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Wortsalat

Weihnachtsgeschichte: Publikation abgelehnt

Lieber Leser, liebe Leserin! 
Gerne hätte ich Ihnen zum 
Abschluss der Adventsserie das Original der Weihnachtsgeschichte präsentiert. Aus journalistischer Sicht spricht zwar einiges dafür: die exotische Szenerie, die glückliche Jungfamilie, das öffentliche Aufsehen. Und doch müssen wir die Veröffentlichung im BT ablehnen.

Matthias Knecht

Schon der berühmte Auftakt des Evangelisten Lukas fällt durch die BT-Textkontrolle: «Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die erste und geschah zu der Zeit, als Cyrenius Landpfleger in Syrien war.»

Dies klingt nach faktenbasiertem Bericht, ist es aber nicht. Cyrenius trat sein Amt in Syrien erst 6 n. Chr. an. Weitere Quellen bezeugen, dass im Jahre 6 oder 7 n. Chr. eine Volkszählung stattfand. All dies legt nahe, dass die Geburt, die heute Nacht gefeiert wird, einiges nach dem Jahre Null stattfand.

Beim Evangelisten Matthäus hingegen spielt die Geburt Jesu vor dem Jahre Null. Denn Matthäus erwähnt die von König Herodes befohlene Tötung aller neugeborenen Knaben. Herodes aber starb 4 v. Chr.

Im Markus-Evangelium schliesslich lässt sich Jesus von Johannes dem Täufer taufen. Er ist durch weitere römische Quellen belegt; es lässt sich daraus ein Geburtsjahr einige Jahre vor Null ableiten. Zwischen den möglichen Geburtsdaten gemäss Neuem Testament liegen damit mindestens zehn Jahre.

Doch nicht nur das Datum, auch der Geburtsort ist umstritten. Es beginnt mit einem seltsamen Detail der Volkszählung aus dem Lukas-Evangelium. Dass sie stattfand, ist unbestritten, war dies doch Grundlage für Roms Steuern. Dass aber die Menschen dafür an ihren Geburtsort zurückkehren sollten, ist bizarr. Das wäre so, als müssten Schweizerinnen und Schweizer zum Steuerzahlen in ihre Heimatgemeinden reisen, und das zu Fuss. Keine effiziente Regierung ordnet einen solchen logistischen Unsinn an, und die römische Regierung war hocheffizient, insbesondere ihr Statthalter Cyrenius, ein erfolgreicher Militärstratege.

Dass Joseph und Maria unterwegs waren und es zur Geburt im Stall kam, ist wohl ein dramatischer Kniff des Evangelisten Lukas. Dadurch konnte die Geburt Jesu in Bethlehem stattfinden, wo auch der König David des Alten Testaments geboren wurde, und nicht im wenig angesehenen Nazareth, dem Wohnort Josephs und Marias.

Doch nur bei Lukas und bei Matthäus stammt Jesus aus Bethlehem. Bei den beiden anderen Evangelisten, Markus und Johannes, kommt er aus Nazareth. Was gilt nun?

Liebe Leserin, lieber Leser: Bitte haben Sie Verständnis, dass wir einen Text mit so 
widersprüchlichen Angaben zu Ort und Zeit nicht im BT publizieren. Es würde unsere journalistischen Grundsätze verletzen. Am Ende würden gar aus ungewissen Fakten gesicherte Wahrheiten abgeleitet. Das wollen wir nicht.

Unbesehen davon darf man sich unterm Weihnachtsbaum vorlesen, was man will. Der BT-Faktencheck gilt hier nicht. In diesem Sinne: Frohe Festtage!

Info: Matthias Knecht unterstützt das BT bei der Sprachpflege.


kontext@bielertagblatt.ch

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