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Gastgewerbe

Keine Ruhe für die Beizer

Die Gastronomen blicken trotz der möglichen Lockerungen nicht in eine rosige Zukunft. 
Vielmehr dürften sie von ihren alten Problemen eingeholt werden.

Bald dürfen Gäste wohl ohne Zertifikate ins Restaurant. Das verschafft den Beizern etwas Luft. Bild: Pixabay

Claudia Salzmann und Alexandra Elia

Wer nächste Woche ein Restaurant besuchen will, muss sein Zertifikat womöglich nicht mehr griffbereit haben: So könnten bereits am 17. Februar mehrere der geltenden Corona-Massnahmen im Kanton Bern aufgehoben werden, darunter auch die Zertifikatspflicht. Die Kantonsregierung unterstützt die entsprechenden Pläne des Bundesrats, wobei wohl an der Maskenpflicht noch einige Wochen festgehalten werden soll.

Ist also für die gebeutelte Gastrobranche Besserung in Sicht? Und wird sie sich von den weitreichenden Einschränkungen schnell erholen? Einige Sorgen und Innovationsideen der Berner Wirtinnen und Wirte:

 

Mangelware Koch

Ein Blick in die Statistiken der Arbeitslosenzahlen offenbart zum Jahresbeginn ein ähnliches Bild wie in Zeiten vor der Pandemie. So liegt die aktuelle Zahl von 1179 Arbeitslosen in der Gastronomie im Kanton Bern teilweise sogar unter dem Wert früherer Jahre: Im Januar 2018 waren dies 1398 Personen, 2019 waren es 1131. Zudem zeigt sich eine Verbesserung gegenüber dem Pandemiejahr 2021, in dem noch 2087 Personen aus der Gastronomie ohne Arbeit waren, auch weil sich zu dieser Zeit die ganze Branche im Lockdown befand.

Nach wie vor gibt es aber in Berner Küchen und Gaststuben Vakanzen. Laut einer Umfrage des Branchenverbands Hotellerie Suisse klagen schweizweit 75 Prozent der Mitglieder über einen Mangel an Köchen. Noch schlimmer scheint es im Service zu sein: 77 Prozent verzeichnet einen Mangel an Servicefachkräften. Auch 78 Berner Betriebe haben an der Umfrage teilgenommen, gerade Wirte in den Bergregionen haben Mühe, Fachkräfte, aber auch Hilfspersonal zu finden.

Der Mangel an Personal ist laut Tobias Burkhalter, Präsident des Arbeitgeberverbands Gastro Bern, eine der grössten Herausforderungen: «In der Branche muss sich grundsätzlich etwas tun», betont er, «denn der Fachkräftemangel hat sich während der Krise verschärft.» Das Problem habe aber bereits vor der Pandemie bestanden.

Dem sollen nun innovative Lösungen entgegenwirken: So lancierten die Verbände Gastro Luzern und Luzern Hotels kostenlose Kurse, um Quer- oder Wiedereinsteiger an Bord zu holen. Die Verbände wollen so den Einstieg in die Branche erleichtern. Besonders Erwachsene auf der Suche nach einer Neuorientierung, Studierende und Personen über 50 sollen mit den Kursen angesprochen werden. Nach Abschluss erhalten die Teilnehmenden eine Urkunde, die ihnen auch im Bewerbungsverfahren Vorteile verschaffen soll.

 

Nachwuchs ohne Biss

Solche Kurse seien auch in Bern denkbar, sagt Tobias Burkhalter. Zwischen den kantonalen Verbänden bestehe ein reger Austausch, und man schaue darauf, ob die Angebote auf Resonanz stiessen. Doch Burkhalter hat gewisse Bedenken: «Was im einen Kanton funktioniert, muss im anderen nicht zwingend zum Erfolg führen.» Momentan bestünden in Bern keine Pläne, es den Luzerner Verbänden gleichzutun.

Die Branche hat auch beim Nachwuchs ein Problem. Die Abbruchraten der Lehren der Köche und Servicefachkräfte sind hoch: In den Küchen geben laut dem Bundesamt für Statistik 33,8 Prozent der Lernenden auf. Im Service sind es gar deren 36 Prozent. Zahlen für den Kanton Bern sind nicht separat ausgewiesen, dürften sich jedoch im ähnlichen Bereich bewegen.

Michel Gygax vom nationalen «Der Gewerbeverband», der 350 KMU und Restaurants vertritt, ist über diese Abbruchraten nicht erstaunt: «Die Lehre in der Gastronomie ist kein Zuckerschlecken. Zudem ist das Durchbeissen seltener geworden.» Die jungen Leute kämen aus einer behüteten Zeit in eine harte Realität. Von «Generation Snowflake» – wie manchmal die jungen Arbeitnehmenden bezeichnet werden – will er allerdings nicht reden. «Viele machen ihren Traum, in der Gastronomie zu arbeiten, wahr, aber merken dann, welch hartes Pflaster es ist.»

Der erste Grund für die Abbrüche ist nicht etwa der bescheidene Lohn, sondern in beiden Bereichen Küche und Service die fehlende Planbarkeit des Privatlebens. Dies sei denn auch eine Eigenheit dieser Branche, mit der man rechnen müsse. «Da müssen wir bei der Rekrutierung genauer hinschauen und uns bei der Auswahl mehr Zeit nehmen», betont Burkhalter. Ein im Voraus kommunizierter Arbeitsplan sei zudem mittlerweile Standard und Pflicht, sagt der Präsident von Gastro Bern.

Als zweiten Grund nennen die Lehrabbrecher die fehlende Wertschätzung der Vorgesetzten. Michel Gygax, der selber sechs Betriebe in Bern und Umgebung führt, sagt: Angestellte würden nur im Betrieb bleiben, wenn sie merken, dass der Arbeitgeber empathisch ist. «Der Mensch muss in der Gastronomie immer im Zentrum sein. Wir leben von und für die Menschen. Und das müssen die Gäste, aber eben auch die Angestellten spüren.»

 

Altmodische Dienste

Noch immer gang und gäbe ist, nach dem Mittagsdienst drei Stunden Pause zu machen und in die sogenannte Zimmerstunde zu gehen. Wer Glück hat, wohnt in der Nähe und verbringt die Zeit dort. Öfter allerdings ist es eine tote Zeit, die man überbrücken muss.

Innovative Gastronomen machen mit einer 4-Tage-Woche ­potenziellen Arbeitnehmenden die Branche schmackhafter. Die 42-Stunden-Woche soll nicht mehr auf fünf, sondern bloss noch auf vier Tage verteilt werden, mit dem Resultat, dass ein Arbeitstag in der Regel 10 Stunden hätte.

Als Pionierin geht das neue Restaurant Darling im Breitenrain hervor. Hier haben nicht nur die Angestellten solche Verträge, sondern auch das Management. «Die unsägliche Zimmerstunde gehört abgeschafft, damit die ­Angestellten ganze Schichten arbeiten können», sagt der Wirt Christoph Schürch. Auch in grossen Betrieben ist die 4-Tage-Woche ein Thema, wie Rudi Bindella bestätigt. Bindellas, die in Bern 200 Arbeitsplätze bieten, wagen den Pilotversuch in einem Winterthurer Betrieb.

 

Löhne am Limit

Viele Arbeitgeber zahlen nach Vorgaben des Gesamtarbeitsvertrags. Sprich Mitarbeitende ohne Berufslehre bekommen 3477 Franken ausbezahlt, mit einer Lehre sind es deren 4203 Franken. Die Stundenansätze variieren zwischen 23.33 und 28.89 Franken. «Damit wird man nicht reich, deshalb muss es im Team Spass machen», sagt Daniel Wiesner vom Zürcher Gastrounternehmen Wiesner, der in Bern 63 Arbeitsplätze in seinen Lokalen anbietet. Er versucht, den Teamspirit hochzuhalten, indem Ausflüge vom Unternehmen finanziert werden.

Nebst der 4-Tage-Woche und Jobsharing für Kaderleute hat das Unternehmen die totale Lohntransparenz eingeführt. «Damit erhoffen wir uns ein besseres Betriebsklima und weniger Neid. Man meint ja immer, dass der Chef so viel mehr verdient.» Das System – in Form eines Rechners auf seiner Website – helfe, keine falschen Erwartungen zu wecken. Wert legt Wiesner auch auf Weiterbildung, diese senke die Kündigungsrate nachhaltig.

 

Die Gäste sind essenziell

Auch wenn die Wirte dank innovativen Arbeitsmodellen es schaffen, die Lücken im Dienstplan zu füllen, bleibt ein Problem bestehen: die leeren Tische. Michel Gygax sagt dazu: «Viele gehen nur noch am Wochenende aus, unter der Woche ist es ruhig.»

Im Januar hätten Ungeimpfte, Vulnerable und Abstinenzler gefehlt. In einem normalen Januar habe er bis 60 Prozent mehr Umsatz gehabt. Tobias Burkhalter von Gastro Bern ist optimistisch, dass die Leute wieder ins Restaurant einkehren: «Die Gästezahlen werden wohl erst nach und nach wieder ansteigen.»

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