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Junge Familie: Mein Kind ist ein Testosterönli

Ja, wird sind nicht unser Geschlecht. Ja Geschlecht ist in erster Linie ein soziales Konstrukt. Ja, ich weiss. Und dann komme ich am Samstagnami heim, nach zwei Stunden im Wald. Ich bin entspannt und duchgelüftet.

Sabine Kronenberg. Bild: bt/a

Ja, wird sind nicht unser Geschlecht. Ja Geschlecht ist in erster Linie ein soziales Konstrukt. Ja, ich weiss. Und dann komme ich am Samstagnami heim, nach zwei Stunden im Wald. Ich bin entspannt und duchgelüftet. Jack Jack war mit seinem Papa einkaufen und sie kochen gerade. Da hopst Junior vom Stuhl, auf welchem er gerade stand, um in der Bratpfanne Härdöpfu anzubraten. Er freut sich, mich zu sehen, rennt auf mich zu und boxt mich herzhaft in die Beine (aui!). Nimmt meine Hose und wuschelt mich so richtig durch. "Grrrr" macht er dazu. Ich weiss nicht, aber ich kann mir einfach nicht helfen... das ist doch Macker-Gebaren!?!

Natürlich gehen wir blüemele mit ihm. Natürlich darf er sich die Haare wachsen lassen. Aber dann klärt er mich kürzlich auf: Die Fransen mit einem Haargummi zu bändigen ist etwas für Mädchen. Uff! Natürlich ist mir klar, dass das aus der Kita, sehr wahrscheinlich von älteren Gspändlis, kommt. Oder auf dem Spielplatz sagen die Mütter und Väter notorisch über Jack Jack: «Warte, das Meitschi ist vor Dir dran auf der Rutsche.» Uff! Und: Ja, ja, in dem Alter sehen alle Geschlechter noch gleich aus (was ja eine Chance wäre). Wir erziehen denn auch nicht gerade supermodern-ungegendert, aber jetzt auch nicht Holozän. Wir teilen uns die Betreuungsarbeit, heissen seit bald drei Jahren immer noch Ma-Pa und Pa-Ma (und sind stolz darauf). Wir achten bei den Kleidern, die wir übernehmen, darauf, dass die Roboter und Autos Einzelfälle bleiben und eher grafisch zurückhalten gemustert sind (Kinderkleider haben einen Hang psychedelischen Mustern und Bildwelten: Ich wäre diesbezüglich für die Wiedereinführung der protestantischen Kleiderordnung vor der Reformation, jawoll!). JJ trägt auch unzählige Mädchen-Kleider nach. Wir achten auf die Spiele und die Sprache und Stereotypen, die wir dabei bedienen. Die Ambulanzfahrerin. Der Putzmann. Papa kocht. Mama kocht. Papa putzt. Mama putzt. Ist Alltag bei uns. Vormachen halt. Die Kinder merken alles und machen das nach (Willst du, dass dein Kind schön «Bitte» und «Danke» sagt? Dann mach es selbst auch. Das Kind wird es dir gleichtun.)

Die Geschlechter-Kategorisierung interessiert Jack Jack auch noch nicht so. Seine Rennautos werden oft von Frauen gefahren. Und ja, ich weiss, das kategorische Alter steht uns noch bevor. Ich sehe es gelassen. Habe schon viel Übung damit: «Das sieht aus wie ein Einhorn für Dich? Oke, für mich sieht das aus wie mein Schuh und den möchte ich jetzt gern anziehen!» (Was ist das überhaupt mit diesen Einhörnern und den Knirpsen heute??? Diese Obsession gab es «als ich Kind war» also noch nicht! Und nein, ich besitze keine Einhornschuhe. Es waren meine Turnschuhe, die einen kurzen Moment in Jack Jacks Händen zu einem Einhorn wurden.)

Weniger gelassen sehe ich hingegen eben dieses Macker-Gebaren. Das macht mich manchmal ganz schön müde und grantig. Ich frage mich warum (falsch!) und sage mir, das muss am Testosteron respektive Östrogen liegen (Trugschluss!). Jack ist ein Testosterönli. Und «zack!» selber in der Kategorienfalle. In der Physik lässt sich doch nachweisen, dass die Beobachtenden das Resultat des Experiments, ja sogar das Verhalten der Variablen, verändern. Damit trage ich dann wohl meinerseits auch dazu bei, dass Macker-Gebaren überhaupt verankert und verstärkt wird. Hört es denn nie auf? Wann fangen wir endlich an, einfach Menschen zu sein? Mit allen möglichen Zuständen und Nicht-Zuständen? Der Zustand wäre dann einfach «Grrr» und fertig. Ich kann nämlich selbst auch «Grrr». Grr-Männlich oder Grr-Weiblich ist schnurzegal. Einfach Grr. Kann vorkommen.

 

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