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Velotour

Ins 12. Jahrhundert zurückversetzt

Bea und Pit Thalhammer pedalen auf ihrer Tour durch einsame Gegenden Spaniens. Dabei begegnen sie nicht nur vielen Pilgerinnen und Pilgern, sondern werden auch beinahe zu Statisten einer mit Spannung erwarteten Mittelalter-Serie.

Wie im Mittelalter, wie im Film: Hier in Cáceres wird «House of the Dragon» gedreht.
  • Dossier

Pit Thalhammer

Wir fahren weite Strecken auf unasphaltierten Wegen. Sind sie trocken, rollt es prima, bei Regen, wie vor einigen Tagen, wird es klebrig-morastig und unvermittelt geht nichts mehr. Einen Augenblick nicht aufgepasst und wir stecken fest. Kein Vorwärts- und Rückwärtsrollen. Alles blockiert. Lehm, Steine und Gras zwischen Schutzblechen, Reifen und Bremsen. Mit der Pappe könnte man Häuser bauen. Nach einigem Herumstochern (und fluchen) retten wir uns durchs Gras auf die nächste Strasse und – für einmal herrlich willkommen – beschert ein heftiger Gewitterregen und das anschliessende 
Pedalen durch grosse Pfützen eine erste Velo- und Schuhwäsche. Feindusche dann bei einem Klosterbrunnen. Die Göppel 
waren seit Monaten nicht mehr so sauber!

Uns gefallen die geschichtlich interessanten Städte, auch wenn wir die Kathedralen von Burgos, Léon und Salamanca nicht von innen sehen. Eintritt in eine Kirche bezahlen wir aus Prinzip nicht. Wie schon in Frankreich ist der Kaffee in Spanien stark und gut. Mühsam ist für uns Velofahrer, dass in Spanien das Nachtessen in der Regel erst ab 21 Uhr auf den Tisch kommt. Nach Stunden ermüdendem Pedalen schlicht zu spät. Zum Feierabend-Bier oder Glas Wein gibt es vielfach Tapas (kleine, den Appetit anregende Toastbrötchen mit leckeren Zutaten belegt); wir wären eher betrunken, als dass wir von diesen Häppchen satt würden. Gewöhnungsbedürftiges Spanien!

Völkerwanderung auf dem Pilgerweg

Auf den nächsten Etappen begeistert die weite, karge Landschaft mit Weinbergen und riesigen Feldern, die uns an ähnliche Landstriche in Argentinien und Chile erinnern. Seit Wochen gehört das Reservieren von Zimmern zur täglichen Büroarbeit, besonders dort, wo der französische Pilgerweg nach Santiago de Compostela unsere Route kreuzt. Ein Teil der Herbergen und Hotels schliessen im Herbst, abseits der 
Pilgerroute ist es überhaupt sehr schwierig, eine Unterkunft zu finden. Zum Zelten können wir uns bei den kalten Temperaturen in der Nacht nicht erwärmen.

Nicht bewusst war uns, dass der Radweg auf weiten Strecken mit dem Pilgerweg identisch ist. Wir staunen, wie viele Wallfahrer jetzt im Herbst den, über weite Strecken eintönigen Weg, wandern (unser Eindruck). Zeitweise schwillt der Strom zur Völkerwanderung an (massenweise Amerikaner, was doch irritiert, da die Europäer zum heutigen Zeitpunkt wegen Corona nicht in die USA einreisen dürfen). Immerhin sind es von Pamplona bis ans Ziel noch 730 Kilometer Fussmarsch mit etlichen Höhenmetern und die Temperaturen zeitweise im Keller: heute Morgen magere 4 Grad Celsius. Wir werden zu Pilgern wider Willen, lassen uns den Pilgergruss «buen camino!» aber gerne gefallen. Ansonsten bleiben Wallfahrer und die wenigen Radler unter sich.

«House of the Dragon» für Velofahrer

Zum besonderen Leckerbissen wird das kleine Städtchen Cáceres in der Region 
Extremadura (zirka 240 Kilometer südlich von Salamanca) wegen seines weitgehend erhaltenen Mittelalter-Stadtkerns. Seit 1986 wird die Stadt im Unesco-Welterbeverzeichnis aufgeführt. Zwischen den mächtigen Mauern, wehrhaften Türmen, stattlichen Häusern, Kirchen und in den 
engen Gassen fühlen wir uns tatsächlich ins 12. Jahrhundert zurückversetzt.

Kein Wunder, hat die Filmcrew der Nachfolgeserie von «Game of Thrones», «House of the Dragon», die Altstadt zur Filmkulisse bestimmt. Touristinnen und Touristen stolpern an jeder Ecke über Kabel, ihnen wird nicht überall Zutritt gewährt, sie finden dafür jede Menge Fotoobjekte der besonderen Art. Was ist an Bühnenarbeitern, Pferdefuhrwerken, Weinfässern, Strohballen, riesigen Kränen und Hebebühnen so spannend? Sie gehören zum Filmset «House of the Dragon»! Nichts ist sicher vor den Smartphone-Linsen. Und wir Banausen, die «Game of Thrones» nur dem Namen nach kennen, mittendrin. Nein, nicht wirklich im Schwerter schwingenden Schlachtengetümmel, aber ganz, ganz nah an einer Statistenrolle. Meinen wir jedenfalls.

Seit Tagen treten wir auf der N630, wechseln nach Cáceres bis zum Grenzort Badajoz auf die N523. Wir nehmen die langen, eintönigen Geraden auf der Hauptstrasse entlang der Autobahn in Kauf, um möglichst rasch südlicher, an die Wärme zu kommen. Palmen in den Vorgärten, Kakteen und ab Mittag angenehme 23 Grad 
bestätigen, dass die Richtung stimmt. 
Endlich wieder in Shorts pedalen!

Die Extremadura, wie die Region heisst und mehr Land als die Schweiz umfasst, ist im Süden nur sehr dünn besiedelt. Weinbau und Olivenhaine setzen Farbtupfer in die sonst karge, braungraue Landschaft. Die 
wenigen Dörfer, durch die wir fahren, hinterlassen den Eindruck, als wären nach einem grossen Exodus nur ein paar Senioren zurückgeblieben. Werden wir von den wenigen Alten auf der Strasse entdeckt, dreht man sich mehrmals um, ganz so, als würde man nicht glauben, dass sich Fremde hierhin verirren. Für uns sind die grandiosen Weitblicke, die die Landschaft gewährt, umwerfend schön. Aber davon kann sich kein Einheimischer und keine Einheimische etwas kaufen.

Unbekanntes Portugal

Ausser einem Städtetrip vor etlichen Jahren nach Lissabon, ist uns Portugal unbekannt. Der Verkehr über Land bleibt dürftig, wenn auch hier, wie in Spanien, kräftig aufs Gaspedal gedrückt wird. Wichtigste Lebensversicherung bleibt für Velölerinnen und Velöler der Rückspiegel. Der seitliche Abstand stimmt, ausser wenn uns beim Rechtsabbiegen gedankenlos der Weg abgeschnitten wird.

Eindruck machen die enorm grossen 
Olivenhaine. Portugal hat den Olivenanbau modernisiert und könnte in den nächsten Jahren zum drittgrössten Olivenölproduzenten der Welt aufsteigen. Wie schon in Spanien dominieren Steineichen- und Korkeichenwälder. Das Iberische Schwein, ganzjährig im Freien gehalten, vertilgt bis zu zehn Kilogramm Eicheln pro Tag.

Heute übernachten wir in einer ehemaligen Getreidemühle mit angegliedertem Museum. Zum Feierabendbier serviert uns die Wirtin eingelegte Körner/Bohnen, die an Mais erinnern. Das Internet meint, dass wir Samen der Süsslupine probieren. Schmecken gut, die Dinger! Während ich nasche, liest Bea «Lupinen gehören zu den 14 wichtigsten Allergenen. Nach dem Verzehr von Lupinen kann es zu schweren 
allergischen Reaktionen kommen ...» Wie viele habe ich schon vertilgt?! «Betroffen sind vor allem Erdnussallergiker, die eine Kreuzallergie zu Lupinen und anderen Hülsenfrüchten aufweisen ...» Uuähh, Allergien? Kennen wir glücklicherweise nicht, aber: «Ein anaphylaktischer Schock kann zum Tod führen!» Die letzte Bohne bleibt mir buchstäblich im Hals stecken. Wir lassen den Rest stehen, irgendwie schmecken die Dinger doch nicht (mehr) so gut ...

Stichwörter: Fernweh, Spanien, Velo

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