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Velotour

Von Oberbillig nach Paris

Bea und Pit Thalhammer erkunden auf ihrer Velotour die Region Champagne und nehmen nach einem unbefriedigenden Abstecher nach Belgien spontan Paris ins Programm.

Nomen non est omen: Oberbillig wirkt es nicht, 
das Dorf Oberbillig in Luxemburg. Bild: Pit 
Thalhammer
  • Dossier

Bea und Pit Thalhammer

M al nimmt uns die Mosel links, mal rechts an der Hand, zwischendurch gibt es zahlreiche Kanäle, welche die Schifffahrt 
erleichtern. Einige wenige tauchen vor und nach Ortschaften auf. Aber Radfahrer mit Gepäck werden wir nur einen in Luxemburg kreuzen und bis an die Küste bei 
Le Havre weniger als ein halbes Dutzend. 
Exzellent nach wie vor die Radwege und das Wetter. Wenn Engel reisen ...

Auf dem Zeltplatz in Cornis-sur-Moselle tauchen tatsächlich – wir trauen unseren Ohren nicht – Schweizer Velofahrer in unserem Alter auf. Margaritha und Pius 
aus dem Appenzellischen sind nach der ersten längeren Tour auf dem Heimweg 
in die Schweiz. An ein gemütliches Abendessen hängen wir ein gemeinsames Morgenessen an. So schön, wieder einmal 
jemanden zum Quatschen zu haben!

Die beiden erleben die meisten Campierer auf ihrer Tour gleich wie wir. Die Plätze möglichst weit auseinander, ein knapper Gruss, wenn überhaupt – Radfahrer verkriechen sich besonders gerne in Zeltplatzecken – jeder kocht sein eigenes Süppchen. Kontakte scheinen auf den 
ohnehin fast leeren Zeltplätzen unerwünscht. Wehmütig denken wir an das lebendige Zeltplatzleben in Australien und Neuseeland zurück. Gute Heimkehr ins Appenzellerland, Margaritha und Pius!

Rekordjäger und ein nasser Sack

Schengen: hier berühren sich Frankreich, Deutschland und Luxemburg. Unvermittelt gibts mächtig Gegenverkehr. Die 
Germanen sind angefressene Radfahrer, vor allem ältere Semester (mit und ohne E-Antrieb) jagen mit verbissenem Gesicht persönlichen Rekorden nach. Wir sind mehr Hindernis als Mitstreiter auf den 
Veloautobahnen. Aber was solls, jeder so, wie er will!

Es riecht verdächtig nach Herbst; Morgennebel trübt die ersten Sonnenstrahlen, und unser Zelt wird zum nassen Sack, innen und aussen. Nachts tauchen die Temperaturen auf gegen zehn Grad, Kondenswasser wird zum lästigen Dauerbrenner und so wirklich Spass macht das Zelttrockenreiben am Morgen nicht. Ab jetzt muss Bea abends ganz, ganz tief in ihre Tüte kriechen. Wir lieben das Zelten und draussen Kochen trotzdem wie eh und je.

Weiter gehts nach Trier. Allein die Grösse des Doms haut uns aus den Socken! Seit über 800 Jahren werden in der ältesten 
Bischofskirche Deutschlands Messen gehalten. Kaum jemand wird sich der Faszination des alten sakralen Baus entziehen können, auch wir nicht. Zeit, kurz innezuhalten und zu spüren, wie klein und unbedeutend wir Menschen im Universum doch eigentlich sind; und darüber nachzudenken, ob wir uns in diesen schwierigen Zeiten nicht zu wichtig nehmen und uns etwas mehr Gelassenheit und weniger Angst guttäte. So schön, unterwegs sein zu dürfen!

Trier gefällt, trotzdem schwingen wir uns nach drei Tagen erneut in die Sättel und pedalen auf der luxemburgischen Seite zurück nach Wasserbillig (der Ort heisst wirklich so) um auf den Sauertalradweg einzubiegen und Richtung Belgien zu treten. Deutschland passt diesmal irgendwie nicht in unser Verwöhnprogramm mit Geniessen, Kulinarischem und Kultur. Vielleicht, weil wir so gerne an Frankreich schnuppern?

Hervorragend die Radwege in Luxemburg entlang der Sauer, wunderschön die hügelige Landschaft und gemütlich die beschaulichen Orte. Im kleinen Grossherzogtum verfügen die Menschen über etwa das gleiche Einkommen wie in der Schweiz – was man auch sieht. Leider ist nach zwei Tagen gemütlichem Pedalen die Grenze zu Belgien bereits erreicht.

Gegenwind in Belgien

Aber das Belgien, das wir fahren, hält nicht, was wir erwartet haben: schlechte Strassen und schmucklose, öde Dörfer, die man nach dem Eintragen auf den Landkarten irgendwann vergessen hat.

Heftiger Gegenwind beim Treten über weite Felder macht das Vorwärtskommen zusätzlich mühsam. Gegenwind auch von Bea, die murrt, dass ich so doofe, langweilige Strecken mit ständigem Rauf und Runter einschlage. Einzig die kleine Stadt Bouillon ist hübsch, hier gibts tatsächlich Touristen. Wir ändern die Pläne und steuern über Sedan dem Fluss La Meuse entlang die geschichtsträchtige Stadt Reims an. Nun scheint wieder die Sonne.

Reims, knapp 200 000 Einwohner, in der historischen Region Champagne-
Ardennen gelegen, ist eine weitere, tolle Entdeckung. Hier wurden in der mächtigen Kathedrale Notre-Dame 1000 Jahre lang die französischen Könige und Kaiser gekrönt. Wir zwei Velöler aus der Schweiz fühlen uns bei so viel verblichenem blauen Blut gut aufgehoben. Reims gilt als heimliche Hauptstadt der Region Champagne, hier haben die Deutschen nach verlorenem Krieg am 7. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht unterzeichnet. Geschichte auf Schritt und Tritt.

Prickelnd-schäumendes Frankreich

Natürlich lassen wir uns die Champagne nicht entgehen, obwohl wir nicht grosse Liebhaber des prickelnd-schäumenden 
Getränks sind. Dem Fluss Vesle entlang bummeln wir alleine auf weiter Flur nach Epernay an die Marne und mitten hinein in die weitläufigen Weinberge, in denen die Traubenlese in vollem Gange ist. Seit dem 17. Jahrhundert wird hier Schaumwein gekeltert und nur hier darf der Schampus sich Champagner nennen. Auf sagenhaften 34 000 Hektaren reifen Trauben, bereits seit der Römerzeit.

Epernay, Château-Thierry, Meaux – das Pedalen durch die historischen Städte und lauschigen Winzerdörfer und immer wieder ganz gemächlich der Marne entlang ist Genuss pur; die Route gehört zu den schönsten Strecken bisher.

Allerdings braucht es täglich etwas Planung, um zeitig Campingplätze und Einkaufsmöglichkeiten anzusteuern. Franzosen fahren oft lange Strecken um im Supermarkt den Wocheneinkauf zu erledigen. Die Infrastruktur ist auf dem Land dürftig, dazu kommt, dass die Läden von 13 bis zirka 14.30 Uhr schliessen. Bea hat täglich Mühe, Portionen für nur zwei Personen zu finden. Abends sind wir zwar immer hungrig – aber zu zweit ein Kilogramm Kartoffelsalat verdrücken? Alles ist in den Märkten très grand. Allzu häufig auch die Franzosen selber. Wen wunderts.

Paris ganz entspannt

Wer liebt sie nicht, die positiven Überraschungen. Wir bescheren uns die schönste mit Paris. Erst nicht vorgesehen, entscheiden wir spontan, die grandiose Weltstadt anzusteuern und im Herzen der Hauptstadt eine Pause einzulegen.

Paris, quelle belle et intéressante ville! Kaum je vorher haben wir eine so grosse Stadt so entspannt und ruhig erlebt wie 
Paris. Sehr wenige ausländische Touristen (Asiaten fehlen völlig), wir treten uns nirgends auf den Zehen herum. Kein Gehupe auf der Strasse, die Franzosen freundlich und zuvorkommend, kulinarisch der Hammer (wir kochen selber in unserem kleinen Appartement) und kulturell lässt Paris sowieso nichts zu wünschen übrig. Zeitweise vergessen wir fast, dass in der ganzen Stadt Maskenpflicht gilt.

Info: Seit 2012 radeln die gebürtigen Safnerer Bea und Pit Thalhammer durch die Welt: 
www.bepitha.ch

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www.bielertagblatt.ch/fernweh

Stichwörter: Fernweh, Thalhammer, Frankreich

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