Sie sind hier

Abo

Schüpfen

Bauer, BGB-Gründer und Bundesrat

Rudolf Minger ist heute primär als Bundesrat in Erinnerung. Er war aber auch Gründervater der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB) des Kantons Bern. Darum wird der 100. Geburtstag der Partei morgen in Mingers Wohnort Schüpfen gefeiert. Wer war der erste Bauer in der Landesregierung?

Zwischen Scholle und Bundeshaus: Rudolf Minger war der erste Landwirt in der Landesregierung. Vor und nach seiner Zeit als Bundesrat arbeitete er auf seinem Hof in Schüpfen. Bild: zvg
  • Dokumente

Beat Kuhn

Als Rudolf Minger am 13. November 1881 in Mülchi im Limpachtal zur Welt kam, ahnte niemand, dass er eines Tages zu einer der wichtigsten Persönlichkeiten der Schweiz werden würde. Mit seinen beiden Schwestern verbrachte er auf dem elterlichen Bauernhof, einer vormaligen Mühle, eine schöne Jugendzeit. Als Stammhalter und Jüngster der Familie galt der kleine Ruedeli viel bei Vater und Mutter.

Die Primarschule besuchte er in Mülchi, die Sekundarschule – «meine Hochschule», wie er sie selber nannte – in Fraubrunnen, das eine Stunde zu Fuss entfernt war. Er war ein aufgeweckter, begabter Bub, der in der Schule mühelos mitkam. Kreuzbrav war er indes nicht: Auf dem Schulweg rauchte er heimlich päckliweise Stumpen. Und manchmal kam er erst zu später Stunde nach Hause. Dann kletterte er, um die Eltern nicht zu wecken, über das stillstehende Mühlerad in seine Kammer.

Asthma mit Veltliner bekämpft
Noch während der Schulzeit kauften die vier ledigen Geschwister seines Vaters zusammen einen Hof in Schüpfen. Die vier hatten ein Mädchen namens Sophie als Pflegekind, eine entfernte Verwandte, die ebenfalls Minger hiess.  Ruedi war an Sonntagen oft dort. Und seine Besuche in Schüpfen wurden immer häufiger. Grund dafür war Sophie, aber auch die berechtigte Aussicht, eines Tages der Besitzer des grossen, schönen Hofs zu werden. Das 13 Kilometer entfernte Schüpfen erreichte Ruedi meistens zu Fuss.

Geselligkeit bedeutete ihm viel. Er suchte den Gedankenaustausch und den Umgang mit seinesgleichen. Schon mit 17 Jahren trat er zum Beispiel dem örtlichen Männerchor bei. Zu der Zeit, als er zur Aushebung aufgeboten wurde, hatte er Asthma, und prompt wurde er vorläufig vom Militärdienst dispensiert. Dieser Entscheid traf ihn sehr. Er suchte einen Spezialarzt auf, der ihm Veltliner verschrieb – und siehe da, nach einem Jahr war die Krankheit praktisch verschwunden, und er konnte seine militärische Laufbahn starten.

Eigene Cousine geheiratet
Zu Ostern 1906 verlobte sich Minger mit Sophie, die eine Cousine zweiten Grades von ihm war, denselben Urgrossvater wie er hatte. Am 14. Juli heirateten die zwei in der Kirche Schüpfen. Im Oktober konnten sie den Hof der Geschwister Minger erwerben. Im darauffolgenden Jahr zügelten sie nach Schüpfen. 1908 wurde Tochter Klara geboren, 1910 ein Sohn, der als ältester männlicher Nachkomme ebenfalls Rudolf getauft wurde.

Beide Kinder waren dem Vater sehr zugetan, weil er sich, so oft es ihm die Zeit erlaubte, mit ihnen beschäftigte und namentlich den Sohn bei den Arbeiten im Haus und auf dem Feld häufig um sich hatte. Er hat sie auch auf die Wunder der Natur aufmerksam gemacht. Ein besonderer Anziehungspunkt für die Kinder war Papas Humor, den er auch im politischen Leben an den Tag gelegt hat.

Anstoss zur BGB-Gründung gegeben
Minger hatte von Natur aus Führungsqualitäten. Diese konnte er durch seine militärische Karriere, die ihn bis zum Oberst aufsteigen liess, noch festigen. Am 24. November 1917 hielt er an der Delegiertenversammlung des bernischen Genossenschaftsverbandes im Bierhübeli-Saal in Bern eine Rede, in der er den Anstoss zur Schaffung einer neuen Partei gab. Am 28. September 1918 wurde diese zunächst als bernische Bauern- und Bürgerpartei gegründet. Erst 1921 sollte sie ihren definitiven Namen erhalten: Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei ( BGB). Minger wurde erster Parteipräsident.

Es war kein Zufall, dass die Partei gerade im Herbst 1918 gegründet wurde: Der Erste Weltkrieg stand kurz vor seinem Ende, und nach den Entbehrungen während vier Kriegsjahren kam es in mehreren Ländern zu sozialen Spannungen. Auch in der Schweiz, wo sie im Generalstreik vom 12. bis 14. November ihren Höhepunkt erreichten. Die BGBwidersetzte sich der geforderten Besserstellung der Arbeiter, ja, oft wurden parallel zur Gründung von BGB-Sektionen Bürgerwehren ins Leben gerufen, die gegen die politische Linke zielten.

Eine dritte Kraft im Bundesrat
1919 wurde Minger in den Nationalrat gewählt, wo er den Posten des Fraktionschefs erhielt. 1928 präsidierte er den Nationalrat. Im Dezember 1929 wurde er in den Bundesrat gewählt. Er war der erste Vertreter der BGB und der erste Bauer in diesem Amt. Erstmals sassen nun die Vertreter von drei Parteien in der Landesregierung. Bis dahin hatte diese nur aus fünf FDP- und zwei CVP-Vertretern bestanden. Gegen seinen Willen musste Minger das Eidgenössische Militärdepartement (EMD) übernehmen.

Die Mitglieder der Landesregierung mussten ihren Wohnsitz in Bern haben. So zog Minger mit seiner Frau in ein Haus unweit des Inselspitals. Den «Mingerhof» übernahm Sohn Rudolf II mit seiner Frau Hedwig in Pacht. Der 1934 geborene erste Sohn des Paares wurde auch wieder Rudolf getauft. Mit der Gesundheit des Buben stand es allerdings nicht zum Besten. Er hatte einen Herzfehler, und im vierten Altersjahr starb er. Tochter Klara heiratete einen appenzellischen Industriellen und zog zu ihm nach Heiden. Das Paar hatte zwei Kinder.

Sympathien für den Faschismus
Vom aufkommenden Faschismus war Minger zunächst angetan: 1933 bezeichnete er im Parlament das Aufkommen der Frontenbewegung als eine «gesunde Reaktion» der Schweizer Jugend gegen die politische Linke. Und teilte dem deutschen Gesandten Ernst von Weizsäcker mit, der Nationalsozialismus in Deutschland sei eine «naheliegende, ihm sympathische Entwicklung». Minger forderte in jenen Jahren wiederholt ein Zusammengehen der BGB mit den nationalsozialistischen Fröntlern. Und bediente sich in vielen Reden der faschistischen Rhetorik von «Volksgemeinschaft», «Blut» und «Rasse». Später galt er als Gegner des Faschismus.

1940 trat Minger aus dem Bundesrat zurück. Danach kehrte er mit seiner Frau nach Schüpfen zurück, wo die zwei ins «Stöckli» neben dem Bauernhaus zogen. Da Sohn Rudolf II als Hauptmann oft Aktivdienst leisten musste, übernahm Minger zu Hause wieder das Zepter. Es wurde allmählich etwas stiller um ihn. Das heisst aber nicht, dass er die Hände in den Schoss legte. Jetzt setzte er seine ganze Kraft in der Landwirtschaftspolitik ein.

Fast täglich fuhr Minger ins Bundeshaus und lobbyierte dort engagiert für die Interessen der Bauern. Zu diesem Zweck lernte er mit 58 Jahren noch Auto fahren. 1946 wurde Minger von der Uni Bern der Ehrendoktortitel verliehen, in Anerkennung seiner Verdienste um die Erhaltung eines «gesunden Bauernstandes». 1941 gebar Schwiegertochter Hedwig – die 1936 noch ein Mädchen bekommen hatte – nochmal einen Sohn. Die Eltern hatten für ihn den Namen Walter ausgesucht. Doch Minger machte der Schwiegertochter klar: «Dieser Bub muss wieder Rudolf heissen.» Man fügte sich, und so wurde der zweitgeborene Sohn wie der verstorbene erstgeborene Rudolf genannt.

Der Stern erlischt
Bis ins hohe Alter war Minger körperlich, geistig und seelisch bei bester Gesundheit. 1948 starb seine Frau Sophie Minger-Minger, die ihm treu zur Seite gestanden war. Papa – wie Minger von der Familie genannt wurde – wollte nicht allein im «Stöckli» schlafen. Er wünschte, dass sein Enkel Rudolf III sein Kinderbett im Bauernhaus mit demjenigen seiner verstorbenen Frau tausche. In jener Zeit bekam der Enkel mit, wie Minger mit seinem Freund General Henri Guisan alte Kriegserinnerungen aufwärmte.

Im Frühjahr 1955 machte sich bei Minger eine bösartige, heimtückische Leberkrankheit bemerkbar. Im Sommer litt er immer mehr unter der Krankheit, konnte er fast keine Nahrung mehr zu sich nehmen und wurde dadurch immer schwächer. Einer Einladung von Guisan folgend, zeigte sich Minger am grossen Winzerfest in Vevey ein letztes Mal in der Öffentlichkeit.       

Am 1. August 1955 versammelte sich die ganze Familie ein letztes Mal um Minger. Dieser befahl, eine Flasche Champagner zu entkorken, damit er noch ein letztes Mal mit seinen Angehörigen auf das Wohl seines geliebten Vaterlandes anstossen könne. Danach konnte er sein Krankenbett nicht mehr verlassen. Am 23. August schlief er für immer ein.

Über 10000 an der Beerdigung
Nach Mingers letztem Wunsch bekam jeder Bürger, der an seine Beerdigung kam, ein «Zimis», also etwas Kleines zu essen. Einen solchen Hochbetrieb haben die Wirtschaften in Schüpfen weder vorher noch nachher gekannt: Über 10000 Personen gaben dem populären Landesvater die letzte Ehre.  Gegen Abend entwickelte sich die Beerdigung zu einem regelrechten Volksfest.

Passend zum Umstand, dass gleich drei Bundesräte einen Bezug zu Schüpfen haben (siehe Zweittexte unten), nehmen am 100-Jahr-Fest der Berner BGB morgen Nachmittag in der örtlichen Sporthalle drei Bundesräte teil: Ueli Maurer, Guy Parmelin und Alt-Bundesrat Adolf Ogi, alle von der SVP, wie die BGBab 1971 hiess. Ogi hat übrigens viel mit Minger gemeinsam: die bernische Herkunft, das volkstümliche Auftreten, den bildhaften und pathetischen Redestil sowie entsprechend die Popularität. Der ursprüngliche SVP-Bundesrat Samuel Schmid  aus Rüti fehlt dagegen. Auf die Frage, ob er, der gegen Ende seiner Bundesratszeit zur BDP überlief, am Fest in Schüpfen teilnehmen werde, hat er dem BT in einem Interview gesagt: «Nein, wo denken Sie hin, ich bin doch nicht eingeladen!»

*******************************************************************
Schüpfen hat zwei weitere Bundesräte hervorgebracht
Aufgewachsen ist keiner von ihnen dort, aber einen engen Bezug zur Gemeinde Schüpfen haben neben Rudolf Minger (1881-1955) noch zwei weitere Männer, die es bis zum Bundesrat brachten:

Jakob Stämpfli (1820-1879) wuchs auf einem Bauerhof im Weiler Janzenhaus auf, der zu Wengi gehört. Sein Vater stammte aber aus Schwanden bei Schüpfen. Darum war Stämpfli (siehe Zweittext links) Bürger von Schüpfen. 1854 wurde er anstelle des abgewählten Nidauers Ulrich Ochsenbein Bundesrat. Auf Ende 1863 trat er zurück.

Der in Bern geborene Theologe Karl Schenk (1823-1895) kam 1845 nach Schüpfen. Er wirkte zunächst als Vikar, dann als Dorfpfarrer von Schüpfen. Ab Anfang 1864 war er als direkter Nachfolger von Jakob Stämpfli Mitglied der Schweizer Landesregierung (siehe Zweittext rechts). bk


Vom inhaftierten Aufwiegler zum Mitglied der Landesregierung

Bundesrat I: Der Bauernbub Jakob Stämpfli wuchs zwar in der Nachbargemeinde Wengi auf. Sein Heimatort war aber Schüpfen.

Bild: zvg

Jakob Stämpfli wurde 1820 auf einem Bauernhof in der Gemeinde Wengi geboren. Nach einem Welschlandjahr auf einem Hof in der Romandie machte er zuerst eine Lehre in der Amtsschreiberei von Büren. Dann studierte er an der Universität Bern Rechtswissenschaften. Mit 23 Jahren machte er ein Anwaltsbüro auf. Zwei Jahre später gründete er die «Berner Zeitung» – nicht zu verwechseln mit der heutigen, weit später gegründeten Zeitung dieses Namens. Als Chefredaktor machte er die Tageszeitung zu einem Sprachrohr der Radikalen, die in Opposition zu den damals regierenden Liberalen standen. Seine Artikel trugen ihm etliche Prozesse und eine Haftstrafe «wegen Aufwiegelung» ein.

Im Alter von erst 26 Jahren wurde Stämpfli 1846 Regierungsrat. Bereits 1850 musste er aber wieder zurücktreten, weil die  Radikalen bei den Wahlen gegen die Konservativen eine Niederlage erlitten hatten. 1849 vom Grossen Rat in den Ständerat abgeordnet, wählte ihn das Volk 1850 in den Nationalrat. Als nach den Berner Grossratswahlen im Mai 1854 das konservative und das radikale Lager praktisch gleich stark waren, bildete sich eine parteiübergreifende Kantonsregierung, in der auch Stämpfli wieder Einsitz nahm.

Im Dezember 1854 wurde er überraschend in den Bundesrat gewählt. Er gilt als einer der bedeutendsten Politiker des 19. Jahrhunderts. Denn er prägte den modernen Bundesstaat mit, indem er versuchte, einen einheitlichen Wirtschaftsraum zu schaffen und eine effiziente Verwaltung aufzubauen. Wegen seiner bäuerlichen Herkunft und seiner direkten Sprache war er beliebt, aber nicht unumstritten. 1863 trat er als Bundesrat zurück.

Daraufhin gründete er mit andern zusammen die Eidgenössische Bank. Als Bankmanager scheiterte er jedoch und musste 1877 gehen. Daraufhin gründete er wieder ein Advokaturbüro, blieb aber weiterhin auch politisch tätig, im Grossen Rat wie im Nationalrat. 1872 wurde Stämpfli von der Landesregierung zum Mitglied des internationalen Schiedsgerichts in der sogenannten Alabamafrage gewählt. In diesem Konflikt forderten die USA Schadenersatz von England, weil es im Sezessionskrieg Kriegsschiffe der Südstaaten, wie etwa die «Alabama», ausgerüstet hatte. 1879 starb Stämpfli. bk
 

32 Jahre lange Amtszeit endete unter den Rädern einer Kutsche

Bundesrat II: Karl Schenk war Pfarrer von Schüpfen. Er war länger Bundesrat als alle andern. Noch im Amt starb er durch einen Unfall.

Bild: zvg

Karl Schenk wurde 1823 als eines von 14 Kindern eines Erfinders in Bern geboren. Seine Mutter starb, als er sechs Jahre alt war. Mit neun kam er in ein christliches Internat in Süddeutschland. Zwei Jahre später war er Vollwaise. An der Universität Bern studierte er Theologie und Philosophie. Während des Studiums begann er sich für Politik zu interessieren.

1845 trat er seine erste Stelle im Kirchendienst an: Er wurde Vikar der reformierten Kirchgemeinde Schüpfen. 1846 bekannte er sich öffentlich zu den politischen Radikalen. Nach dem Tod seines Vorgängers übernahm er das Amt des Gemeindepfarrers, das er bis 1855 innehatte. Nebenher war er Mitarbeiter der von Jakob Stämpfli geleiteten «Berner Zeitung». Da Schenk für den Ausgleich zwischen Radikalen und Konservativen eintrat, galt er in beiden politischen Lagern als akzeptabler Kandidat und wurde 1855 vom Grossen Rat in den Regierungsrat gewählt, 1856 zusätzlich in den Ständerat. Für seine Verdienste in der Armutsforschung erhielt er 1859 von der Uni Bern die Ehrendoktorwürde.

Am 12. Dezember 1863 wurde Schenk in den Bundesrat gewählt. Anfang 1864 trat er die Nachfolge Jakob Stämpflis an. Bei der Teilrevision der Bundesverfassung 1866 setzte er die Gleichberechtigung der Juden durch, scheiterte aber bei der Vereinheitlichung von Massen und Gewichten. In den Jahren 1865, 1871, 1874, 1878 und 1885 fungierte er als Bundespräsident. Als solcher stand er automatisch dem Politischen Departement vor, war also Aussenminister. Auch als Bundesrat fand Schenk immer wieder Zeit für seine Lieblingsbeschäftigung, das Wandern. Im Sommer 1872 zog es ihn mit seinen Söhnen vom Genfersee über Grenoble nach Marseille. Unterwegs wurde er von einem französischen Polizisten «wegen Landstreicherei» verhaftet, kam aber frei, als er dem beschämten Präfekten seinen Diplomatenausweis zeigte.

Keinen Erfolg hatte Schenk bei der Vereinheitlichung der Volksschulen in der Schweiz und bei der Einführung eines Impfzwangs: Beides wurde vom Volk abgelehnt. Als er am 8. Juli 1895 beim Bärengraben einem taubstummen Bettler ein Almosen geben wollte, wurde er von einer herannahenden Kutsche erfasst. Dabei erlitt er eine so schwere Gehirnerschütterung, dass er nicht mehr zu Bewusstsein kam und zehn Tage später starb. bk
 

Nachrichten zu Seeland »