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Hintergrund

Von Sternen, Kometen und Planeten

Eine Weihnachtsgeschichte

Symbolbild: Adobe Stock

Ueli Schweizer

Im Altersheim sitzt eine Gruppe älterer Menschen um einen Tisch. Der Direktor kommt mit einem Schwarzen herein: «Guten Morgen allerseits! Ich bringe euch da Herrn Ananarambata. Er wird mit euch Sterne für Weihnachten basteln. Diese können wir dann aufhängen, um doch noch etwas weihnächtliche Stimmung ins Haus zu zaubern, auch wenn dieses Jahr die traditionelle Weihnachtsfeier ausfallen muss. Ich wünsche euch gutes Gelingen und viel Spass!» Der Direktor verlässt den Raum.

Greti «Wie heissen Sie jetzt nur schon?»
Praktikant: «Anan...»
Greti: «... Ach, das können wir uns sowieso nicht merken¸ sagen wir Ihnen doch einfach ... Ja und der Vorname?»


Praktikant: «Lawashi.»
Kurt: «Auch das noch! Und wenn wir Ihnen einfach Basteli sagen würden? Schliesslich basteln sie ja mit uns.»
Praktikant: «Eh bien, mir soll es recht sein ...»
Anna: «Ja, das ist schön, Basteli, da kommen mir Jugenderinnerungen ... In irgend einem Jugendbuch kommt doch ein Basteli vor?»
Hans: «Ja, natürlich, im ... Ach, wo war das nur? Ich bin so vergesslich geworden ... Aber war das eine schöne Geschichte!»
Anna: «Ja, damals konnten die Leute noch schöne Geschichten schreiben, nicht so wie heute, da versteht man ja die Hälfte nicht, weil alles Englisch ist.»
Kurt: «Zum Beispiel die Weihnachtsgeschichte letztes Jahr – ich habe überhaupt nichts verstanden.»
Praktikant: «So, aber jetzt sollten wir anfangen. Was für Sterne wollt Ihr eigentlich basteln?»
Greti: «So Sterne aus Papier, die wir an Fäden aufhängen können.»
Hans: «Das haben wir doch schon letztes Jahr gemacht. Die haben sich doch immer so gedreht, dass man sie gar nicht gesehen hat.»
Praktikant: «Ah, alors, Ihr meint also, die müssten dreidimensional sein?»
Kurt: «3D heisst das doch jetzt modern. Neuerdings gibt es das im Kino, mit so einer komischen Brille. Und dann sieht man alles dreidimensional.»
Hans: «Aber das ist doch nur eine Illusion!»
Anna: «Heute ist ja fast alles nur noch Illusion!»
Kurt: «Illusionen hat man im Kopf.»
Greti: «Und von Hand macht man nichts mehr.»
Anna: «Ja, unsere Grosskinder haben in der Schule Sterne gemacht;auf dem PC. Das sei eben Mathematik – und spare erst noch Papier.»
Praktikant: «Mais alors, man kann noch Sterne basteln, sogar räumliche.»
Greti: «Das habe ich jeweils mit meinen Schulkindern gemacht, ich glaube Fröbelsterne hat man denen gesagt. Ob ich das noch könnte?»
Kurt: «Und kaufen kann man so Bastelsätze, Herrnhuter Sterne heissen diese.»
Hans: «Die sind aber recht teuer. Das vermag unser Heim sicher nicht. Man muss ja überall sparen.»
Praktikant: «Meine Freundin hat auch so eine Art Sterne gemacht. Bascetta-Sterne hat sie die genannt.»
Praktikant: «Ja, die kenne ich auch. In Italien werden solche Sterne mit Kindern in der Schule gebastelt. Ich kann das nächste Mal einen mitbringen.»

Eine Woche später. Der Basteli fehlt noch:
Hans: «Eigentlich möchte ich wissen, wie dieser junge Kerl da zu uns kommt.»
Greti: «Und dann erst noch ein Neger.»
Kurt: «Au du, das darfst du nicht mehr sagen, das ist, glaube ich, rassistisch ...»
Praktikant: «Bonjour. Ich habe mich etwas verspätet, weil ich noch den Stern mitnehmen musste und ihn zuerst verpacken musste, weil es regnete.»
Anna: «Das ist schon gut, aber woher kommst Du eigentlich?»
Praktikant: «Oh, ich bin Schweizer, hier geboren und aufgewachsen, allerdings in der Romandie.»
Greti: «Und jetzt bastelst Du einfach so mit alten Leuten?»
Praktikant: «Oui, ich mache meinen Zivildienst hier.»
Kurt: «Aha, also Dienstverweigerer?»
Praktikant: «Comme vous voulez! Meine Eltern kamen aus einem afrikanischen Land in die Schweiz. Sie haben mir so viel vom Krieg erzählt, dass ich auf keinen Fall eine Waffe tragen konnte.»
Kurt: «Also mich würde nun der 3D-Stern interessieren.»
Praktikant: «Gut, (öffnet die Schachtel), das ist also ein Bascetta-Stern. Paolo Bascetta ist ein italienischer Mathematik-Professor. Der hat diesen Stern erfunden.»
Anna: «Wunderbar sieht der aus. Also machen wir so einen!»
Praktikant: «Oh, c’est für Euch vielleicht zu kompliziert. Ich kann es auch nicht, aber meine Freundin ist douée ... wie sagt man ... begabt für so etwas.»
Hans: «Also jetzt basteln Mathematiker Sterne. Da muss ja etwas Kompliziertes dabei herauskommen!»
Kurt: «Und etwas, das man im Alltag nicht brauchen kann. Mathematiker scheinen ja sowieso lauter unnütze Dinge zu machen ...»
Praktikant: «Oh nein. In der heutigen technisierten Welt braucht es viel Mathematik. Weltraumfahrt, Kommunikation ... etwa, wenn sie am Bankomaten Geld beziehen wollen, da muss ja sichergestellt werden, dass nicht irgendjemand euer Geld abheben kann.»
Greti: «Eben, das ist auch so kompliziert. Ich kann meinen Kindern und Grosskindern nicht einmal etwas zu Weihnachten schenken. Seit drei Monaten kann ich kein Geld mehr abheben, weil ich die Zahl, die ich eintippen muss, vergessen habe.»
Anna: «Was machen wir jetzt also für unsere Weihnachten?»
Kurt: «Ich schlage vor, wir nehmen den schönen Stern, wenn wir dürfen. Du, Hans, Du warst doch Elektriker, Du könntest eine Lampe hineinbringen, sodass er schön leuchtet.»
Hans: «Ja, denkst Du, so eine Glühbirne in diesem kleinen Papierstern, der würde sofort brennen!»
Praktikant: «Aber so etwas macht man heute mit LED, die brauchen nur 3,5 Volt und sind erst noch ganz klein.»
Anna: «Und dann basteln wir noch einen Schweif dazu, dann haben wir doch auch noch etwas gemacht.»
Greti: «Und aufhängen werden wir ihn im Esssaal, da macht er sich besonders gut.»

Und dann kommt der Abend der Weihnachtsfeier:
Direktor: «Liebe Heimbewohner. Es freut mich, euch alle zu dieser Feier hier versammelt zu sehen. Auch wenn es dieses Jahr etwas nüchterner und bescheidener zugeht als sonst, so wollen wir doch kurz zusammen hier verbringen, zwar etwas weit auseinander, aber doch ohne die sonst vorgeschriebenen Masken. Es gibt doch einige weihnachtliche Überraschungen. Beginnen wir mit dem Stern, der ja an Weihnachten den drei Weisen aus dem Morgenland den Weg gewiesen hat.»

Der Stern wird ausgepackt, hochgezogen und dann das Licht gelöscht. Es gibt einen kurzen Blitz und einen Knall. Dann ist es finster. Es wird wieder Licht gemacht. An einem Faden baumelt ein verkohltes Etwas:
Kurt: «So, war das jetzt die Überraschung?»
Greti: «Typisch, die moderne Technik! Wenn man etwas braucht, so funktioniert es nicht. Da wäre jetzt ein gewöhnliches Kerzlein praktischer gewesen. Das würde jetzt leuchten.»
Anna: «Iih!, und der Stern ist gerade ins Aquarium gefallen, aber seht, er ist noch ganz.»
Hans: «Da ist nun also Weihnachten buchstäblich ins Wasser gefallen!»
Greti: «Und vielleicht kommt jetzt noch der Tierschutz, weil die Fische schockiert sind!»
Anna: «Und wo ist der Schweif?»
Kurt: «Ah, schaut mal, den hat Frau Direktor wie einen Schleier um den Kopf.»
Anna: «Die sieht ja jetzt gerade aus wie Maria ... Und der Herr Direktor steht wie Josef daneben!»
Kurt: «Und wir spielen die Esel und die Ochsen, so sehr sind wir erschrocken.»

Nach einigem Gelächter haben sich alle erholt. Aber wie soll die Feier weitergehen?
Hans: «Übrigens, feiern denn die Muslime auch Weihnachten?»
Direktor: «Nun, lassen wir das. Hauptsache, der wunderbare Stern ist noch ganz – und man weiss ja heute, dass der Weihnachtsstern gar kein Komet war, oder, Basteli?»
Praktikant: «C’est vrai, man kann zurückrechnen und findet, dass in der fraglichen Zeit kein Komet da war. Übrigens, der Maler Giotto war der erste, der einen Schweifstern über dem Stall malte, weil er damals den Halleyschen Kometen gesehen hat – und deshalb glaubte, so etwas Seltsames müsse bei der Geburt Jesu passiert sein.»
Greti: «Ja, was war es dann mit dem Weihnachtsstern?»
Direktor: «Zum Glück studiert unser Basteli an der Universität Mathematik und Astronomie, der kann uns das erklären!»
Praktikant: «Alors, man glaubt heute, dass es eine seltene Konjunktion, eine scheinbare Begegnung von zwei hellen Planeten war, die ganz nahe beieinander standen, sodass es aussah, wie ein Pfeil, der vom Morgenland aus gesehen genau nach Bethlehem zeigte. Die Sterndeuter sahen darin ein Zeichen für ein ganz besonderes Ereignis. Übrigens, am 21. Dezember sind Saturn und Jupiter so nahe beieinander gewesen wie seit fast 400 Jahren nicht mehr. Wenn es keine Wolken hat und keinen Nebel könnten wir das am frühen Abend immer noch beobachten. Das ist von blossem Auge sichtbar.»
Anna: «Dann könnte also wieder etwas Besonderes geschehen? Vielleicht ein König geboren werden?»
Hans: «Ja, dann könnten wir richtig singen ... Der Retter ist da!»
Kurt: «Das wäre ja auch dringend nötig, dass jemand käme, die Welt zu retten ...»
Greti: «Und was haben sie gesagt, wann soll das gewesen sein?»
Praktikant: «Am 21. 12. 2020.»
Hans: «Also fast zum richtigen Zeitpunkt.»
Praktikant: «Nun, das Datum ist sowieso willkürlich gewählt worden.»
Direktor: «Vielleicht nicht ganz. Diesmal scheint also Weihnachten mit seinen Lichtern tatsächlich am Tag der Wintersonnenwende stattzufinden. Hoffen wir, dass das auch für uns ein gutes Zeichen sein wird!»
Greti: «21-12-2020 haben sie gesagt? Oh, wie schön, jetzt kann ich doch noch Weihnachten feiern. Das ist nämlich genau die Zahl, die ich eintippen muss, um Geld zu bekommen.»

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