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Shabby, aber nicht schäbig

Mit wenig Aufwand lassen sich alte Möbel in Shabby Chick verwandeln. So erwachen auch Erbstücke zu trendigem neuem Leben.

Shabby Chick: Der jüngste Trend in Sachen Einrichtung. Bilder: Peter Samuel Jaggi

Thomas Uhland

Shabby Chick heisst der Trend, der seit einigen Jahren in Hochglanzmagazinen allgegenwärtig ist. Möbel vom Flohmarkt oder aus dem Brockenhaus werden so restauriert, dass sie betont alt und abgegriffen aussehen – schäbig eben. Auch die Industrie hat die Mode entdeckt. Sie gibt inzwischen nagelneuen Möbeln und Einrichtungsgegenständen den Shabby-Look, am liebsten kombiniert mit Omas Häkeldecken, Blümchentapeten und allerlei Requisiten der 1920er Jahre.

Wer es authentisch mag, wird für diese Art von Shabby Chick nur ein mitleidiges Lächeln übrig haben und sich dort umsehen, wo die Möbel wirklich alt und vielleicht sogar ein wenig schäbig sind: im Brockenhaus. Dort, genauer im Bieler Heilsarmee-Brocki in Biel-Mett, lernten kürzlich einige Shabby-Novizen die Kunst, alte Möbel gekonnt schäbig aussehen zu lassen. Unter Anleitung des Schreiners Stefan Röthlisberger aus Langnau verwandelten sie Massenware aus Billig-Möbelhäusern ebenso wie Familienerbstücke und vor Ort Erworbenes in Schmuckstücke.

Auf Qualitätsfarben achten

Die Bielerin Josefina Pérez etwa brachte die Schubladen eines alten Wohnzimmerschranks mit; den Rest des Möbels wird sie später zu Hause bearbeiten. Ihr Ziel für den heutigen Tag: Jede der sechs Schubladen soll einen eigenen Farbton erhalten. Zudem will sie verschiedene Techniken erproben. Als erstes streicht sie die Kanten mit einer weissen Farbe. Nach dem Trocknen wird sie an den Kanten etwas Wachs auftragen, so dass sich die Deckschicht gut löst.

Die Farben sind mit wenigen Ausnahmen in matten Weiss- und Pastelltönen, wie es dem Stil entspricht. Es gibt als Grundfarbe allerdings auch dunkle Farben, wie etwa das Violett, das die Ex-Bielerin Karin Moser aus Bern ihrem alten, unansehnlichen Nachttisch verpasst. Die stark kalkhaltigen Farben sind in einem guten Farbengeschäft zu beziehen; von Billigprodukten rät Röthlisberger ab, das führe eher zu Enttäuschungen.

Und dann geht es los. Einige der Kursteilnehmer montieren Griffe und andere Beschläge ab, andere überstreichen sie gleich mit – das ist Geschmackssache. Die Shabby-Farbe hat den Vorteil, auf fast jedem Untergrund zu haften; alte Anstriche müssen also nicht erst abgelaugt werden. Statt Farbe tragen einige der Shabby-Fans einen Farbwachs auf. «Die Oberfläche wird so eher etwas glatter als mit Farbe», sagt Röthlisberger.

«Bloss nicht ‹gäggelen›!»

Die Hobby-Restaurateure kommen flott voran, denn Shabby verlangt grosszügiges Arbeiten. «Bloss nicht zu genau, bloss nicht ‹gäggelen›!», mahnt der Schreiner. Er zeigt, wie einem Möbel ein weiterer Antik-Look verpasst werden kann: Rohes Holz wird mit einer Messingbürste geschrubbt, dann überstrichen und nach dem Trocknen mit einem Schleifpapier fein abgezogen, so dass die Holzstruktur zum Vorschein kommt. Noch deutlicher wird der Effekt, wenn das Holz zuerst mit einem Bunsenbrenner geflämmt wird. Die weichen Holzanteile lassen sich so tiefer herausbürsten. Dabei werden auch gleich alte Anstriche oder Beschichtungen entfernt.

Einen besonderen Effekt will Martin Viehweg aus Oberbipp an seinem Holzstuhl erzielen. Er hat bereits eine Grundierung aus goldfarbigem Lack aufgetragen. Nun trägt er stellenweise Krakelierlack auf. Dieser bewirkt, dass die nächste Farbschicht zerrissen wird, als ob die Farbe schon Jahrzehnte alt, ausgetrocknet und bröselig wäre. Durch die Risse scheint dann die Grundfarbe durch.

In der Zwischenzeit ist Karin Mosers Grundlack getrocknet. Mit einem Hauch weisser Farbe will sie einen luftigen Akzent setzen. Sie taucht einen breiten Pinsel sachte in den Farbtopf, setzt vorsichtshalber auf der Rückseite des Möbels an – und erzielt prompt eine breite, weisse Fläche. Röthlisberger zeigt ihr, wie sie den gewünschten Effekt erreicht: Der Pinsel wird ganz leicht in die Farbe getunkt, mit einem zweiten Pinsel wird vom ersten Farbe abgenommen. An diesem haftet nun so wenig Farbe, dass wirklich nur eine Spur Weiss auf der violetten Farbe landet.

Auch Josefina Pérez kommt zur letzten Runde. Sie überstreicht ihre Schubladen samt den vorbehandelten Kanten mit Pastellfarben. Sobald diese getrocknet sind, schleift sie die oberste Schicht wieder ab. So entsteht der typische Shabby-Look: eine stumpf und gebraucht aussehende Fläche, durch die stellenweise das darunter liegende Weiss und an den Ecken das ursprüngliche Holz zum Vorschein kommt. Sie lächelt zufrieden – denn das ist das Schöne am Shabby Chick: Man braucht weder ausgeprägte handwerkliche Fähigkeiten noch unendliche Geduld, um ansehnliche Resultate zu erzielen.

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