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«* ist ein hübsches Zeichen»

Der Grossteil der Schweizer Medienhäuser verfügt über keine Richtlinien zum Umgang mit geschlechtergerechte Sprache. Die Verlage zeigen sich zwar sensibilisiert, doch die Lesbarkeit hat Priorität.

Gleichheit für alle war eine der Parolen am Frauenstreik. Bild: Keystone

Andrea Butorin

Wie halten Sie’s mit der geschlechtergerechten Sprache? Eine Umfrage bei den führenden Schweizer Medienhäusern zeigt: insgesamt eher konservativ. So führen weder die Ringier-Axel-Springer-Medien («Blick», «Schweizer Illustrierte», «Beobachter», «Landliebe», «Bolero» u.a.) noch CH Media (AZ Medien, NZZ-Regionalmedien) über Richtlinien bezüglich einer gendersensiblen Sprache. Das bedeutet, dass das generische Maskulinum in diesen Medien dominiert.

Beim dritten grossen Schweizer Verlag, der Tamedia, heisst es, das Unternehmen mache keine Vorgaben, die einzelnen Redaktionen (wie «Bund», «Tages Anzeiger», «Berner Zeitung», «20 Minuten», «Basler Zeitung» oder «Annabelle») seien unabhängig. «Das Thema ist aber auf allen Redaktionen sehr präsent, und es wird auf eine gendergerechte Sprache geachtet», ergänzt Andres C. Nitsch, Kommunikationsverantwortlicher  bei Tamedia. So würden nach Möglichkeit neutrale Formulierungen wie «Lehrpersonen» verwendet. Einmal im Text würden beide Formen ausgeschrieben, etwa «Schülerinnen und Schüler», anschliessend wechselten sich weibliche und männliche Form ab. «Dabei wird wenn immer möglich auf Gender-Klischees («Pflegerin» und «Arzt», «Putzfrau» und «Manager») verzichtet», sagt Nitsch weiter. Sonderzeichen wie Binnen-I oder Gendersternchen würden aber «im Sinne der Lesbarkeit» keine verwendet.

«Wir sind dran»
Bei der NZZ-Mediengruppe, die nebst der «Neuen Zürcher Zeitung» auch NZZ-Produkte wie «NZZ Geschichte» oder «NZZ Folio» herausgibt, habe das Thema «hohe Priorität», sagt Seta Thakur, Leiterin Unternehmenskommunikation: «Wir sind derzeit daran, ein Papier zum gendergerechten Umgang mit Sprache zu verfassen.» Einblick geben wollte Thakur allerdings nicht, denn besagtes Papier befinde sich noch in der Schlussphase der Erarbeitung.

«Wir achten beim Schreiben darauf, möglichst konsequent die weibliche und die männliche Form zu verwenden», sagt Christoph Nussbaumer, Chefredaktor der «Freiburger Nachrichten», die wie das «Bieler Tagblatt» keinem Grossverlag angehören. Explizite Richtlinien gebe es nicht. Das Korrekturteam halte sich diesbezüglich an den Duden und an die erwähnten Tamedia-Regelungen.

Die WOZ ist schweizweit die einzige Zeitschrift, die konsequent das Binnen-I anwendet, und zwar bereits seit 1983 (siehe Seite 27). Auch das Gender-sternchen ist bereits in einem Printprodukt zu finden, nämlich in  «Avenue – das Magazin für Wissenskultur». Co-Herausgeberin Corinna Virchow begründet das wie folgt:«Wir setzen * – weil so ein Asteriskus ein hübsches Schriftzeichen ist und den Raum für Entwürfe in jede Richtung vorgibt.»

«Eine klare und unbürokratische Sprache»
In eine ähnliche Richtung wie bei Tamedia geht der interne Sprach-Kodex bei Schweizer Radio und Fernsehen (SRF). In Texten sei wann immer möglich die geschlechtsneutrale Sprache zu verwenden, sagt Mediensprecher Stefan Wyss. Für das gesprochene Wort in Radio und Fernsehen sensibilisiere SRF die Autorinnen und Autoren dafür, dass sie sowohl der Gleichberechtigung von Mann und Frau als auch der deutschen Sprache verpflichtet seien. «Und vor allem dem Publikum, dass von uns eine klare, direkte, verständliche und unbürokratische Sprache verlangt, die nicht von «political correctness» durchtränkt ist. All das gilt es beim Schreiben und Sprechen zu berücksichtigen», so Wyss.

Wie bei Tamedia wird auch bei einem SRF-Radiobeitrag am Anfang etwa von Politikern und Politikerinnen» gesprochen, um zu zeigen, dass man sich der Gender-Thematik bewusst sei. Aber: «Wir wiederholen aber die Doppelnennung nicht jedes Mal, wenn ein Begriff erneut vorkommt, weil das schwerfällig und umständlich wirken würde.» Deshalb greift auch SRF auf das Mittel der Abwechslung bei Aufzählung nach dem Muster: «Politiker, Unternehmerinnen und Künstler haben sich zusammengesetzt ...»

SRF bemühe sich zudem konsequent, in den Berichten auch Frauen zu Wort kommen zu lassen. «Da viele Berufsfelder weiterhin männlich dominiert sind, erfordert das von uns, aktiv nach Politikerinnen, Unternehmerinnen, Professorinnen et cetera zu suchen und ihnen eine Stimme zu geben. Das scheint uns ein mindestens ebenso wichtiger Beitrag zur Gleichberechtigung in unseren Programmen wie die sprachlichen Begrifflichkeiten», sagt Stefan Wyss abschliessend.

Ein spezifisch für die Medien zugeschnittener Leitfaden haben Syndicom, Impressum und das Schweizer Syndikat Medienschaffender herausgegeben: «Frauenbilder – Männersprache? Weg mit den Klischees!» Darin geht es aber weniger um Empfehlungen eines konkreten Sprachgebrauchs als um das Frauenbild in den Medien generell: Frauen in den Medien sichtbarer machen, als Expertin befragen, keine stereotypen Rollenbilder verwenden (à la der Pilot, die Stewardessen) und auch um die Art der Darstellung der Frauen lauten die wichtigsten Empfehlungen.

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«Viele betrachten das Binnen-I als Markenzeichen der WOZ»

Eine frühere WOZ-Redaktorin blickt auf die Einführung des Binnen-I zurück und eine aktuelle Journalistin würde am liebsten zum Gendersternchen wechseln. 

1983 hat die linke Wochenzeitschrift WOZ das Binnen-I flächendeckend eingeführt. Eine der treibenden Kräfte dafür war Journalistin Lotta Suter, die sich damals intensiv mit der «Frauenfrage» beschäftigte, wie Genderanalysen damals bezeichnet wurden. Sie habe sich schon vor der Einführung des Binnen-I stark um eine genaue Bezeichnung der agierenden Personen bemüht. 

«Der Grossbuchstabe mitten im Wort wollte auf die Gender-Vielfalt der Handelnden aufmerksam machen», erinnert sich die heute in Amerika lebende Suter. Er habe aber nie die sorgfältige Abwägung ersetzt, welche Sprachregelung im Einzelfall die richtige und angemessenste sei. «Für mich sind das Binnen-I wie auch die neueren Formen Politiker_In oder Politiker*in alles zusätzliche Hilfsmittel, um unsere soziale Komplexität abzubilden.» Sie habe das Binnen-I stets als bloss eine von vielen sprachlichen Möglichkeiten betrachtet. «Ich habe mich von Anfang an und seither noch oft über einen allzu pauschalen und phantasielosen Einsatz der Form geärgert.»

Geärgert haben sich bei der Einführung auch andere:Einige männliche Kollegen auf der Redaktion zum Beispiel, und auch seitens der Leserschaft habe die WOZ Kritik und Aboabbestellungen einstecken müssen. «Insgesamt reagierten die Leserinnen und Leser grösstenteils positiv», erinnert sich Lotta Suter. Relativ rasch hätten sich alle daran gewöhnt, und auch andere Zeitungen, etwa die Berliner «Tageszeitung» («taz»), folgten dem Beispiel.

Noëmi Landolt arbeitet seit fünf Jahren bei der WOZ im Ressort Politik und als Abschluss-Redaktorin. Für sie sei die Anwendung des Binnen-I immer «eine Selbstverständlichkeit» gewesen. «Seinen avantgardistischen Charakter hat das Binnen-I seit seiner Einführung definitiv verloren, es ist mittlerweile oft in amtlichen Publikationen oder in Stellenausschreibungen zu finden».

Kein Verständnis hat Noëmi Landolt, wenn auch heute noch das Argument der Unleserlichkeit ins Feld geführt werde. «Das finde ich absurd und kann ich nicht nachvollziehen.» Nach wie vor fehle es an der nötigen Sensibilität beim Gender-Thema, und dass man eben als Frau nicht einfach «mit-gemeint» ist, wenn das generische Maskulinum verwendet wird. 

Auf der WOZ-Redaktion werde die geschlechtersensible Sprache immer wieder mal diskutiert. So auch die Frage, ob man vielleicht zu einem progressiveren, alle Geschlechter umfassenden Zeichen wechseln sollte. Doch bislang habe sich kein Konsens ergeben. «Manche hängen sehr am Binnen-I und betrachten es als Markenzeichen der WOZ. Andere, darunter auch ich, finden, dass diese Form inzwischen etwas veraltet ist, und setzen sich mit neuen Formen auseinander.» Könnte Noëmi Landolt in dieser Frage allein entscheiden, dann würde sie zum Gendersternchen wechseln. Den Einwand des gestörten Leseflusses will sie nicht gelten lassen:«Am Anfang irritiert das Zeichen sicher, aber das ist ja auch ein gewollter Denkprozess.»

Die Situation bei einem allfälligen Wechsel wäre für Landolt eine andere als in den 80er-Jahren:«Wir hätten keine Vorreiterrolle.» Dies, weil das Zeichen in gewissen Kontexten, an Unversitäten etwa, schon länger verwendet wird. Anders sähe die Situation dagegen in der Schweizer Medienlandschaft aus;da findet das Asterisk bislang nur marginal Verwendung.

Die Gender-Formen seien ein Stück weit immer Symbolpolitik, findet sie. Man müsse sich gerade in der deutschen Sprache bewusst sein, dass eine definitive geschlechtergerechte Lösung wohl nie gefunden werde. «Aber das ist kein Grund, es nicht zu versuchen und möglichst nahe daran heranzukommen.» Andrea Butorin

Kommentar:

Auf den Duden warten oder mutig sein?

Andrea Butorin

«Liebe Leser und Leserinnen, liebe Leser-Innen, LeserInnen sowie geschätzte Leser_innen und ebenso ehrenwerte Leser*innen und insbesondere alle Leser und alle lieben Innen – schön, fühlen Sie sich angesprochen.»

Mit diesen Worten eröffnete Niklaus Baschung jüngst seine Kolumne «Neulich» (siehe BT vom 17.5.). In humorvoller Art nahm er sich dem Thema Gendersprache an. Der Anlass war eine besonders kreative Wortschöpfung:

Kürzlich wurden in Biel zu einem Schulanlass alle «Schüler*Innen» eingeladen. Diese Wortschöpfung mit einem «*» und einem grossen «I» ist völlig neu. Sie wird in die Sackgassen-Geschichte der deutschen Sprache eingehen.

Damit dürfte er Recht behalten. Nicht abklingen werden aber die Forderungen nach einer Sprache, die alle Geschlechter gleich behandelt. Zumindest so lange nicht, wie sich keine Form eindeutig durchgesetzt hat. Und das zu Recht:Das generische Maskulinum ist die Sprache der letzten Jahrhunderte, und die Sprache sollte sich den veränderten und sich noch verändernden Gegebenheiten anpassen und nicht in der Vergangenheit erstarren.

Die Summe der verschiedenen Möglichkeiten für eine gendergerechte Sprache ist beeindruckend. Manche Varianten wie die X-Form oder @ sind zwar amüsant und für den Gebrauch innerhalb einer bestimmten Gruppe durchaus legitim, sie verfremden die Sprache aber so sehr, dass sie sicher nicht dazu dienen, Akzeptanz für die Sache zu schaffen.

Was also ist die richtige Lösung? Schwer zu sagen. Am einfachsten wäre es, der Rat für deutsche Rechtschreibung und der Duden würden sich durchringen, eine der geschlechtersensiblen Schreibweisen zu favorisieren. Zwar würde das Kritik hageln, doch mit der Zeit würden sich die Menschen daran gewöhnen, und die Akzeptanz würde steigen. Andererseits ist es verständlich, dass sich diese Instanzen konservativ verhalten. Ihre Aufgaben ist es weniger, Trends zu setzen, als diejenigen Trends zu reglementieren, die sich bereits durchgesetzt haben. Es bleibt somit an uns, Position zu beziehen, wie weit wir Veränderungen der deutschen Sprache zulassen wollen.

Meinen persönlichen Favoriten habe ich erst im Zuge der Recherche für diese Geschichte kennengelernt:Nämlich das «i» mit dem Sternchen «i»:

Ich mag die Ästhetik dieses Zeichens, und es zerreisst die Worte weniger als das gängigere Gendersternchen. Zudem könnten die verschiedenen Strahlen des Sterns nicht nur für alle Geschlechter, sondern auch für Minderheiten jeglicher Art stehen, sodass sich alle sprachlich vertreten fühlen. Blöd nur, dass dieses Zeichen auf unseren Tastaturen noch gar nicht existiert. Das zu ändern, sollte allerdings ein Leichtes sein.
Und welche Variante gefällt Ihnen am besten? 

abutorin@bielertagblatt.ch

 

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