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Kinderblatt

Warum sagen wir «au!» und nicht «oi»?

Du hast deinen kleinen Zeh am Tischbein angeschlagen? Aua, tut das weh! Aber warum rufen wir bei Schmerzen eigentlich «Au» oder «Aua»? Und was sagen Anderssprachige?

Symbolbild: pixabay.com

Angelika Lensen

Du hast heute Morgen wieder lange getrödelt und nun hast du es furchtbar eilig. Du schnappst dir deine Jacke und deine Tasche, rennst zur Tür und schlägst sie so schnell wie möglich hinter dir zu. «Au!», schreist du, vielleicht gefolgt von ein oder zwei Flüchen. In der Eile hast du die Tür zugeschlagen, als dein Finger noch zwischen der Tür war. Das tut ganz schön weh! Aber warum rufen wir dann eigentlich «Au» oder «Aua» und nicht etwas ganz anderes?

 

Zwei Fragen

Eigentlich stellen wir hier zwei Fragen in einer: Warum schreien wir, wenn wir Schmerzen haben, und warum schreien wir «Au»? Bei der ersten Frage sind wir in guter Gesellschaft von vielen Tieren. Schmerzensschreie kommen überall im Tierreich vor. Robben, Ziegen und Katzen klingen manchmal genauso wie Menschen. Warum? Charles Darwin, der 1872 ein Buch schrieb über Gefühle bei Menschen und Tieren, vermutete, dass starke Muskelanspannungen der Grund sind, die fast alle Tiere bei Schmerzen zeigen. Diese Reaktion bewirkt den blitzschnellen Rückzug vor einem schmerzhaften Reiz, der unerwartet kommt. Bei Schmerzen, die man vorhersieht, ist man vorbereitet und erträgt den Schmerz viel besser. Die meisten von uns fangen daher auch nicht panisch an zu schreien, wenn der Arzt uns eine Nadel in den Arm sticht, um zum Beispiel Blut für eine Untersuchung abzunehmen.

 

Aufmerksamkeit erregen

Aber das bringt uns noch nicht viel weiter: Warum sollte dabei der Mund geöffnet werden? Forschungen haben gezeigt, dass Schreie bei Mensch und Tier auch zur Verständigung dienen: zum Beispiel, um Artgenossen bei Gefahr zu warnen, um Hilfe zu rufen oder um fürsorgliches Verhalten zu wecken. Fürsorgliches Verhalten beginnt schon in den ersten Sekunden unseres Lebens, wenn wir zu weinen beginnen und unsere Mutter uns fürsorglich in den Arm nimmt. Babys und damit auch viele Jungtiere, kennen viele verschiedene Schreilaute. In diesem Schreivorrat ist der Schmerzschrei immer klar erkennbar: Er fängt plötzlich an, ist durchdringend und dauert relativ kurz. Nun kommen wir dem «Au» schon etwas näher.

 

Hilfe beim Überleben

Und damit sind wir beim zweiten Teil der Frage angelangt. Warum schreien wir denn nun «Autsch», «Au» oder «Aua», wenn wir uns verletzen? Zunächst einmal müssen wir zugeben, dass es schon einige Unterschiede bei den Schmerzlauten gibt. Wenn du dir auf den Daumen schlägst, sagst du dann «Autsch» oder «Aaaaah oder «Aua»? Tatsächlich gibt es ganz schön viele Unterschiede. Aber die sind nicht unendlich. Niemand schreit «Bibibibi» oder «Vuuuuu» bei plötzlichem Schmerz. Aber bei «Aaah», «Ai» und «Aua» kann man davon ausgehen, dass derjenige sich wehgetan hat.

Ein Ausruf wie «Au» ist tatsächlich die schnellste Art und Weise, seinen Mitmenschen zu signalisieren, dass etwas nicht in Ordnung ist. In dem Moment, in dem du auf einer belebten Strasse «Au» rufst, werden sich viele Köpfe nach dir umdrehen, um zu sehen, was los ist. Der Ausruf ist also ein Überlebensmechanismus: Du warnst andere Menschen, damit sie aktiv werden und dir helfen.

Doch ist es nicht so, dass wir willkürliche Geräusche machen, wenn unser kleiner Zeh hinter dem Tischbein hängen bleibt. Wir jodeln nicht spontan «hollderi» oder «lalala». Ein Ausruf beginnt meistens mit einem a-Laut, denn das ist der Laut, den man macht, wenn der Mund weit geöffnet ist. Danach schliesst man den Mund schnell wieder und es entsteht ein schwächer werdender Klang, ähnlich dem «Autsch». Alle Geräusche, die du danach noch machst, passieren schon wieder bei geschlossenem Mund. Bei «Autsch» hat man also nach dem «Au» den ersten Schreck schon überwunden und verlängert den Ausruf nur noch.

 

Ouch, oi, itai, jai!

Dennoch ist es nicht so, dass wir überall auf der Welt Schmerzen auf dieselbe Weise anzeigen. Wie bereits erwähnt, beginnen wir mit einem «offenen» Vokal, gefolgt von einem schwächer werdenden Konsonanten. Ein Brite macht hieraus ein «Ouch», ein Deutscher «Au» und in Israel «Oi». In den asiatischen Ländern ist es etwas anders, weil die Laute «Au» und «Ouch» in den dortigen Sprachen nicht vorkommen. Chinesen rufen etwas, das «Jai» ähnelt und die Japaner rufen «Itai». Jeder von uns kommt mit einem Vorrat an Schreilauten auf die Welt, und dazu lernen wir noch eine Sprache. Diese Sprache ermöglicht es uns, mehr zu tun, als nur zu schreien – wir können auch darüber sprechen. Zum Glück, denn sonst wäre aus dieser Antwort nichts geworden.

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