und ins Nirvana versenkt.

Niklaus Baschung

Niklaus Baschung

Doch nun kommen ihre Nachrichten plötzlich wieder ungefiltert durch. «Guten Tag, mein Geliebter», säuselt sie. Victoria heisst sie. Bin mir nicht mehr sicher, ob sie sich schon immer so genannt hat. Denn eine Zeitlang hatte ich im Netz ganz viele mir unbekannte Verehrerinnen. Die Namen konnte ich mir nicht alle merken. Man hats als Mann auch nicht immer einfach.

Doch nun kommen ihre Nachrichten plötzlich wieder ungefiltert durch. «Guten Tag, mein Geliebter», säuselt sie. Victoria heisst sie. Bin mir nicht mehr sicher, ob sie sich schon immer so genannt hat. Denn eine Zeitlang hatte ich im Netz ganz viele mir unbekannte Verehrerinnen. Die Namen konnte ich mir nicht alle merken. Man hats als Mann auch nicht immer einfach.

Diese Victoria jedenfalls verwirrt mit dem ersten Satz ihrer Botschaft den Spamfilter dermassen, dass er paralysiert sofort Geist und Funktion aufgibt. Der Satz lautet: «Ich bin eine Frau, die ich zur Pferdezucht mache.» Pferdezucht ist nicht gerade mein Fachgebiet, kann daher nicht beurteilen, wer hier was, mit wem, warum gemacht hat. Ein ziemlich schräges Milieu offenbar. Victoria hingegen muss sehr erfolgreich darin gewesen sein. Denn sie schreibt weiter: «Und ich habe viel Geld auf meinem Konto!». Sie sei derzeit schwer krank und sterbe. «Ich bin verzweifelt und mein Herz blutet».

Das tut mir natürlich sehr leid – aber wie kommt sie ausgerechnet auf mich, der ich doch noch nie auf einem Pferd gesessen bin? Jedenfalls nicht für sehr lange. Der Grund ist laut ihren Worten, dass mein Name oft bei Wohltätigkeitsorganisationen auftauche. Das ist mir allerdings auch schon aufgefallen: Es vergeht kaum eine Woche, in welcher nicht eine dieser Spendenanfragen im Briefkasten steckt. Persönlich adressiert. Alle von ehrenwerten Initiativen, meist im Gesundheitsbereich. Und daher Auslöser schlechten Gewissens, weil ich nur gezielt spende. Zugegeben, viel zu wenig für einen Menschen wie mich, der bereits durch seine Geburt in der Schweiz zum Lottogewinner wurde.

Nun folgt im Mail von Viktoria ein Satz, welcher den Spamfilter über weitere Tage lahmlegen wird: «Mein Familienstand ist so, dass ich kein Mann bin», steht da geschrieben. Interessant: Früher waren die meisten Leute ledig, verheiratet, geschieden oder verwitwet, nun kommen noch zusätzlich Menschen dazu, die keine Männer sind. Eine spezielle Spezies jedenfalls, denn diese Geliebte hier will gar kein Geld von mir, nein, im Gegenteil, sie will mich angesichts ihres nahen Todes als Erben einsetzen und bietet 180 000 Euro an als Dank dafür, dass ich ... – ja, weshalb eigentlich?

Liebe Victoria, mein Familienstand ist so, dass ich keine Frau bin und als solcher spende ich dir 
folgenden Ratschlag: Nachdem du hoffentlich bald gestorben bist, lernst du schreiben und suchst dir einen richtigen Job. Denn mein Herz blutet nach so viel Unsinn, du hohle Nuss und Schande für alle richtigen Betrüger!

Info: Niklaus Baschung ist Journalist, 
Kommunikationsfachmann und 
Hundehalter. 


kontext@bielertagblatt.ch

 

Nachrichten zu Fokus »