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Spitzengastronomie

Sensibler Mensch, aber 
bärbeissige Fassade

Mit Nik Gygax ist nicht nur ein Spitzenkoch gestorben, sondern auch ein sensibler, humorvoller und warmherziger Mensch. Ein Nachruf.

Nik Gygax - Sein Zuhause war und bleibt Thorigen. Bild: Thomas Peter

Urs Zurlinden

Nun ist es nicht mehr da: dieses breite Schmunzeln im kerbigen Gesicht. Nik Gygax ist seiner heimtückischen Krankheit erlegen, seine arg strapazierten Organe wollten nicht mehr. Er, der sich in den vergangenen Monaten immer wieder aufrappelte, um am Herd seine grandiosen Gerichte zu kreieren, musste letztlich seinen Widerstand aufgeben. Freunde verlieren einen wertvollen, nicht immer einfachen Menschen, die Region Oberaargau bis weit übers Bernbiet hinaus ein gastronomisches Aushängeschild.

Mit Nik Gygax ist die personalisierte Leidenschaft fürs Kochen gestorben. Es begann vor nunmehr 35 Jahren: Im Herbst 1985 wird Gygax erstmals von den Gastrokritikern des Gault&Millau ins Visier genommen, drei Jahre später sollte seine Arbeit mit 16 Punkten gewürdigt werden. Dann folgten praktisch im Jahrestakt ein Stern nach dem anderen: Seit Herbst 1995 wurde er regelmässig mit 18 Gault&Millau- Punkten bewertet. Kein anderer Schweizer Spitzenkoch konnte dieses Top-Niveau so lange halten, im Kanton Bern blieb er jahrelang unbestrittene Nummer 1.

Oberaargau und Bretagne

«Ich koche einfach, was ich auch gerne selber esse», spielte Nik Gygax jeweils sein Können herunter – was sehr wohl seinem ihm eigenen Understatement entsprach. Oben auf dem Olymp der Schweizer Spitzengastronomie angekommen, machte er zwar pflichtbewusst mit, was die Szene von ihm verlangte, doch wirklich wohl fühlte er sich dabei nicht. Sein Zuhause war und blieb Thörigen, umgeben von der hügeligen Landschaft des Oberaargaus. Dort lud er genüsslich zur deftigen Metzgete ein mit Späck und Gnagi, Ghackets mit Hörnli oder einem Ärbsmues mit Schnörrli.

Diese ländliche Verbundenheit sollte ihn nicht daran hindern, einer wahren Leidenschaft zu frönen: der Bretagne und den dortigen Meeresfrüchten. Die Fahrt ans Meer mit seinen beiden Hunden Fleur und Mysty, zwei schottischen Hirtenhündinnen, wurde zur alljährlichen Entdeckungsreise. Also servierte er im heimischen Löwen sehr gerne auch Fremdländisches wie eine Hummersuppe, einen Gemüseeintopf mit «Kleinigkeiten aus dem Meer» oder einen Turbot mit Trüffelschuppen. Bei der Zubereitung vertraute er in erster Linie seinem überaus feinen natürlichen Geschmackssinn.

Antreiben und verzeihen

Dicke Rezeptbücher waren Nik Gygax fremd, erst vor drei Jahren liess er sich zu seinem 60. Geburtstag überreden, sein einzigartiges Können in Rezepten festzuhalten. Es sollte zu seinem Vermächtnis für die Nachwelt werden. Unvergessen wird bleiben, wie er seine Kochkünste jeweils mit immensem Aufwand auch ausserhalb der Löwen-Küche zelebrierte: sei es an einem idyllischen Bächlein mitten in der Natur, in einem alten, ziemlich übel riechenden Käselager oder in der privaten Villa eines gut betuchten Stadtzürchers. Dann holte er sein ganzes Können aus der Schublade und liess buchstäblich nichts anbrennen.

Dass er dabei sein Team nicht immer mit diplomatisch austarierten Worten zu Höchstleistungen antrieb, verziehen ihm die Beteiligten jeweils sehr rasch wieder. Denn sie wussten: Hinter der manchmal bärbeissigen Fassade verbarg sich ein überaus sensibler, humorvoller und warmherziger Mensch.

Das grelle Rampenlicht der Spitzengastronomie war nicht sein Ding. Wenn er sich überhaupt aus der Küche wagte, mit etwas gesenktem Kopf an die Tische seiner Gäste trat, liess er die Huldigungen nur ungern über sich ergehen und lenkte allzu gerne auf eine Thema über, das nichts mit seiner Kochkunst zu tun hatte. Dann liess er kurz den sensiblen, eher scheuen und überaus gutmütigen Menschen aufblitzen, der er in Wirklichkeit war. Jetzt hat dieses gute, leider sehr kranke Herz von Nik Gygax aufgehört zu schlagen.

Info: Urs Zurlinden ist Journalist und Autor diverser Bücher, darunter: «Nik Gygax, Bouillabaisse & Bärnerplatte», Kulturbuchverlag Herausgeber.ch, 2017.

Stichwörter: Nik Gygax, Gastronomie, Koch

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